Am 17. März 2001 hatten Musikfreunde wieder einmal die Wahl. Gotthilf Fischer und die Seinen im ARD-Samstagabendprogramm. Oder – für alle, die in Würzburg und Umgebung leben und ebenfalls in den Zeitungen zeitig angeboten – der music a viva-chor Bamberg und die Berliner Cappella in der Würzburger Neubaukirche. Also Laiensänger mit einem Medienstar am Taktstock hier, ambitionierte Musik-Amateure mit Chorleitern der Sonderklasse dort. Letztere waren live zu hören, ungefiltert und ungeschnitten. Sie brachten Neues zu Gehör, Ergebnisse der Initiative Neue Chormusik, die der Deutsche Sängerbund ins Leben gerufen hatte und die 60 neue Chorwerke aus der Quelle deutscher Kompositionsklassen hervorgezaubert hat.
Am 17. März 2001 hatten Musikfreunde wieder einmal die Wahl. Gotthilf Fischer und die Seinen im ARD-Samstagabendprogramm. Oder – für alle, die in Würzburg und Umgebung leben und ebenfalls in den Zeitungen zeitig angeboten – der music a viva-chor Bamberg und die Berliner Cappella in der Würzburger Neubaukirche. Also Laiensänger mit einem Medienstar am Taktstock hier, ambitionierte Musik-Amateure mit Chorleitern der Sonderklasse dort. Letztere waren live zu hören, ungefiltert und ungeschnitten. Sie brachten Neues zu Gehör, Ergebnisse der Initiative Neue Chormusik, die der Deutsche Sängerbund ins Leben gerufen hatte und die 60 neue Chorwerke aus der Quelle deutscher Kompositionsklassen hervorgezaubert hat.Natürlich hatte Vater Gotthilf am 17. März wieder die Nase vorn, rein quotenmäßig auch in und um Würzburg. Und das, obwohl die Fachleute vom 3. Chorleiterkongress des DSB hinübergeströmt waren in die Neubaukirche. Ein Grund zur Klage, Stoff, aus dem die Albträume deutscher Chorleiter sind? Wieder sollen die Ernsthaften zweite Sieger geblieben sein? Wer so klagt, klagt in die Irre. Denn die Rede ist von zwei Paar Schuhen.Gotthilf Fischer, der geniale PR-Stratege in eigener Sache, hat verkauft, was er immer verkauft: Chormusik, die (fast) alle kennen, so schlicht reduziert, dass es (fast) alle verstehen und nachempfinden können. Das ist Biedermeier pur, entsprechend auch die fernsehmäßige Gestaltung. Die Bamberger und Berliner Choristen in Würzburg hingegen haben sich mit schwieriger zeitgenössischer Tonkunst auseinander gesetzt, sind das Risiko des Scheiterns eingegangen und wussten dabei genau, dass sie dies Programm niemals vor Millionenpublikum im Fernsehen wiederholen werden. Nicht wirklich Grund zur Klage also. Was Engagierte in Reihen der Chöre und ihrer Verbände an einem Tag wie dem 17. März dennoch so „fuchst“, ist der scheinbar leichte Erfolg der vielen Gotthilfe mit der „Massenware“. Stimmt es denn nicht: Mit den Millionen, die öffentliche Hände, öffentliche wie private Sendeanstalten und private Sponsoren immer eher dem leichten und dem Quotenrenner anvertrauen – was könnte man da alles an aufregend neuer Kunst produzieren? Wie viele junge Menschen könnte man an ernst gemeinte Musik heranführen, wie viel Positives könnte man anregen?
Der nächste Schritt führt uns zum hundersten Male zu der Frage, ob und wie und womit denn wir unsere Öffentlichkeitsarbeit verändern, verstärken, verbessern müssten, damit am Ende auch die Engagierten und Mutigen etwas abbekommen von der Begeisterung der Massen, die dann sogar die Kassen klingen ließe...
Bei derart emotionaler Betrachtungsweise gerät allerdings leicht die eigene Identität ebenso aus dem Blick wie das Ziel, das man mit ganz konkreten Veranstaltungen ins Auge gefasst hat. Wer sind denn die Sängerinnen und Sänger? Was hat sie bewegt, sich als Amateure aktiv mit Musik auseinander zu setzen, sich den eigenen Platz in dem künstlerischen und sozialen „Körper“, der ein Chor ja unzweifelhaft ist, zu ersingen und sich selbst dort zu erleben? Und mit welcher Erwartung und welcher Ausgangshaltung sind denn die Chorleiterinnen und Chorleiter einmal angetreten?
Für die nach wie vor rund 700.000 singenden Stimmen im Deutschen Sängerbund gilt wahrscheinlich nichts anderes wie für die Chorfreunde unter dem Dach eines der übrigen Verbände oder für die rund acht Millionen Laienmusiker insgesamt, die der Deutsche Musikrat zu den Seinen zählt.
Es gilt, nach allen Beobachtungen, sogar verstärkt für den wider alles Erwarten in den letzten Jahren gewachsenen musikalischen Nachwuchs (beim DSB beispielsweise sangen vor 15 Jahren rund 60.000 junge Menschen unter 27 mit, heute sind es in der Chorjugend des Verbandes über 100.000): Sie treten an, um Musikalität auszuweiten und auszukosten, Gemeinschaft im materiell uneigennützigen Wettbewerb auszuleben, sich an eigene Grenzen heranzuwagen. Sie leisten im besten olympischen Geiste etwas. „Dabei sein“ ist hier zwar nicht alles, hat aber einen hohen Erlebniswert. Manche Jüngere meinen das Gleiche, wenn sie es „Fun-Faktor“ nennen. Unter diesen Voraussetzungen ist Beifall dann wirklich ein hoher und erstrebenswerter Lohn.
Und die Chorleitungen? Nach allem, was man sehen und hören kann, sind die künstlerischen Leiterinnen und Leiter, ob „nur“ Bewahrer oder auch Anreger, mit hohem Idealismus am Werk. In ihren Händen liegt, was Bildungs- und Kulturpolitiker schmählich vernachlässigt haben: die Pflege und Fortführung einer der bedeutendsten europäischen Kulturtraditionen. Aber auch sie – nur einige Berufsmusiker, viel häufiger fleißige, talentierte, teilweise hoch begabte Autodidakten – geben sich der Kunst zuerst hin, weil sie die eigene Erfüllung und den Beifall der anderen erhoffen. Letztlich also finden sich unter dem Dach der Chöre überwiegend Menschen, die Musik leben und sich die Freiheit nehmen, Kunst um ihrer selbst willen nach Kräften zu gestalten.
Wer die Entstehung von Projekten in diesem Umfeld beobachtet, stellt fest: Da denkt (fast) keiner vom ersten Augenblick an mit daran, wie man das Konzert, den Kongress, die Tagung „publikumsgängig“ und also öffentlichkeitswirksam oder gar populär machen kann.
Kundenorientierung, die Spielregel Nummer eins in der Dienstleistungsgesellschaft, hat da noch wenig Gewicht. Uns geht es immer zuerst um die eigene Sache, das eigene innerverbandliche und künstlerische Interesse und dann erst um das Bild, das sich die anderen davon machen. Wer das verinnerlicht hat, dem fällt es leichter, zu akzeptieren: Es gibt hochwertige und respektable Veranstaltungen, die nicht ohne weiteres einem breiten Publikum vermittelbar sind. Zum Beispiel den Chorleiterkongress und die Tage Neuer Chormusik des DSB in Würzburg. Sie gereichen denen zur Ehre, die sie ausdenken, ausrichten und ausführen. Im Vergleich dazu aber muss Gotthilf Fischer die Popularitäts-Nase vorn behalten. Sonst hätten sich die Veranstalter selbstkritische Gedanken zu machen.
Das gilt im Übrigen auch für viele andere Veranstaltungen, die nicht vom Star im Scheinwerferlicht leben. Der Wettstreit der disziplinierten Individuen im Chor ist selbstredend schwieriger nach außen zu vermitteln als der Wettkampf zweier Fußballmannschaften, das Match zweier Tennissolisten. Denn der Chor kennt keine Stars in eigenen Reihen, das ist die eherne Regel. Gegen die kommt auch der Hinweis auf einzelne erstklassige Solisten nicht an. Chor ist Chor, ist Gruppe der Gleichen. Ich erinnere an den von allen Fachleuten einmütig hoch gepriesenen „Deutschen Chorwettbewerb“. Diese Veranstaltung des Musikrates findet außerhalb der Fachwelt wenig öffentliches Echo. Ganz anders ”Jugend musiziert“. Da aber lässt sich das Bild von den aufstrebenden Stars der Zukunft verbreiten...
Unter solchen Voraussetzungen geraten die Erfolgsrezepte leicht außer Kraft, die sonst Werbung und Öffentlichkeitsarbeit leiten. Es gibt zudem, behaupte ich, in unserer Laienmusik, besonders im eigenständigen Chor-Kosmos, noch keine gemeinsame „Corporate Identity“ – weder eine, die jeder von selbst erkennen könnte, noch eine, auf die sich die Handelnden geeinigt hätten. Wir in den Chören und in deren Umfeld vergessen bei allem Wachen über eigene Positionen im Innenleben der eigenen Vereinigung nur zu häufig, das wir alle zusammen als Gemeinschaft Unbezahlbares für die Gesellschaft leisten. Dass Chöre und Chorverbände Kindern und Jugendlichen den ganzen Himmel der Musik öffnen, wo andere nur Abziehbilder davon liefern. Dass Singen und Musizieren soziale und intellektuelle Begabungen wecken und fördern. Dass eine Welt ohne Musik so trist wäre wie eine Wüste unter grauem Himmel.
Mit der neuen Kampagne „Hauptsache: Musik“ versucht der Deutsche Musikrat exakt diese Erkenntnis nach außen zu tragen und Konsequenzen daraus einzufordern. Auf das Echo in ARD, ZDF und „Bild“ müssen wir aber noch warten.
Wer mehr Öffentlichkeit will, mehr politischen Rückenwind, auch mehr Sponsoring für die Chöre und ihre Musik, der muss zunächst wohl doch noch stärker in die eigenen Reihen hineinwirken. Der muss dem Ego der Choristen vermitteln, welche Kraft hinter dem „Wir“ steckt. Keine andere gesellschaftliche Gruppe von der Kopfstärke der Chorverbände hat so wenig „Wir“-Gefühl und erst recht „Wir“-Verständnis entwickelt und geweckt. Und deshalb sind fast alle anderen wirkungsvoller.
Erst wenn sich dieser Wind gedreht hat, werden die Choristen bei aller Wahrung der kulturellen Eigenart Bedingungen und Strukturen entwickeln können, die auch Außenstehenden so leicht zu vermitteln sind wie die Spielregeln beim Fußball oder beim Tennis. Und erst dann sind für viele von uns Publikumserfolge denkbar, wie sie heute Gotthilf Fischer allein einsammelt. Weil er eben „kundenorientiert“ arbeitet. Oder besser: Umsatzorientiert. Nur kein Neid deshalb!