Eines Tages, Gerhard Rohde wohnte damals im Frankfurter Westend, hatte ich einen Schrank zu ihm zu transportieren. Er selbst war natürlich irgendwo auf der Autobahn unterwegs. Ich entsinne mich ganz genau: Als der Spediteur, ein grämliches, verschwitztes Männlein, die Wohnung betrat, den Schrank absetzte und sich umschaute, fing er unversehens zu strahlen an, breitete emphatisch die Arme aus und rief: „Hier wohnt ein freier Mensch!“ Der alte Mann, der Rohde nie gesehen hatte, erkannte ihn genau. Dass einer eines seiner Zimmer dazu nutzte, Stapel von Zeitungen und Berge von Büchern auf der Erde zu lagern, dass eine Vitrine auch auf drei Beinen gut zu stehen vermag, wenn man den Inhalt daneben auf dem Teppich ausbreitet, das zeigte dem überraschten Manne, dass hier einer wenig auf den üblichen Verhaltenskodex, auf Konventionen, gar auf Repräsentation Wert legte. Recht hat er gesehen.
Eines Tages, Gerhard Rohde wohnte damals im Frankfurter Westend, hatte ich einen Schrank zu ihm zu transportieren. Er selbst war natürlich irgendwo auf der Autobahn unterwegs. Ich entsinne mich ganz genau: Als der Spediteur, ein grämliches, verschwitztes Männlein, die Wohnung betrat, den Schrank absetzte und sich umschaute, fing er unversehens zu strahlen an, breitete emphatisch die Arme aus und rief: „Hier wohnt ein freier Mensch!“ Der alte Mann, der Rohde nie gesehen hatte, erkannte ihn genau. Dass einer eines seiner Zimmer dazu nutzte, Stapel von Zeitungen und Berge von Büchern auf der Erde zu lagern, dass eine Vitrine auch auf drei Beinen gut zu stehen vermag, wenn man den Inhalt daneben auf dem Teppich ausbreitet, das zeigte dem überraschten Manne, dass hier einer wenig auf den üblichen Verhaltenskodex, auf Konventionen, gar auf Repräsentation Wert legte. Recht hat er gesehen.Ein freier Mensch: Gerhard Rohde ist es im Denken, in den von ihm vertretenen Ansichten immer gewesen und geblieben. Er hat sich eigene Meinungen, oft jenseits der gerade aktuellen Trends, erlaubt; und er hat sich erlaubt, für sie argumentierend auch zu werben.Das macht seinen Rang als Kritiker aus. Wer regelmäßig Rezensionen liest, blickt zuerst auf die Überschrift und dann nach unten auf den Namen des Autors. Das erspart dann oft das Lesen der Kritiken, weil man weiß, welche festbetonierte Meinung der Schreiber zu einer bestimmten Sache oder Person hat.
Bei Rohde aber kann man sich nie ganz sicher sein. Die Eindrücke, die er aus einer Opernaufführung oder aus einem Konzert mitnimmt, werden sorgfältig gewogen und in ein größeres Bezugssystem von ausgreifenden Gedanken und immensen Erfahrungen gestellt. Was er sagt, begründet er auch. Etwas nur „gut“ oder „schlecht“ zu finden, wäre ihm zu billig.
Rohde schreibt anschaulich; ihn zu lesen, ist nicht mühsam. Aber er schreibt niemals auf Pointen um ihrer selbst willen zu. Seine Farbigkeit ist sachbezogen. Böse Ironie, Zynismus oder gar Häme, die im Rezensentengeschäft immer mehr in Mode kommen, sind ihm beim Schreiben fremd. Er spreizt sich nicht eitel. Seine Person tritt hinter die Sache zurück.
Rohde hat viele Jahre als Schauspielkritiker in der „Frankfurter Allgemeinen“ die Anfänge, die Blüte und die Auswüchse des so genannten Regie-Theaters verfolgt, in seinen Erfindungen bestärkt, gegen seine Auswüchse polemisiert. Er hat, besonders in der neuen musikzeitung, die er seit Jahrzehnten leitend betreut, stets zu aktuellen musikpolitischen Fragen und Problemen entschiedene Stellung bezogen. Kern seiner Tätigkeit aber ist die kritische Beschäftigung mit der Musik. Er fühlt sich dabei nicht als Spezialist für irgendwas, sondern ist überall kundig zu Hause, von Donaueschingen bis Bad Ischl, von der musikalischen Avantgarde bis zur Operette, die er sehr ernst nimmt.
Ein freier Mensch im wortwörtlichen Sinne: Rohde hat schon in jüngeren Jahren aus eigenen Stücken eine wohldotierte Redakteurs-Position bei Deutschlands erster Zeitung aufgegeben, um unabhängiger zu werden – nicht im Denken, denn das hat man ihm wohl kaum beschnitten, sondern in der Verfügung über seine Zeit. So kann er denn fahren, wohin ihn sein Auto fährt, und es führt ihn weit und viel. Er gehört nämlich zu jener selten gewordenen Spezies vom idealen Rezensenten, die nicht (und nicht nur) zu Ereignissen reisen, weil sie darüber schreiben müssen, sondern weil sie an ihnen wirklich interessiert sind. Er nimmt sich auch, häufig zum Missfallen der Veranstalter, die Freiheit, über nichtssagende Kunstversuche nichts zu sagen und zu schreiben.
Der Weg ist das Ziel, die alte Weisheit des Aristoteles, sei auch die Losung Gerhard Rohdes, ist oft behauptet worden. Nun denn: Es ist ein Weg durch die vielfältigen Panoramen und Landschaften der Musik, ohne die, wie Nietzsche sagt und Rohde weiß, das Leben ein Irrtum wäre.