Der Aufschrei von Thomas Chr. Heyde und Peter Köszeghy gegen Strukturen heutiger Festivals Neuer Musik (siehe dazu die letzte nmz 12/01-01/02, Seite 1), hat ungewöhnlich heftige Reaktionen hervorgerufen. Sie reichten von emphatischer Akklamation bis zur entschiedenen Ablehnung und dem Vorwurf halbstarken Gehabes.
Der Aufschrei von Thomas Chr. Heyde und Peter Köszeghy gegen Strukturen heutiger Festivals Neuer Musik (siehe dazu die letzte nmz 12/01-01/02, Seite 1), hat ungewöhnlich heftige Reaktionen hervorgerufen. Sie reichten von emphatischer Akklamation bis zur entschiedenen Ablehnung und dem Vorwurf halbstarken Gehabes. Ein paar Anmerkungen vorweg, um den Debatten eine wenig fruchtbare Verhärtung zu nehmen. Zunächst einmal: Es geht nicht, oder nicht primär, um Donaueschingen. Zwar hat sich die Diskussion an Donaueschingen entzündet, oder besser an einer Durchsicht der Kritiken darüber, die ein partielles Erlahmen der kreativen Kräfte wahrzunehmen meinten (übrigens hatte man sich im Programmheft der letzten Donaueschinger Musiktage ebenfalls zu diesem Fragenkomplex geäußert). Es geht vielmehr um die Frage, ob die gewachsenen Strukturen nicht einem schöpferischen Habitus Vorschub leisten oder ihn prolongieren, der viele heutige Denkansätze musikalischen Schaffens ausgrenzt oder zumindest an den Rand drängt. Man kann sich ja durchaus Gedanken machen, ob zum Beispiel der Ritus des dominierenden Orchesterkonzerts, den viele Festivals heute genauso beibehalten wie vor 50 Jahren (und der von Trägern und Mitgestaltern des Festivals auch eingefordert wird) noch auf uneingeschränkte Gegenliebe seitens vieler junger Komponisten stößt.Es ist also durchaus möglich, dass eine Institution zum Hemmschuh neuer kreativer Ansätze wird. Auch wird man darüber nachdenken können, ob sich die gewachsene Festival-Klientel aus Kritik, Verlagen, Veranstaltern und Musikern/Komponisten, die ja in erster Linie aus der Ghettoisierung der Neuen Musik vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg hervorwuchs, ästhetische Leitlinien schuf, die schöpferisch anders gelagerten Positionen wenig Chancen geben.
Fragen dieser Art, die auch das eigene künstlerische Selbstverständnis kritisch beleuchten, müssen immer wieder gestellt werden. Niemand hat einen Erbpachtvertrag für die Darbietung relevanter künstlerischer Aussagen. Und die Musikgeschichte kennt immer wieder radikale Wendepunkte, in denen alte Institutionen, alte Plätze künstlerischer Darbietung verlassen wurden und neue Orte, die dem gewandelten Kunstverständnis mehr entsprachen, aufgesucht wurden. Solche Ortswechsel freilich gingen meist einher mit gesamtgesellschaftlichen Umwälzungen, die kulturellen Äußerungen anderer Schichten suchten sich ein ihnen gemäßes Ambiente.
Ist solches heute auch der Fall? Hierauf lässt sich keine eindeutige Antwort geben. Feststellbar ist ein erlahmendes Interesse vor allem beim jungen Publikum gegenüber dem Bereich der klassischen Musik. Auf der anderen Seite konnte man gerade an Orten wie Donaueschingen in den letzten Jahren einen spürbaren Anstieg des Andrangs wahrnehmen – und man tat es mit Freude! Die Protestwelle, die von breiten kulturellen Schichten getragen wurde, als über eine Reduzierung (oder gar Abschaffung) der Donaueschinger Musiktage rigide und laut nachgedacht wurde, war beispiellos.
Nein, wir wollen uns die Orte der Auseinandersetzungen mit frischen musikalischen Ideen nicht nehmen lassen! Und das schon gleich nicht von irgendwelchen Rotstiftbürokraten. Gleichermaßen aber ist Frische und Lebendigkeit immer wieder aufs Neue zu erkämpfen. Wer das Murren der Jugend nicht ernst nimmt, es als unausgegorene Aktion der Unreife betrachtet, darf sich nicht wundern, wenn diese sich eigene Plätze abseits von den sanktionierten Orten schafft. Weniger wohl als bei anderen kulturellen Einrichtungen, die mitunter ihren Charme aus ihrer konservativen Beharrlichkeit ziehen, dürfen in Reihen und Festivals mit zeitgenössischer Musik Strukturen der Zementierung aber auch der ästhetischen Vereinseitigung Eingang finden.
Zwischen der Verpflichtung zu qualitativer Auswahl und zur breiten Abdeckung neuer Strömungen wird es stets nur einen schwierigen und beschwerlich gangbaren Weg geben. Und es gibt kaum eine Entscheidung eines Veranstalters, die nicht von der einen oder der anderen Seite sofort angegriffen würde. Gerade das aber ist es, das die Auseinandersetzung mit Neuer Musik auszuhalten hat. Aufgabe ist es, immer wieder Barrieren (auch die eigenen) einzureißen und wach wie offen zu bleiben gegenüber allen sich regenden Widerständen. Diese Wachheit heißt ja nicht, eigene Positionen aufzugeben, vor allem auch nicht gegenüber noch unfertigen und vielleicht auch hilflosen Ansätzen, die erst einmal ihren Unmut los werden wollen.
Helfen kann nur die beständige Auseinandersetzung. „Dieses Buch habe ich von meinen Schülern gelernt“, schrieb Schönberg einst als Motto über seine Harmonielehre. Und sicher waren auch damals die Positionen der Schüler in sich unstimmig und unausgegoren – und vielleicht gerade dadurch besonders lehrreich. Darum will die nmz in diesem Dossier zunächst einmal Meinungen gegenüberstellen und Argumente für sich sprechen lassen. Sie finden ein Positionspapier von den Initiatoren Heyde/Köszeghy, Kommentare von Max Nyffeler und Hans-Peter Jahn, Ausschnitte aus der breit geführten Internet-Debatte und schließlich eine ausführliche Brief-Diskussion zwischen dem in Halle auch als Veranstalter wirkenden Prof. Thomas Buchholz und Thomas C. Heyde. Beim Organisator der Donaueschinger Musiktage Armin Köhler hat die nmz auch um eine Stellungnahme gebeten. Armin Köhler will sich aber erst in der nächsten Ausgabe nach genauerer Prüfung der einzelnen Positionen zum Gegenstand äußern.