Banner Full-Size

Das richtige Tempo – heute eine Illusion?

Untertitel
Leserbrief zum Artikel „Wenn das Metronom allein nicht weiterhilft“, nmz 5/10, Seite 14
Publikationsdatum
Body

Ich danke Herrn Syrbe für seinen Artikel, da er die Tempoproblematik endlich mal wieder angesprochen hat. Das Metronom kann nur als Richtwert dienen, doch dann muss gesehen werden, woher die Angaben stammen. Wenn Herr Syrbe angibt, dass Siegbert Rampe für Mozarts Allegro aus der Sonata facile (KV 545) Viertel 144–152 vorschlägt, dann hätte Mozart sicher nicht Allegro, sondern schon Allegro assai angegeben.

Auch der Vorschlag von Herrn Syrbe, Viertel 140, scheint mir noch etwas zu schnell zu sein. Mit Flöte und Met­ronom ermittelte ich von den neun Notenbeispieltakten sehr schnell meinen Tempovorschlag. Ich nahm das normale Allegrotempo von J.J. Quantz, Viertel 120, dessen Schwingungsrhythmus auf den Halben 60 verläuft, und merkte, dass dies für diesen Mozartsatz zu langsam war, und erhöhte es bis Halbe 66 (Viertel 132) und spürte dann – bei Beachtung der Betonung auf jedem Taktstrich – die richtige Musikwirkung … und dazu reichten die wenigen Takte aus.

Jetzt wird sich jeder Leser fragen: wenn das so einfach ist, warum wird das nicht immer so gemacht? Dies ist schnell beantwortet: eine Grundbedingung zum Musizieren, wie bei unserer Umgangssprache, ist, dass sich betonte und dann mehrere unbetonte Noten beziehungsweise Silben abwechseln. Es gibt zahlreiche und sehr genaue Angaben um 1750 (J.J. Quantz) bis 1790 (D.G. Türk) herum, die ausführlich die dynamische Differenzierung innerhalb eines Taktes darstellen, die in den 1970er-Jahren, als die „Inégalité“ viel beachtet wurde, mir auch in Halle (Saale) bekannt wurden. Erst durch den Radio-DDR-Musikklub über „Inégalité“ vom 21. November 1980 wurde ich darauf aufmerksam, dass um 1900 herum durch die Leipziger Klavierschule, die ganz gleichartiges Tonleiterspiel und anderes verlangte, die Musikdarbietung sich gänzlich änderte und allgemein „egales Spiel“ nur noch zu hören war.

Erschreckend ist daran, dass all die ungeheuer vielen Tonaufnahmen der berühmtesten Dirigenten und Interpreten alle auf einer falschen Grundlage, eben dem egalen Spiel beruhen. Durch die „Inégalité“ wurden etliche Tempi flüssiger (oft wirkte es dann gehetzt), aber ich habe auch schon schreckliche Verunstaltungen von Musikstücken schon erlebt, und auch die Orchester auf alten Instrumenten bieten meist noch die Kennzeichen des egalen Spiels.
Ich lasse mich gerne belehren und wäre erfreut, wenn ich hieraufhin mit mehr oder weniger bekannten Interpreten und Orchestern in einen entsprechenden Dialog über das taktgebundene, inegale Spiel kommen würde. (...)

Ludwig Baumgarten,
Consortium musica viva, Halle

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!