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In den Weiten des Klangleuchtlabyrinths

Untertitel
Der Komponist Josef Anton Riedl und seine Grenzüberschreitungen
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„aus glasröhren 6 achterbahnartige systeme, die teilweise ins auditorium hinausragen und in denen glaskugeln rollen, die am ende der röhren in glasgefässe fallen...“ Was anmutet wie die Beschreibung eines Spielzeug-Kindertraums, entstammt der von Josef Anton Riedl in typischem Reihungsstil verfaßten Werkbeschreibung zu dem 1995 in Donaueschingen uraufgeführten „wu-tkar; ssla ztastal-tkarbu“, dessen Titel gleichzeitig das Material für die im Stück vokaliter dargebotenen Lautgedichte darstellt. In diesem „Audiovisual Event“ für acht Ausführende und zwei Stereo-Tonbandaufnahmen kommen außerdem vor: „systeme, kugeln, gefässe, scheiben, platten, stäbe jeweils verschieden in grösse; rollen, fallen, kreisen, hin- und herbewegen, schütteln, durchstossen, zerdrücken, -quetschen, schütten jeweils verschieden; glasgegenstände jeweils luft- und kontaktmikrophoniert“, dazu „sprechen normal, geflüstert, mit geschlossenem mund, ohne stimme aber sichtbar“, sowie „klatschen in hände, auf oberarm, brust, hüften, schenkel.“ Mit der Verwendung solch ungewöhnlichen Instrumentariums, von asemantisierten Sprachklängen in den virtuosen Lautgedichten, mit der Schichtung von Live- und Tonbandklängen in „collagierter Vielstimmigkeit“ (U. Dibelius) und der Einbeziehung gestischer und szenischer Momente in den musikalischen Ablauf, ist in dieser etwa 20minütigen Komposition viel von dem enthalten, wofür der Münchner Komponist Josef Anton Riedl in den letzten Jahrzehnten international bekannt geworden ist. Im Zusammenhang mit einer anderen Donaueschinger Installation, dem „Klangleuchtlabyrinth“ von 1976, beschreibt Josef Häusler Riedl als einen Musiker, „den sein vielseitig aufgeschlossenes Naturell, sein waches Sensorium für die Erscheinungen der Außenwelt und für die verzweigten Wege der Schwesterkünste, nicht zuletzt der Einfluß John Cages, zunehmend auf Bahnen außerhalb der konventionellen Klangproduktion und der hergebrachten Klangwerkzeuge geführt hatte.“ Kein Streichquartett! Wo ein Großteil des heutigen Kulturbetriebs – trotz bahnbrechenden Wirkens solch universeller Geister wie Duchamp oder Schwitters, Cage oder Xenakis – noch immer in den Kategorien der Spartenbildung denkt, der bequemeren Einordnung halber Abgrenzungen lieber beibehält, wenn nicht gar erst errichtet, sind Grenzüberschreitungen aller Art bis heute Josef Anton Riedls innerstes Anliegen. Damit gehört er zu den wenigen Komponisten, die an einem experimentellen Kunst- und Musikbegriff festgehalten haben, die nicht dazu übergegangen sind, wie viele seiner ehemaligen Mitstreiter auch noch mit Sinfonien und Streichquartetten beglücken zu wollen. Als Komponist und Autor von akustischen, Zeichner von optischen Lautgedichten (letztere wollen als „visuelle Musik“ im Stillen gehört werden...), als Propagator offener Werkformen (Riedl: „Möglichst jede Aufführung des gleichen Stückes eine Art Uraufführung. Ich bin neugierig, will überrascht werden.“) als Schöpfer und Anreger von Multimedia-Ereignissen aller Art (etwa mit der mehrmaligen Realisierung von John Cages Konzeptstücken „HPSCHD“ und „Musicircus“) ließ Riedl sich auch nie abschrecken von echten und vermeintlichen Barrieren zwischen der elektronischen Musik Kölnischer Prägung und der Musique concrète Pierre Schaeffers oder Pierre Henrys (was sich etwa in der „Komposition Nr. 3“ von 1965/67 mit konkreten und elektronischen Klängen niederschlägt). Er überwand die ideologischen Schranken zwischen seriellen und aleatorischen Prinzipien, zwischen instrumental dargebotener und Lautsprechermusik, zwischen den Zirkeln der Kenner und der großen Schar neugieriger Laien im Publikum. Riedl verwendet in seinen Kompositionen die unterschiedlichsten Kunstmittel mit einer inneren Freiheit und dabei einer Konsequenz, wie man sie in ähnlich umfassender Ausprägung vielleicht tatsächlich nur noch bei John Cage antreffen konnte. Bei aller Geistesverwandtschaft verzichtet Riedl im Gegensatz zu Cage jedoch fast gänzlich auf die konventionellen Mittel des Musikmachens, wie sie sich (im längst durch das „global village“ abgelösten) Abendland etabliert haben. Kein Orchester- oder Chorwerk, kein Streichquartett, keine Oper, selten nur einzelne Stimmen für traditionelle Musikinstrumente verließen in den letzten Jahrzehnten seine Werkstatt. Stattdessen steht man vor einer eindrucksvollen Reihe von Werken für verschiedenste Schlagzeugbesetzungen (vom „Stück für Schlagzeug 51“ bis zu „n-v, gl“ von 1989-93/95 für Fell-, Holz- und Metallschlagzeug und Sprechen), zahlreichen Stücken für Tonband (von der „Studie 51“ mit konkreten Klängen bis zu „Un chien andalou“ von 1981, einer autonomen Musik zu Bunuels gleichnamigem Film) mit konkreten und/oder elektronischen Klängen, umfangreichen Zyklen von Lautgedichten für Instrumentalisten und perkussiv den eigenen Körper mit einbeziehenden Sprechern (zum Beispiel das Album „Sila Silaspihr“ 1977ff, das komplett aufgeführt wohl um die vier Stunden dauern würde), spektakulären Multimedia-Events, wie die „Spielstraße“, ein Environment zur Olympiade 1972 oder die „Klang/Licht/Duft-Spiele“ von 1973, die Riedl vor allem mit seinem 1967 gegründeten Ensemble „Musik/Film/Dia/Licht-Galerie“ realisierte. Alles dies sind Werke und Konzepte, mit welchen Riedl als Vertreter einer experimentell orientierten Avantgarde immer mit in vorderster Reihe stand, wenn er dabei auch seine Person (durchaus in ideeller Verwandtschaft zu John Cage) stets im Hintergrund zu halten bemüht war. Entzog sich John Cage im Jahre 1990 auf stille, für ihn konsequente Weise den Feierlichkeiten zum 80. Geburtstag durch seinen unerwarteten Tod, so entgeht der allerdings quicklebendige Josef Anton Riedl jeglichen – ihm unangenehmen – runden Jubiläen auf andere, wenn auch nicht auf weniger ernste Art: Sein genaues Geburtsjahr ist nicht bekannt. Das Lexikon „Komponisten der Gegenwart“ erklärt: „Da sich seine jüdische Mutter, obwohl getauft, zur Emigration gezwungen sah, wurde sein Geburtsjahr (wie das seines jüngeren Bruders) wahrscheinlich um zwei Jahre vorverlegt, um beide vor staatlichem Zugriff bewahren zu können.“ Und so folgt dem angegebenen Geburtsdatum 11. Juni 1929 stets ein Fragezeichen. Geboren in München, aufgewachsen in Murnau, im Dritten Reich versteckt in mehreren Benediktinerklöstern, kam er erst nach einer Odyssee durch verschiedene Lager, unter anderem in Frankreich, 1947 zurück in seine Heimat. Nimmt man nun nicht Riedls zirka 70 Lebensjahre zum Anlaß einer umfassenden Würdigung, so sind es auf jeden Fall die nunmehr 50 Jahre seines unermüdlichen Engagements sowohl für künstlerische Innovation als auch für musikalische Jugend- und Erwachsenenbildung. Auf kompositorischem Gebiet waren es die umfangreichen Schlagzeugpartien einiger Kompositionen Orffs, dessen Schüler er später wurde, aber auch Varèses „Ionisation“ für dreizehn Schlagzeuger, die Riedls eigene kreative Ader anstachelten. Hinzu kamen Kurse bei Hermann Scherchen in Gravesano, frühe Kontakte zu Karl Ama-deus Hartmann und dessen Reihe musica viva (für die Riedl heute beratend tätig ist) und in der Zeit von 1951 bis 1954 erste Begegnungen mit der Musique concrète und Pierre Schaeffer. Auf Empfehlung Orffs war er dann von 1959 bis 1966 musikalischer Leiter des Siemens Studios für Elektronische Musik, an der es zu einer äußerst fruchtbaren Phase der Pionierarbeit auf dem Gebiet der elektroakustischen Musik kam. Diese wurde jüngst auf einer CD des Siemens Kulturprogramms dokumentiert (wer Interesse hat, kann diese – solange der Vorrat reicht – bei der nmz-Redaktion kostenlos anfordern). Initiator und Vermittler In die Rolle des Vermittlers und Veranstalters wuchs er bereits 1950 hinein, als er gemeinsam mit Herbert Barth, Eckart Rohlfs und Reiner Bredemeyer die deutsche Sektion der Jeunesses Musicales gründete, für deren Münchner Gruppe er den Vorsitz übernahm. So begann eine bis heute andauernde intensive programmgestaltende und organisatorische Tätigkeit, in welcher Riedl bald auch den Beistand seiner ebenso unermüdlichen Frau Rosl erhielt. Nach ersten Konzerten in den Jahren 1950 bis 1954, die Riedl im Rahmen der Jeunesses Musicales veranstaltet hat, begann unter seiner Leitung 1960 die Initiative „Neue Musik München“, die heute jährlich zweimal die Klang-Aktionen ausrichtet, davon je ein mehrere Konzerte umfassendes Festival im Herbst und eine kleinere Veranstaltungsreihe im Frühling. Ziel seiner Programme sei es, so Riedl, „in München wenig bekannte, unbekannte, von anderen Münchner Veranstaltern wenig oder nicht berücksichtigte Neue Musik einschließlich Grenzüberschreitendes (Multimedia, Installation, neue Instrumente, bildende Kunst, Literatur) verschiedenster internationaler Strömungen der mehr experimentellen Richtung mit internationalen Interpreten Neuer Musik in Konzerten, audiovisuellen Ausstellungen, Filmen, Vorträgen vorzustellen.“ Später kamen noch die Veranstaltungsreihe „Traditionelle außereuropäische Musik“ der Stadt München hinzu, außerdem war er 1973 bis 1983 Leiter des Kultur Forums Bonn und bis 1987 der Bonner „Tage Neuer Musik“. Das Musikleben im München nach 1945 wäre für den an Experimentellem, an Neuem aller Art in der Musik Interessierten ohne die Klang-Aktionen schlicht unerträglich gewesen. Oft war es Riedl allein, der international bedeutende Figuren von Boulez oder Cage bis Tudor oder Xenakis zu Konzerten, Lesungen, Vorträgen, Performances, Ausstellungen, Podiumsgesprächen nach München einlud, der andererseits jungen, noch unbekannten Komponisten ein Forum bot und regelmäßig Arbeitsgruppen aus Schulen für die Aufführung experimenteller Musik gleichberechtigt in die Programme mit einbezog. Sorgfältige Programmgestaltung und technisch hervorragende Realisation ließen die Klang-Aktionen oftmals zu scheinbar durchkomponierten Komplexen geraten, wobei betreffs Besetzung und Einsatz technischer Medien große Abwechslung den Verlauf bestimmt. Viele der hier aufgeführten Werke sind so außergewöhnlich, daß sie kaum andere Interpreten finden als die musikpraktisch entsprechend vielseitigen Komponisten selbst, teilweise verstärkt aus dem Kollegenkreis. Gerade aus dem Umfeld Riedls und von Riedl selbst stammen in der Regel solche Stücke, die ohne Rücksicht auf Vermarktbarkeit (in bezug auf herrschenden Geschmack, Instrumentarium, technische Realisation, Interpreten und verlegerische Distribution) komponiert wurden. Genannt seien an dieser Stelle wenigstens Zoro Babel, Werner J. Gruber, Cornelius Hirsch, Michael Hirsch und Michael Lentz, die alle eine ausgeprägte individuelle künstlerische Physiognomie besitzen und sich lediglich durch die enorme Weite des ästhetischen Horizontes letztlich zu so etwas zusammenschließen wie einen „Kreis um Riedl“.

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