2008 hatte die irakische Pianistin Zuhal Sultan für ihre gerade einmal siebzehn Jahre eine ziemlich kühne Idee: Dem Nationalen Sinfonieorchester ihres Landes, das seit 1959 besteht, ein ebensolches Jugendorchester an die Seite zu stellen. Das kleine Orchester-Wunder geschah: Sultan holte Britische Regierung, British Council sowie die kurdische Teilregierung ins Boot und zu guter Letzt noch (ganz unorthodox über einen flammenden Presseaufruf) den schottischen Dirigenten Paul MacAlindin. Jetzt hatte die junge, vollkommen unerfahrene Formation beim Orchester-Campus des Bonner Beethovenfestes ihr erstes Auslandskonzert.
Ich heiße Tuqa, ich spiele Cello, ich komme aus Bagdad.“ Tuqa Saad Awai spricht nur Arabisch. Wenn sie (was jetzt ziemlich häufig vorkommt) Journalisten etwas aus ihrem Leben erzählen soll, wenn sie sagen soll, wieso sie als Mädchen Cello spielt und was sie da so für Erfahrungen macht, braucht sie einen Dolmetscher. Davon hat das Orchester gleich zwei mitgebracht. Eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme? Mitnichten, wie man schnell lernt. Das Irakische Jugendorchester ist eine Formation, die das ganze Land abbildet: Schiiten, Sunniten, Christen und auch die beiden großen Volksgruppen, Araber und Kurden, weswegen hier gleich zwei Simultan-Dolmetscher auf dem Podium bereit stehen, um Kommentare, Anweisungen des Dirigenten weiterzugeben.
Tuchfühlung
Während der Probenpause steht der arabische Übersetzer in den Katakomben der Beethovenhalle an der Seite von Tuqa, worüber diese augenscheinlich recht froh ist. Das Weltläufige, das auch junge Künstler heute an den Tag legen, ist Tuqa noch fremd. Mag sein, dass es das ungewohnte Rampenlicht ist, das sie schüchtern macht; nicht zu vergessen das mehr oder minder bekannte Reglement traditionell-orientalischer Geschlechterrollen. Den Blickkontakt zu ihrem Gegenüber jedenfalls meidet sie. Und doch: Was Tuqa sagt, hat Hand und Fuß und klingt, so schlicht es daherkommt, nicht weniger überzeugend. „Ja, es stimmt, wenn du als Mädchen im Orchester spielst und sogar noch Cello, bekommst du Schwierigkeiten mit den Leuten.“ Man glaubt es ihr sofort. Ebenso den Nachsatz, aus dem so etwas wie Trotz, wie „Jetzt erst recht“ hervorlugt. „Aber mir macht das nichts aus. Meine Eltern haben mich immer unterstützt und ermutigt.“ Spricht’s, nimmt ihr Cello und eilt wieder auf die Probe. Dort, auf dem Podium der Beethovenhalle, steht Tuqa wieder im Focus. Dass sich die Objektive der Fernsehkameras, der Fotografen immer wieder auf sie richten, liegt sicher auch am leuchtend grünen Kopftuch, das die 17-jährige Irakerin trägt. Angefangen hat sie mit zehn. Und ausgerechnet Cello sollte es sein, ein Instrument, das diese gespreizte Beinstellung erfordert, was über lange Zeit auch in Europa als ausgesprochen „unschicklich“ galt. Doch Tuqa ficht das nicht an. Man merkt das gleich: Ernst, gefasst wie sie dasitzt, ganz vorn am ersten Pult, auf Tuchfühlung mit dem Dirigenten.
Für den Auftritt beim Bonner Beethovenfest (eine Haydn-Sinfonie, Violinkonzert Beethoven, je eine arabische und kurdische Uraufführung) haben sie sich alle ins Zeug gelegt, die 43 Mitglieder des irakischen Jugendorchesters, darunter immerhin neun Mädchen, junge Frauen. Unterstützt wurden sie bei diesem wichtigsten Konzerttermin in ihrer gerade einmal dreijährigen Existenz von Streichern des Bundesjugendorchesters. Man ist eben noch im Aufbau.
In den Sternen
Paul MacAlindin probt gerade die Zugabe, ein Stück, das immerhin ein Sir Peter Maxwell Davies dem Orchester auf seinen blutjungen Klangleib geschrieben hat. Der Schotte setzt sein verschmitztes Lächeln auf und lüftet die Hintergründe zu diesem Engagement im allgemeinen, zu „Reel of Spindrift, Sky“ im besonderen: „Er ist unser amtlicher composer in residence. Das ist sehr klug, weil er nicht dabei sein muss. Aber trotzdem hat er uns ein Stück geschrieben von der schottischen Insel Orkney, das sehr salzig und pfeffrig und schottisch ist und weil ich selbst Schotte bin, bin ich sehr vertraut damit.“ Und mit Journalisten auch. „Auf Deutsch?“ fragt er als wir uns zu ihm setzen und rasch den Eindruck gewinnen, dass hier ein Dirigent steht, der bereit ist, es mit dem Unmöglichen aufzunehmen, der mit Musikern arbeitet, von denen so manche noch nie Instrumentalunterricht erhalten, die sich ihre Kenntnisse auf abenteuerlichen Wegen über das Internet angeeignet haben und denen westliche Orchesterarbeit alles in allem ein Buch mit sieben Siegeln war oder – immer noch ist. Verständlich, dass Mac-
Alindin die Sache, bei allem Enthusiasmus, realistisch sieht. „Man darf nicht vergessen, dass den Musikern manche Orchesterinstrumente aus einem ganz anderen Kontext geläufig sind: aus irakischer und kurdischer Volksmusik.“ Man ahnt, man hört, worin hier die Aufgabe besteht. Es ist Grundlagenarbeit, die der schottische Dirigent leistet. Doch, wie eigentlich soll das gehen – Orchesteraufbau in einem Land, in dem immer noch fremde Truppen stationiert und Selbstmordattentäter unterwegs sind? MacAlindin: „Das Orchester ist immer noch nicht wirklich sicher, weil wir immer noch in der Aufbauzeit nach der Kriegszeit sind, das muss sich über Jahre hinweg entwickeln, damit wir nicht nur Zukunft für uns, sondern auch für die Kultur in Irak haben.“
Paten
So engagiert man das „National Youth Orchestra of Iraq“ zu Werke geht bei dieser von residence-composer Sir Peter aufgesetzten salzig-pfeffrig-schottischen Melange – was die Zukunft des Orchesters angeht, so steht diese doch auf eher wackligen Füßen, in den Sternen, ganz wie man will. Sicher, der Idealismus seiner Mitglieder ist eine Kraft – nur: wird er reichen? Immerhin: Paul MacAlindin ist verhalten optimistisch. „Dieses Orchester hat mindestens eine Zukunft bis ins nächste Jahr, wenn wir von der schottischen Regierung eingeladen werden zum Edinburgh Festival Fringe zu fahren, um dort aufzutreten.“
Und, nicht zu vergessen, weitere starke Paten hat das irakische Jugendorchester jetzt auch in Gestalt eines Kölner Fördervereins, der Deutschen Welle und des Bonner Beethovenfestes hinzugewonnen. Letzteres erklärt, seine Möglichkeiten nutzen zu wollen, um den Kontakt zu Tutoren, zu Instrumentenbauern herzustellen.
„Es reicht nicht“, betont Intendantin Ilona Schmiel am Rande der Proben, „dass wir im Ausland viel dafür tun. Ganz wichtig ist, dass sie im eigenen Land eine Anerkennung finden und bessere Ausbildungsbedingungen.“ So ist es.