Wenn ein Funktionär eines Laienmusikverbandes aus seinem Fenster blickt, so sieht er vor sich einen gut bestellten Garten, in dem sich viele verschiedene Gewächse tummeln: Neben zirka einer Million Berufsmusikern bilden ungefähr sieben Millionen Laienmusiker aller Stilrichtungen in Deutschland die Grundlage der Musikkultur - und die Gärten der Verbandsfunktionäre gediehen bisher nicht schlecht unter der liebevollen Bewässerung engagierter, ehrenamtlich tätiger Vereinsgärtner.
Wenn ein Funktionär eines Laienmusikverbandes aus seinem Fenster blickt, so sieht er vor sich einen gut bestellten Garten, in dem sich viele verschiedene Gewächse tummeln: Neben zirka einer Million Berufsmusikern bilden ungefähr sieben Millionen Laienmusiker aller Stilrichtungen in Deutschland die Grundlage der Musikkultur - und die Gärten der Verbandsfunktionäre gediehen bisher nicht schlecht unter der liebevollen Bewässerung engagierter, ehrenamtlich tätiger Vereinsgärtner.Besonders die Jugend- und Laienorchester, die Blasorchester und die Jazz-Bands hatten in den letzten Jahrzehnten einen erstaunlichen Qualitätszuwachs zu verzeichnen. Doch wenn der Verbandsfunktionär seinen Blick über den Gartenzaun hinaus über andere gesellschaftliche Bereiche schweifen lässt und schließlich auf den Horizont richtet, so gerät er ins Grübeln: Dunkle Wolken brauen sich da zusammen, etwa in Form von Mittelkürzungen in öffentlichen Kulturhaushalten, Novellierungen beim Künstlersozialversicherungsgesetz und den 630-Mark-Jobs, steuerrechtlichen Problemen, zunehmender Spezialisierung im vereins-, arbeits-, steuer- und sozialrechtlichen Bereich, Musikunterrichts-Kürzungen an allgemein bildenden Schulen und Sorgen um Verluste auf dem von Lobbyismus geprägten politischen Terrain. Die kulturelle und allgemeingesellschaftliche Wetterlage birgt viele Ungewissheiten und könnte schlimmstenfalls in eine Art Wirbelsturm ausarten, der die bisher so ansehnlich gediehenen Pflanzen aus den Verbandsgärten reißen und mächtig durcheinander wirbeln könnte. Muss der Verbandsfunktionär am Beginn des 21. Jahrhunderts fürchten, dass die althergebrachten Vereinsstrukturen, die auf einem im Jahre 1900 in Kraft getretenen Vereinsrecht basieren, nicht mehr zeitgemäß sind und dass sich Musikvereinigungen aus ihren Verbandszusammenschlüssen verabschieden und sich damit mangels gemeinsamer Kräftebündelung Ausbildungsqualität und politische Interessenvertretung zurückentwickeln?„Werden die Vereine und Verbände zu Staubfängern der deutschen Sozialgesellschaft?“ – Mit dieser Frage begrüßte Theo Geißler denn auch am Messestand der von ihm herausgegebenen neuen musikzeitung die Teilnehmer der von ihm moderierten Diskussionrunde „Musikverein – Musikverband“. Ziel war neben einer Bestandsaufnahme der gegenwärtigen Verbands- und Vereinssituation vor allem die Erörterung ihrer Zukunftsaussichten. Gekommen waren Prof. Dr. Eckart Lange, Vizepräsident des Deutschen Musikrates, Stefan Liebing, Vorsitzender des Lenkungsausschusses der Bundesvereinigung Deutscher Blas- und Volksmusikverbände und des Blasmusikverbandes Baden-Württemberg und Thomas Rietschel, Generalsekretär der Jeunesses Musicales Deutschland.
Auch in Zukunft, soweit war man sich einig, sei eine Struktur aus Bundes- und Landesverbänden notwendig, um die Interessen der Mitgliedsvereine zu bündeln, sie nach außen vertreten zu können und um Vereinen zu ermöglichen, überhaupt untereinander zusammenarbeiten zu können.
Dazu muss sich nach Meinung Liebings jedoch bei Vereinen und Verbänden eine Menge ändern. Wichtig sei unter anderem eine effizientere Lobbyarbeit – und die könne der Deutsche Musikrat nur bedingt leisten, weil die unter seinem Dach befindlichen Gruppen – Profis, Laien und Musikwirtschaft – nicht nur gemeinsame, sondern zum Teil auch divergierende Interessen verfolgten und man somit nicht mit gebündelten Kräften und der gebotenen Nachhaltigkeit auftreten könne. Die Verfolgung verbandsspezifischer Interessen solle deshalb besser auf Bundesverbandsebene erfolgen, und zwar von professionellen, hauptamtlichen Mitarbeitern.
Eckart Lange verteidigte die Lobbyarbeit des Deutschen Musikrats – mit leiser, manchmal nur mühsam verständlicher Stimme aufgrund – und manche mochten darin vielleicht eine Symbolik erkennen – unglücklicher Mikrofon-Handhabung. Zeitweise drohten seine Ausführungen inmitten der Messehallen-Geräuschkulisse mit ihrem Gewirr mehrerer verschiedener, kurzatmiger, nervöser und vorwärts treibender Schlagzeug- und Perkussionsrhythmen unterzugehen. Er räumte zwar ein, dass trotz der Einrichtung von „Kontaktstellen“, die eine engere Verbindung zu den Kommunen und den Politikern herstellen sollen, die Lobbyarbeit des Musikrats noch intensiviert werden könne, doch „ein Dachverband sollte durchaus versuchen, die unterschiedlichen Interessen der im Musikrat zusammengeschlossenen Gruppen auszugleichen“. Und mehr noch: Auch mit dem Sport – von Thomas Rietschel als einer der Bereiche genannt, gegenüber dem sich die Musik bezüglich ihres gesellschaftlichen Stellenwerts profilieren müsse – solle man eher kooperieren, als im Rennen um staatliche Gelder eine Art Gegnerschaft zu entwickeln. So gibt es denn auch in Niedersachsen und Bayern Kooperationsversuche zwischen dem Musikrat und dem Deutschen Sportbund, denn, so Lange, „wir sitzen da im selben Boot, obwohl wir uns alle um das zu verteilende Geld bewerben“. Grenzübergreifende Kooperation auf möglichst breiter Basis – so also das Lobbying-Zukunftsmodell von Lange.
Stefan Liebing ist als PR-Fachmann in der Handhabung des Mikrofons versierter: Allzeit mit gut verständlicher Stimme sprechend und mit der Thematik gut vertraut führte er aus, dass er die Zukunft eher in einer individuellen und dafür professionalisierteren Lobbyarbeit der Verbände sieht. Überhaupt müsse man sich angesichts des fortschreitenden Spezialistentums in der Gesamtgesellschaft eingestehen, dass man Verbandsinteressen nicht mehr rein ehrenamtlich durchsetzen könne. Arbeits-, steuer- und sozialrechtliche Fragen würden immer komplexer und auch die Öffentlichkeitsarbeit eines Verbandes benötige professionelle Vorgehensweise – und die könne nur hauptamtlich wirklich effektiv geleistet werden. Besonders deutlich erfahre er dies in den Blas- und Volksmusikverbänden, deren zum Teil noch vorherrschendes Bierzelt-Image ambitionierte neue Mitglieder, insbesondere Jugendliche, abschrecke und mit der Realität der kontinuierlich steigenden Qualität der musikalischen Arbeit nichts zu tun habe. Die Gewinnung neuer Mitglieder und die Anerkennung der musikalischen Arbeit sei auf Dauer nur mit professioneller Presse- und Öffentlichkeitsarbeit zu erreichen.
Hierin erhielt er Zustimmung von Thomas Rietschel, der bei dieser Gelegenheit einem gewissen Frust über den Verlauf des Kongresses „Kinder und Musik im 21. Jahrhundert“ – von der Hochschule für Musik und Theater Hannover und der Deutschen Phono-Akademie Mitte Februar in Hannover veranstaltet – Luft machte. „Weltfremd“ sei dieser gewesen, weil man die meiste Zeit eher wissenschaftlich die ohnehin von niemandem ernsthaft bestrittene These, dass Musik für Kinder wichtig sei, diskutiert habe. „Es kommt aber darauf an“, ermahnte Rietschel, „die gesellschaftliche Realität zu sehen“, auf die Kinder und Eltern gezielt zuzugehen, „sie dort abzuholen, wo sie wirklich sind, uns attraktiv erscheinen zu lassen, um so auch die Konkurrenzsituation gegen MTV und Big Brother zu bestehen.“ Man müsse nach außen jungen Leuten klarmachen „dass ein Verband eine Chance sein kann, eigene Ideen zu verwirklichen“.
Ein Verband könne in Zukunft, so Liebing, nur bestehen, wenn er Ehren- und Hauptämter kombiniere: Grundsätzliche Richtungsentscheidungen werden durch Ehrenamtliche, deren Umsetzung und die immer wichtiger werdende Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit sowie die Serviceleistungen durch Hauptamtliche erledigt. Die Ausweitungen von Serviceleistungen hätten dabei mitnichten etwas mit der Kultivierung einer reinen ADAC-Mentalität zu tun, denn Vereinsvorsitzende stellten mittlerweile „ganz einfache Nutzen-Überlegungen“ an: Welche Gegenleistungen erbringt uns der Verband für unseren Mitgliedsbeitrag? Rentiert sich das oder ist es billiger, wenn wir das im Verein selber machen? „Das heißt“, folgerte der wortgewandte BDBV-Vertreter, „wir müssen genau diese Dienstleistungsfunktion ganz vergleichbar einem Wirtschaftsunternehmen, das von einem Verein einen Auftrag bekommt, stärken. Und das schließt nicht aus, dass wir mit diesen Dienstleistungen auch als Verbände soviel Geld verdienen und so kalkulieren, dass wir die Mittel haben, um auch professionell für unsere Mitglieder vorzudenken.“ – Der Verband als „enabler“ (Liebing), der nicht selber direkt musikalische Arbeit macht, sondern dafür sorgt, dass die Vereine diese vor Ort möglichst gut machen können. Zu „Serviceleis-tungen“ zählt er dabei auch durchaus von Rietschel angemahnte inhaltliche Impulse wie etwa Fortbildungen in organisatorischen Themen.
Als Antwort auf den allgemeinen Trend der Spezialisierung und Professionalisierung sieht Liebing nicht nur eine Professionalisierung, sondern auch eine durchdachtere Aufgabenverteilung: Einzelne Verbände sollten einzelne Themen – wie etwa GEMA-Abgaben, die so genannte „Ausländersteuer“ oder das Sozielrecht bei Dirigenten-Engagements – bearbeiten und sich so zum Spezialisten machen, der andere Verbände beraten und ihnen Informationen beschaffen könnte.
Das Vereins- und Verbandswesen kann sich also diverser konkreter Vorschläge zur eigenen Reformierung annehmen. Was bleibt, ist die Hoffnung auf eine kooperative und baldige Auseinandersetzung zwischen den Verbänden. – Und die Frage, warum im heutigen demokratischen Staatswesen eine möglichst gerechte Güter- und Lastenverteilung vor allem von effektiver Lobbyarbeit abhängt.