Berlin/Köln - Ob Stradivari, Guarneri oder Vuillaume: Alte Streichinstrumente sind heiß begehrte Objekte. Bei Musikern, Sammlern, Geldanlegern - und bei Dieben. Ein Streifzug durch die Welt der schönen Klänge und der dunklen Machenschaften.
Vielleicht ist ein altes Schloss kein schlechter Ort für eine Geigensammlung. Der Weg dahin führt in diesem Fall durch Schloss Bedburg bei Köln über drei Etagen hinauf zu Jost Thöne. Der fast Zwei-Meter-Mann steht oben am Treppenabsatz und grüßt freundlich. Hinter ihm öffnet sich eine Galerie wie ein Museum. Und da warten sie, in Reih und Glied aufgestellt, als seien sie Skulpturen: die klingenden Schätze des Herrn Thöne. «Violin Assets» steht unten an der schweren Tür - einfacher gesagt Geigenvermögen. Das passt. Bei Geigen schwingt oft der Sound von Geld mit. Jedenfalls bei alten Stücken.
Jost Thöne, 54 und studierter Bratschist, ist vor 30 Jahren in den Geigenhandel eingestiegen. Er führte früher ein Geschäft in der Nähe des Gürzenich mitten in Köln. Der Ort, nahe am Sitz des städtischen Orchesters mit all den Musikern, die kommen und gehen, war ihm aber nicht diskret genug für sein Gewerbe. Thöne zog mit einem neuen Geschäftspartner, dem Banker Christian Reister, 2013 ins Schloss nach Bedburg. Denn Geigenhandel hat viel mit Verschwiegenheit zu tun.
Die Geschichte der Violine ist eben auch eine Geschichte von Käufern und Verkäufern. Manchmal auch eine von Dieben, Hehlern und Betrügern. Und sie ist voller Legenden und Mythen um alte Exemplare, für die Liebhaber Millionen zahlen. Die hochwertigen Stradivari und Guarneri sind extrem begehrt - und gefährdet. Dutzende dieser Prachtstücke wurden gestohlen, einige tauchten später wieder auf, viele blieben bis heute verschollen.
Thöne und Reister betreiben ihr Geschäft mit der Nüchternheit der Bankiers und dem Enthusiasmus von Sammlern. Sie bringen Instrumente, Anleger und Musiker zusammen. Seit 2013 haben sie mehrere Dutzend Instrumente vermittelt.
Die Nachfrage ist groß: Denn die Musikhochschulen entlassen immer mehr Geiger und Bratscher. Hoch qualifizierte Interpreten drängen auf Podien und in Orchestergräben, Kammermusik-Ensembles sprießen aus dem Boden. Im Prinzip eine erfreuliche Entwicklung. Aber sie hat einen Haken. Die Zahl der begehrten alten Instrumente wächst nicht mit. Die so entstehende Verknappung macht hochwertige Geigen, Bratschen und Celli immer teurer - und damit zu lukrativen Anlageobjekten, zuweilen unerreichbar für junge Talente.
Ob Amati, Stradivari oder Guarneri - von den Kronjuwelen existieren weltweit nur einige hundert Exemplare. Zwar hat etwa der Italiener Antonio Stradivari (wohl 1644 oder 1648-1737) vermutlich etwas mehr als tausend Stück in seiner Werkstatt in Cremona hergestellt. Doch davon sind nach Schätzungen von Simon Morris, Direktor des Geigenhändlers Beare in London, etwa 550 Geigen, 60 Celli und 12 Bratschen bekannt. Manche nennen leicht andere Werte. Im Fall von Guarneri wisse man von etwa 140 Exemplaren.
Jost Thöne kennt die Zahlen, auch er hat Schätzungen. Mit dem Spürsinn eines Detektivs hat er weltweit Geigen, Bratschen und Celli aus dem Hause Stradivari aufgespürt. In acht üppig bebilderten Bänden dokumentierte er 300 Stradivari: «Ich könnte bis zu 400 schaffen», schätzt er. Er reiste dafür weit herum zwischen San Francisco und Tokio, sprach mit scheuen Sammlern und verschwiegenen Milliardären.
Dabei versteht sich Thöne keineswegs nur als «Headhunter» für Stradivari. «Violin Assets» könne nicht nur die Juwelen vermitteln. Investoren und Mäzene seien auch bereit, nicht so teure Geigen zu erwerben und an Musiker zu verleihen. Zwar seien bei einer Stradivari die Renditen höher: «Fünf bis acht Prozent sind bisher immer drin gewesen - im Jahr», schwärmt Thöne. Doch wer hinter dem Streicher-Investment nur das Schielen nach Gewinn vermutet, habe den Ansatz nicht verstanden. Und wohl auch die Klientel nicht.
«Hier sitzen oft Leute», erzählt Thöne und zeigt auf das Ledersofa in seinem Studio, «denen es nicht um die Rendite geht. Die machen sie in ihrem Job.» Investoren, die in den ersten Jahren ihres Berufslebens vor allem mit der Kapitalvermehrung beschäftigt gewesen seien, suchten irgendwann den Kontakt zur Kulturszene. So kämen bei einigen auch Geigen ins Spiel. «Es ist wunderbar, wenn die Rendite realisiert werden kann, aber da ist kein Schwerpunkt.»
Und es ist ja auch nicht so, dass Händler immer nur Mondpreise erzielten. Noch 1980 war eine Stradivari für rund 200 000 US-Dollar zu haben. Doch seitdem haben die Preise im Durchschnitt um rund 15 Prozent im Jahr angezogen, wie das US-Beratungsunternehmen Violin Advisors ausgerechnet hat. 2011 wurde die «Lady Blunt»-Stradivari, die einst Yehudi Menuhin spielte, für die Riesensumme von knapp 16 Millionen US-Dollar (heute rund 15 Millionen Euro, damals 11 Millionen) versteigert.
Auf den Markt gebracht hatte sie die japanische Nippon Foundation, die mit dem Erlös Erdbebenopfer unterstützte. Die Stiftung Nippon besitzt eine beeindruckende Zahl hochwertiger Instrumente, die sie, wie andere Stiftungen auch, Musikern zur Verfügung stellt.
Dabei sahen vor einem halben Jahrhundert Kulturpessimisten die Violine bereits als «Königin ohne Reich». Das Instrument sterbe aus, schrieb der italienische Musikautor Antonio Mingotti 1955 in der «Zeit». Atonale «Hustentöne» hätten den spätromantischen «Brokatklang» zerstört. In Zukunft werde es nur noch elektronisch erzeugte Musik geben. Mingotti trug dick auf - und lag falsch.
Millionen Menschen lernen heute ein Streichinstrument, vor allem in Asien. In China sind es schätzungsweise sechs Millionen. Viele bekommen nach der Grundausbildung daheim an europäischen und amerikanischen Hochschulen den letzten Schliff. Musiker aus China, Japan und Südkorea sitzen in vielen Profi-Orchestern in Europa und den USA.
Alle paar Jahre steigen junge Geiger auf die große Bühne - und verschwinden oft schnell wieder. Einer wie David Garrett (36) jedoch füllt mit seiner Mischung aus Pop und Klassik sogar Sportstadien. Schon in den 30er und 40er Jahren des 20. Jahrhunderts verzauberten Virtuosen wie Menuhin (1916-1999) und Nathan Milstein (1903-1992) ihr Publikum. Hollywood-Filme verschafften dem Virtuosen Jascha Heifetz (1901-1987) Kultstatus.
Heute sind Geiger wie Itzhak Perlman (71), Anne Sophie-Mutter (53) und Julia Fischer (33) Stars. Das Berliner Artemis Quartett begeistert weltweit die Fans. Das junge deutsche Vision String Quartet gewinnt Wettbewerbe: Die vier erobern der Kammermusik, die zu Unrecht als sperrig verrufen ist, mit ihrem unkonventionellen Programm ein neues Publikum.
Und talentierte Musiker brauchen gute Instrumente. «In Zeiten explodierender Marktpreise ist es jungen Konzertinstrumentalisten zu Beginn der Karriere kaum möglich, ein hochwertiges Instrument zu erwerben», sagt der Geiger Sven Stucke. Der Magdeburger spielt auf einer von Thöne vermittelten Tommaso Balestrieri von 1767.
«Im Laufe meiner Konzerttätigkeit hatte ich immer wieder die Möglichkeit, mit herausragenden Instrumenten von Stradivari, Guarneri, Storioni oder Vuillaume aufzutreten», erzählt Stucke. Meist sei die Leihgabe aber an Projekte oder kürzere Perioden gebunden gewesen.
Auch Xandi van Dijk könnte bald ein Mäzen zur Hilfe kommen. Der Streicher beim Kölner Signum Quartett sucht eine Bratsche. Das Kammerensemble ist auf dem Sprung zu einer internationalen Karriere, da müssen die Instrumente stimmen. Es sei wie ein Liebeswerben, sagt der Südafrikaner bei seiner ersten Probestunde bei «Violin Assets». Van Dijk hofft, dass daraus bald eine lange Beziehung entsteht.
Zwar hat sich eine neue Generation von Instrumentenbauern etabliert. Laien dürften den Klang neuer Geigen oft kaum von den historischen Vorbildern unterscheiden.
Vor fünf Jahren wollten Experten an der Pariser Universität dem angeblichen Klanggeheimnis alter Juwelen wie einer Stradivari endlich auf die Spur kommen. Physiker setzten Rasterelektronenmikroskope und Spektrometer ein. Ob der Lack oder das Holz - das Klangideal müsse ja messbar sein, lautete die Annahme.
In einem Blindtest ließen die Wissenschaftler sechs Geigen, drei alte und drei neue, gegeneinander antreten. Die Musiker konnten die alten ??und die neuen nicht eindeutig voneinander?? trennen. Von «Stradivaris Pleite» berichtete die «Frankfurter Allgemeine Zeitung».
Auch Thöne kennt das Experiment. «Stradivari war genial, erfinderisch, fleißig - das war sein Geheimnis.» Vom Deuteln an Lack oder Holz hält er nicht viel. Der Meister habe immer wieder an seinen Instrumente?n? gefeilt, neue Dinge ausprobiert. Den Pariser Test findet er realitätsfern.
Ähnlich argumentiert der britische Instrumentenbauer John Dilworth. Keiner habe im goldenen Violin-Zeitalter Ende des 17.?, Anfang des 18. Jahrhunderts die Perfektion des Cremonesers Stradivari erreicht. Die Handwerksfamilie habe den Geigenbau verändert. Der Ruf einer Stradivari beruhe auf der Summe winziger Eingriffe, die für die Augen - und Ohren - eines Laien kaum zu ergründen seien.
So bleibt der Mythos wohl unzerstörbar. Davon haben bisher vor allem international bekannte Händler profitiert. In den Häusern in Paris, London, New York und Chicago herrscht dabei zuweilen eine, wie Kritiker sagen, ungesunde Personalunion. Denn die etablierten Handelshäuser stellen auch Zertifikate aus, die für die Echtheit eines Instruments bürgen - und zugleich die Preisklasse vorgeben. Insider sprechen von einem undurchsichtigen Gebaren und Mauscheleien, da die Händler nicht selten am Verkauf beteiligt seien, dessen Preis sie selber festlegen.
«Wer Händler ist und Zertifikate schreibt, hat ein gewisses Problem der Loyalität gegenüber dem Kunden», sagt auch Thöne. «Schwarze Schafe gibt es in jeder Branche.» «Violin Assets» ziehe zwar auch Experten zurate. Aber nur gegen Honorar - ohne Gewinnbeteiligung.
Besonders krass war der Fall eines deutschen Geigenhändlers, der wegen Betrugs in großem Maßstab zu sechs Jahren Haft verurteilt wurde. Jahrelang hatte er falsche Herkunftspapiere ausgestellt und überteuerte Instrumente als Sicherung für Bankkredite eingesetzt - bis der Schwindel 2011 aufflog. Er hatte alte Geigen bis in das 17. und frühere 18. Jahrhundert rückdatiert. Untersuchungen der Jahresringe im Holz ergaben, dass die Bäume erst Jahrzehnte später gefällt worden waren. Zwei der Geigen waren nur je 2000 Euro wert.
Susanne Leuthner kennt die Szene der Streicher sehr gut. Sie leitet bei der Mannheimer Versicherung die Instrumentenabteilung und weiß, dass Geigen, Bratschen und Celli auch Objekte der Begierde sein können. Zwar bestätigt Leuthner nicht, dass der Diebstahl rasant zugenommen habe. «Doch in den letzten zehn Jahren beobachten wir, dass die Preise deutlich anziehen, weil wertvolle Streichinstrumente und Bögen beliebte Investitionsobjekte geworden sind», sagt sie.
Die «Mannheimer» hat mehr als 50 000 Musiker unter Vertrag und ist damit eine der führenden Instrumentenversicherungen in Europa. «Immer wieder werden bei uns gestohlene oder verlorene Instrumente gemeldet», sagt Leuthner. Durch die Vernetzung der Instrumentenbauer und Händler sei es möglich, schnell festzustellen, ob Hehler ein geraubtes Instrument wieder auf den Markt bringen wollten.
So führt das Internet-Auktionshaus Tarisio eine Liste gestohlener Geigen und Bratschen. Etwa 20 Stradivari, Landolfi und Guadagnini sind dort verzeichnet. Sie tragen klingende Namen wie «Le Marien», «The King Maximilian» oder «Davidoff-Morini» und deuten damit auf ihre früheren Besitzer hin. Kenner sprechen von teilweise gezielten Raubzügen. «Der Kriminalpolizei sind einige einschlägige Verdächtige in Europa bekannt», sagt jemand, der bei diesem Thema unerkannt bleiben möchte.
Mehr als halbes Jahrhundert wurde die «Gibson ex Huberman» gesucht. Die Stradivari des Virtuosen Bronislaw Huberman (1882-1947) war 1936 aus dessen Garderobe in der Carnegie Hall in New York verschwunden. Was lange keiner wusste: Der Dieb, Julian Altman, trat damit in einem Club als «The Russian Bear» auf - bis Mitte der 80er Jahre. Erst als Altmans Tochter und seine Witwe den Finderlohn von 263 000 US-Dollar beim Versicherer Lloyd's in London kassieren wollten, tauchte das alte Stück wieder auf. Huberman hatte beim Verlust nur 30 000 Dollar Entschädigung bekommen.
Ein ähnliches Schicksal erleidet zur Zeit Pavel Vernikov. Dem in Odessa am Schwarzen Meer geborenen Geiger, der neben seiner Konzertkarriere als Professor an der Wiener Musikhochschule lehrt, wurde im Dezember in der Schweiz das Instrument gestohlen. «In 30 Sekunden wurde mein Leben auf den Kopf gestellt», sagt Vernikov. Er vermutet hinter dem Coup in einem Zug am Genfer Bahnhof mittlerweile einen von langer Hand vorbereiteten Diebstahl.
Die auf anderthalb Millionen Franken geschätzte Guadagnini und vier Bögen sind weg. «Wenn ein Sammler, ein Anwalt oder ein Hobbymusiker den Raub in Auftrag gegeben hat, bin ich verloren.» Für Laien ist das innige Verhältnis eines Musikers zu seinem Instrument schwer? nachvollziehbar. Er verbringe mehr Zeit mit seiner Geige als mit seiner Frau, berichtet Vernikov. «Es ist, als ob ich einen Familienangehörigen verloren habe.» Vielleicht, sagt er, taucht die Geige wieder auf. Er wäre der glücklichste Mensch der Welt.