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Das Sankt Floriansprinzip hat ausgedient

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Gespräch mit Claudia Nolte über Gefährdung und Chancen der musikalischen Bildung
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Eine Musikmesse und die Situation der musikalischen Bildung, das hat auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun. Denkt man in größeren Zusammenhängen, wird die Verbindung klarer. Die musikalische Bildung ist in einer Krise. Knapper werdende öffentliche Mittel zwingen zu Kürzungen bei Musikschule und allgemeinbildender Schule. Auch die Tonträgerindustrie sieht traditionelle Absatzmärkte abbröckeln und sucht ihr Heil im Ausverkauf von Klassik nach allen Regeln des Popmarketing. Neue Interessen schaffen neue Koalitionen: Auf der Klassik Komm. haben sich erstmals Musikverbände unter dem Dach des Deutschen Musikrates mit Medien und Musikindustrie zu einer Art konzertierter Aktion, der „Aktion Musik“, zusammengeschlossen, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, den schwachen Stand der musikalischen Bildung zu verbessern. Einige Themen, die die „Aktion“ auf den Kongreßveranstaltungen vorstellen wird, sind im aktuellen Dossier bereits angeschnitten. Die folgenden Seiten widmen sich aber auch den Konzerten, Künstlern sowie den Kongreßveranstaltungen der Klassik Komm. 1997. Den Auftakt des thematisch weitgefächerten nmz-Dossier 9-97 macht ein Interview mit der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Claudia Nolte. Die Fragen stellte Chefredakteur Theo Geißler. nmz: Verehrte Frau Nolte, Sie haben die Schirmherrschaft für den Medienpreis „Leopold“ übernommen, den der Verband deutscher Musikschulen, VdM, auf der Klassik Komm. vergeben wird. Welche Bedeutung messen Sie dieser Auszeichnung bei? Nolte: Der „Leopold“ - ein künftiges Gütesiegel - soll Eltern und Kindern die Auswahl aus einem immer unüberschaubareren Angebot an Tonträgern erleichtern. Ich bin davon überzeugt, daß ein solches Gütesiegel mit dem Signal „Gute Musik für Kinder“ auch Produzenten ermuntern wird, mehr auf Qualität zu achten. Und schließlich verspreche ich mir im Einvernehmen mit dem Verband deutscher Musikschulen von dem neuen Medienpreis auch, daß er insgesamt auf die Bedeutung akustischer Medien für die Entwicklung von Kindern aufmerksam machen wird. nmz: Ihr Ministerium fördert zahlreiche Maßnahmen im Bereich der musikalischen Jugendbildung. Wie argumentieren Sie da gegenüber Ihrem Kollegen Theo Waigel, wenn er Sie zum Sparen auffordert? Nolte: Die für den Bundeshaushalt notwendigen Sparauflagen des Bundesministers der Finanzen betreffen in aller Regel die Gesamtausgaben der einzelnen Bundesressorts, weniger hingegen einzelne Programme. Die musikalische Jugendbildung hat im Rahmen des Programms „Kulturelle Jugendbildung“ einen hohen Stellenwert, der auch in der Förderpolitik des Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend klar zum Ausdruck kommt. So ist beispielsweise der Wettbewerb „Jugend musiziert“ seit Jahren das größte Einzelprojekt im gesamten Kinder- und Jugendplan des Bundes. Trotz aller Wertschätzung der musikalischen Jugendbildung: Wenn der Kinder- und Jugendplan des Bundes spürbar gekürzt werden muß, kann auch die musikalische Jugendbildung nicht das St. Florians-Prinzip für sich in Anspruch nehmen. Als für diesen gesellschaftlich wichtigen Bereich zuständige Bundesministerin bin ich jedoch sehr froh, daß die ungebrochene Dynamik in der musikalischen Jugendbildung in Deutschland in den vergangenen Jahren nicht zuletzt auch mit Hilfe der Fördermittel aus dem Kinder- und Jugendplan des Bundes aufrecht erhalten werden konnte. nmz: Was bedeutet eine konsequente musikalische Jugendbildung aus Ihrer ganz persönlichen Sicht? Nolte: Gerade die musikalische Jugendbildung ist bei der Entwicklung jener sozialen Eigenschaften von Bedeutung, über deren Fehlen heute soviel geklagt wird: Eigeninitiative, Leistungsbereitschaft, Selbstdisziplin und rücksichtsvolles Miteinander in der Gemeinschaft. Überdies spricht Musik alle unsere Sinne an. Sie läßt uns den Druck des Alltags vergessen, verschafft uns immer neue, positive Eindrücke und beflügelt unsere Phantasie. nmz: Es gibt einen Trend zur Privatisierung im Bildungswesen. Gerade Musikschulen stehen als Folge von Sparmaßnahmen bei Kommune und Land oft zur Disposition. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung? Nolte: In einer Zeit des knappen Geldes müssen die Kulturausgaben und die Mittel für die musikalische Jugendbildung ebenso auf den Prüfstand gestellt werden wie die Mittel aller anderen Bereiche. Doch es wäre fatal, wenn die berechtigten jugendpolitischen Anliegen aus rein finanziellen Aspekten betrachtet würden und pädagogische Gesichtspunkte aus dem Blickfeld gerieten. Weil Musikschulen tragende Säulen der kulturellen Jugendbildung sind, dürfen sie nicht zu rein einnahmeorientierten kommunalen Einrichtungen verkommen. Dafür, daß dies nicht geschieht, mache ich mich bei den unterschiedlichsten Anlässen stark, insbesondere auch bei öffentlichen Veranstaltungen des Verbandes deutscher Musikschulen. nmz: Die musikalische Grundversorgung ist in Gefahr: Musikunterricht an den allgemeinbildenden Schulen fällt zunehmend „Reformen“ zum Opfer. Wenn Sie „Bundeskultusministerin“ wären, welchen Stellenwert hätte für Sie der Musikunterricht? Nolte: Diese Frage sollten Sie an die Kultusminister der Länder richten. Für die Schulpolitik sind Kollegen der Länder zuständig, und deswegen möchte ich mich sehr zurückhaltend äußern. Aber fest steht: Das Interesse weiter Kreise der Bevölkerung an einer Teilnahme am Musikleben kann nur geweckt und ausgebildet werden, wenn Musik in der schulischen Bildung angemessen berücksichtigt wird. Musikunterricht muß in allen Schularten und -stufen angeboten werden. Wegen eines eklatanten Mangels an Fachlehrkräften findet der in den Stundenplänen vorgesehene Musikunterricht jedoch vielerorts nicht statt. Und da, wo in zusätzlichen Arbeitsgemeinschaften vielfältige instrumentale und vokale Ensembles gebildet werden, wird ein solches gemeinschaftliches Musizieren nicht selten durch organisatorische Bedingungen erschwert. Wenn an den allgemeinbildenden Schulen die musikalische Grundversorgung in Gefahr gerät, sollten Eltern viel stärker noch als bisher ihre Stimme erheben und ihre Interessen geltend machen. So wie sich kürzlich der Bundeselternrat gemeinsam mit dem Deutschen Sportbund zum ebenfalls unver- zichtbaren Schulsport geäußert hat. nmz: Welchen Stellenwert räumen Sie Wirtschaft und Medien im Zusammenhang mit musikalischer Jugendbildung ein? Nolte: Die musikalische Jugendbildung kommt auch allen Aktivitäten, die sich mit der Produktion, Verwertung, Darbietung und Verteilung von Musik befassen, zugute. Daher muß der Musikwirtschaft sowohl an einer musikalischen Breitenförderung als auch Begabtenförderung gelegen sein. Dies gilt für den Musikinstrumentenbau, den Handel mit Musikalien und Musikinstrumenten ebenso wie für Musikverlage, selbstverständlich für die professionellen zahlreichen Musikorchester. Musikalische Jugendbildung ist also nicht nur Grundlage für zahlreiche Musikberufe, sondern ebenso eine wichtige Basis für die Musikwirtschaft. Deshalb begrüße ich es sehr, daß sich Musikindustrie und Medien gemeinsam mit Musikverbänden im Rahmen der Klassik Komm. zu einer konzertierten Aktion zusammenfinden. Eine solche „Aktion Musik“ kann dem mancherorts langsamen Abbröckeln der musikalischen Erziehung entgegenwirken. Deshalb wünsche ich dieser Aktion unter dem Dach des Deutschen Musikrates viel Erfolg!

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