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Wie aus Stein gehauen: „Blumfeld“. Foto: Martin Eberle
Wie aus Stein gehauen: „Blumfeld“. Foto: Martin Eberle
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Der „ewige Gärtner“ Jochen Distelmeyer: 15 Jahre „Blumfeld“ haben die deutsche Pop-Musik verändert

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Adoleszente haben sich mithilfe von Jochen Distelmeyers Lyrik eine verzweifelt-euphorische Identität zurechtgebastelt. Professoren dekonstruierten auf Germanisten-Kongressen in wild durchtanzten „Blumfeld“-Partynächten ihr mühsames Erwachsenen-Dasein und entdeckten die Geheimnisse der ewigen Jugend und die Schlangengrube der Interpretation. Nach fünfzehn Jahren und sechs heftig umstrittenen Alben macht jetzt die Band, die wie keine andere das Pop-Verständnis hierzulande verändert hat, plötzlich Schluss. Ein Rückblick auf die Frontmänner der „Hamburger Schule“.

Macht verrückt, was euch verrückt macht! In dieser Liedzeile und im Titel des zweiten „Blumfeld“-Albums „L’état et moi“ steckt schon viel von der Methode, der Strategie und dem poetisch-politischen Programm von Jochen Distelmeyer & Co. Der Song zitiert auf verquere, den Sinn verschiebende Weise einen längst zur mythischen Parole gewordenen Satz-Fetzen der Ur-Anarcho-Punker „Ton Steine Scherben“, nämlich: „Macht kaputt, was euch kaputt macht!“ Distelmeyer will, wie er erst jüngst in einer Reihe von Interviews erklärt hat, nicht eine Revolution, deren Opfer er nicht verantworten kann, er will nicht einmal mehr die zerstörerische Rebellion der an den Rand Gedrängten. Eher schon untersucht er die Bedingungen des sozialen Daseins und staatlich oder medial verordneter Sinn-Produktion, die er der Subversion des Wissens und eines störrischen Eigen-Sinns unterzieht.

Distelmeyer und seine Band, deren Name sich einer Erzählung Franz Kafkas verdankt („Blumfeld, ein älterer Junggeselle“), waren seit den Anfängen in den Unruhe-Jahren nach 1989 beides: Romantische Post-Modernisten, die Celan und Benn lasen, Godard- und Fassbinder-Filme sahen und das, was sich an Lektüre- und Kino-„Früchten“ in ihnen absetzte, mit eigenen Erfahrungen, Wünschen und Ängsten, wüsten Tagebuch-Notaten und erinnerten Gesprächsfetzen verbanden. Heraus kamen fragmentierte, zersprengte und zerrissene „lyrics“, in denen sich paradoxerweise eine ganze Generation wiederentdeckte. Vielleicht, weil Blumfelds harter Gitarren-Pop und Distel-meyers traumhaft sicheres Rhythmus-Gespür, mit dem er seine vertrackten Texte rappte, „toastete“ und nur in seltenen Momenten sang, sehr „sexy“ war, selbst die melancholischsten Bastionen der Verirrten und Verlorenen einnahm und ihre wütende Weltfremdheit oder -ferne hymnisch verwandelte.

Es gab Zeiten, da verständigten oder zerstritten sich Paare oder Wohngemeinschaften vor allem mithilfe von „Blumfeld“-Zitaten: „Lass uns nicht von Sex reden. Ich weiß gar nicht, wie das geht.“ Es konnte so aussehen, als sei Jochen Distelmeyer eine Art Kurt Cobain der studentischen Sub-Kulturen, ein gequälter Charismatiker, der die Parolen des Tages für die jeweils akuten Emotionen oder Krisen ausgab. Aber der Vor-Denker der neuen Hamburger Schule des Pop war nie „Teil einer Jugendbewegung“; er wollte es höchstens sehnsüchtig, gebrochen, aus einer unüberwindbaren Distanz heraus sein. Sein Terrain waren nicht Häuserkämpfe oder Parteitage, eher schon Strindbergsche Zimmerschlachten und Selbstzerfleischungen, die er mit innig ironischer Souveränität so lange durch seine Metaphern-Mühle drehte, bis sie zerbröselten.

Distelmeyer konnte durchaus ein politisch bewusster Zeitgenosse sein. Freilich war er dann, ur-deutsch, mehr Gesinnungs-, denn Verantwortungsethiker. Die Schlechtigkeit der Welt wurde vor allem deshalb zum Problem, weil die eigene Seele daran Schaden nehmen konnte. Deshalb zog er in den frühen 90er-Jahren, als vor allem im Osten Ausländerheime brannten, mit den „Wohlfahrtsausschüssen“ Gleichgesinnter übers flache Land. Was sich als entschiedene Aufklärung und als der (nur) etwas andere „Aufstand der Anständigen“ verstand, verdankte sich in Wahrheit einem romantischen Polit-Projekt. Die gewaltsame Verbrüderung von oben, von Bühne und Podium aus, musste zwangsläufig in der Enttäuschung über die enden, die sich partout nicht zum besseren Bewusstsein bekehren lassen wollten. Rückblickend war diese Art von Engagement sicher ein Misserfolg und auch ein Missverständnis, genauso wie die hysterische Angst vor einem „Vierten Reich“. Geschichte wiederholt sich nicht so einfach. Sie setzt sich auf andere Weise fatal fort.

Diese Mischung aus radikaler Politik und avantgardistischer Poesie, aus entschiedener Selbstbefragung und nicht minder entschiedener Parteinahme, wurde damals unter dem Titel „Hamburger Schule“ zum Markenzeichen und Distelmeyer nicht nur zum Helden studentischer Proseminare oder WG-Partys, sondern auch von Germanistenkongressen, bei denen sich ambitionierte Nachwuchswissenschaftler tagsüber in hermeneutischer Mühe über seine Texte beugten und des Nachts bei Blumfelds brachialem Gitarrenkrach ein euphorisches Vergessen suchten. Distelmeyer konnte zum Helden der Post-Moderne werden, weil kaum einer so virtuos mit einer „second-hand-Authentizität“ umgehen konnte wie er. Das Ur-Eigene, das er empfand und beschwor, war ein Produkt von Zitat und Montage, das „Neue“ dabei höchstens, dass er damit eine Generationen-Erfahrung ins nachsing- und tanzbare Lied setzte. Was bei Nietzsche und seinen Nachfolgern noch Anlass für Verzweiflung und Depression oder für eine nihilistische Abräumbewegung war, das Bewusstsein nämlich, dass es immer schon alles gibt und gegeben hat, wendet „Blumfeld“ euphorisch: Das eigene Leben setzt sich aus den Helden-Biographien der ästhetischen und politischen Avantgarde zusammen. Die kulturelle Erinnerung macht aus einsamen Existenzen Brüder und Schwestern im Geist – und, was vielleicht noch wichtiger war, im „Fleisch“: „Jeder geschlossene Raum ist ein Sarg?“ Eben deshalb muss man durchlüften und Solidaritäten des Schmerzes bilden.

Spätestens seit dem dritten „Blum-feld“-Album „Old Nobody“ schieden sich freilich die Geister und selbst die verschiedenen Distelmeyers, die eben noch eine perfekte Melange ergaben, schienen auseinander zu brechen. Zwar spielte schon das Cover des Vorgängers nicht nur auf das souveräne Selbstverständnis des Sonnenkönigs an (dem die Band freilich den Bruch, die Gegnerschaft von Subjekt und Staat entgegensetzte), sondern zitierte auch den goldlaméhaften Las Vegas-Elvis. Aber jetzt erst verlor sich der Sound mit masochistischer Lust ins Schlagerhafte. Distelmeyer erkor ausgerechnet die „Münchner Freiheit“ zu Lieblingsband und Vorbild. Und er meinte es, was manche fassungslos machte, nicht (nur) ironisch. Die Texte versenkten sich nicht mehr bloß wollüstig ins Private, sondern verloren sich darin. Der verquälte Jakobiner fügte sich plötzlich der Familienaufstellung. Nicht mehr Politik war das Schicksal, sondern die Biologie: Herkunft, Sozialisation, die gemeinsame Geschichte, das Netz der Neurosen.

Paradoxerweise blieb aber der Begleit-Diskurs wie ehedem. In öffentlichen Verlautbarungen äußerte sich Distelmeyer politisch und vernünftig; mit dem nicht ganz unwichtigen Unterschied freilich, dass er das Projekt Revolution nun, die unvermeidbare Gewalt und das Blut der Opfer vor Augen, verabscheute. Distelmeyer, dieser Rimbaud des Grunge-Zeitalters, verwandelte sich in einen ewigen Gärtner. Die Naturmetaphern mehrten sich. Die Melodien wurden immer eingängiger. Und die Texte zeigten sich in verblüffender trivialmythischer Schlichtheit, die der Naive mit der ewigen Welt der Schlager-Klischees verwechselt hätte, während die Germanistenkongress-Geschulten darin weiterhin, wie verzweifelt auch immer, brüchige Weltschmerz-und-Schönheits-Formeln entdecken wollen. In die Gitarren mischen sich die Posaunen. Und Distelmeyer fasst im Interview mit der ebenfalls runderneuerten SPEX sein sechstes und letztes Album „Verbotene Früchte“ so zusammen: „Ich kämpfe nicht. Ich bin einfach nur da.“

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