Das Thema „Zukunft des Rundfunks“ liegt mir nicht nur als Medienpolitikerin, sondern auch und gerade als gelernter Journalistin sehr am Herzen, und ich will nicht verhehlen, dass es mir vor allem um eine gesicherte Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks geht. Er steht heute im Spannungsfeld der Konkurrenz zu kommerziellen Anbietern im sogenannten dualen System. Diese Entwicklung ist nicht zurückzudrehen, wie immer man dazu steht, und daher tut man gut daran, sich der Herausforderung selbstbewusst zu stellen. Eine nüchterne Analyse ist dafür eine Grundvoraussetzung.
Das Thema „Zukunft des Rundfunks“ liegt mir nicht nur als Medienpolitikerin, sondern auch und gerade als gelernter Journalistin sehr am Herzen, und ich will nicht verhehlen, dass es mir vor allem um eine gesicherte Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks geht. Er steht heute im Spannungsfeld der Konkurrenz zu kommerziellen Anbietern im sogenannten dualen System. Diese Entwicklung ist nicht zurückzudrehen, wie immer man dazu steht, und daher tut man gut daran, sich der Herausforderung selbstbewusst zu stellen. Eine nüchterne Analyse ist dafür eine Grundvoraussetzung. Die Frage nach den Aufgaben der Medienpolitik und nach der Situation des Rundfunks in der demokratischen Gesellschaft lässt sich nicht losgelöst von einer Betrachtung der Entwicklung der Medienlandschaft insgesamt beantworten. Wir befinden uns mitten im Wandel von der Industriegesellschaft zur Informationsgesellschaft, und der sich mit atemberaubender Geschwindigkeit vollzieht. Die Digitaltechnik konfrontiert uns in großen Schritten mit einer Multimediawelt zunehmender Vernetzung von Arbeitsplätzen, Unternehmen und Privathaushalten sowie einer Neuordnung der gesamten Telekommunikations- und Medienbranche. Die globale Information und Kommunikation in Industrie, Handel und Dienstleistung ist dabei, unser Wirtschafts- und Gesellschaftssystem nachhaltig zu verändern. „Rohstoff“ Wissen Lebens- und Arbeitsbedingungen, die Formen der Beschäftigung, die Produktion von Gütern und die Erbringung von Diensten werden mehr und mehr von der Nutzung moderner Informations- und Kommunikationstechniken geprägt. Dennoch ist es falsch, von einer „dritten industriellen Revolution“ zu sprechen. Allenfalls könnte man eine „technologische Revolution“ unterstellen. Auch das trifft nicht den Kern, denn es geht nur am Rand um effektivere Fertigungsmethoden. Es handelt sich vielmehr um einen völligen Umbruch des Wertschöpfungssystems. Die herkömmliche Kette von der Rohstoffgewinnung über Verarbeitung und Verteilung bis hin zum Konsum wird mehr und mehr ersetzt durch ein Wertschöpfungsnetz, das Zeit und Raum gegenstandslos werden lässt. Die „Rohstoffe“ sind Wissen und Information, die ohne Hindernisse durch die Netze gejagt und potenziell in jedem Winkel der Erde genutzt werden können. Prähistorische Sternwarte auf den Orkney-Inseln; Foto: Martin Hufner Jedem vernünftigen Menschen ist klar, dass man mit einer Mentalität der Maschinenstürmerei nichts ausrichtet. Kreativität ist das Gebot der Stunde, intelligente Gestaltungskonzepte zum Nutzen der Allgemeinheit sind gefragt. Das setzt allgemein zugängliche, preiswerte, wenn nicht unentgeltliche Universaldienste voraus, die eine Spaltung in Informationsreiche und -habenichtse verhindern. Das gilt nicht nur für das gesellschaftliche Gefüge der hochentwickelten Länder des Nordens, sondern auch für die Zukunftschancen der Länder des Südens. Darauf an dieser Stelle näher einzugehen, würde den Rahmen dieser Veröffentlichung sprengen, sollte aber doch als Merkpunkt für weitere Überlegungen dienen. Schlüsselindustrie Der Begriff „Multimedia“ geht häufig mit diffusen Definitionen einher. Im Interesse einer klaren Ausgangsposition für die Diskussion könnte man es so beschreiben: Multimedia ermöglicht die Integration bisher getrennter Darstellungsformen von Daten, Information und Wissen. Die Digitalisierung schafft die Voraussetzungen für die Interaktivität zwischen Nutzenden und Kommunikations- oder Mediensys-temen. Die Telekommunikationsbranche als „Lieferantin“ der Infrastruktur für Kommunikation ist die Schlüsselindustrie für die Umwälzung der Wertschöpfungsbasis, eine „Multimediaindustrie“, in der sich bisher separate Sektoren wie die Computerindustrie und die klassische Telekommunikationsbranche wieder finden. Das Umsatzvolumen für diesen neuen „industriellen“ Sektor belief sich Mitte der 90er-Jahre in Deutschland schätzungsweise auf 270 Milliarden, für Europa auf 700 Milliarden und weltweit auf mehr als 2,5 Billionen Mark. Multimediaanwendungen und Mobilfunkdienste stellen die wichtigsten Wachstumsträger mit Zuwachsraten von etwa 40 Prozent dar. Im nächsten Jahrzehnt ist mit einer Vervierfachung des Anteils am Bruttosozialprodukt in Europa zu rechnen (derzeit liegt der Anteil am BSP bei etwa 8 Prozent), wenn diese Zahlen nicht schon längst wieder überholt sind. Aktuell erreicht der audiovisuelle Markt in Europa schätzungsweise ein Gesamtvolumen von jährlich rund 60 Milliarden Mark. Die Europäische Kommission geht davon aus, dass bis zum Jahr 2005 ein Volumen von etwa 110 Milliarden Mark erreicht sein wird. Allein im Bereich des unverschlüsselten Fernsehens erwirtschafteten die Anbieter audiovisueller Inhalte 1,6 Milliarden Mark. Die Zahl der Fernsehveranstalter in der Europäischen Union mit nationaler Reichweite ist seit 1981 um das Fünffache gestiegen (von 40 im Jahr 1981 auf 205 im Jahr 1995). Gleichzeitig hat die Sendezeit von 205.000 Stunden im Jahr 1985 auf 720.000 Stunden (1995) zugenommen. Mit der Einführung der Digitaltechnik im Jahr 1996 wurde das Angebot von Fernsehsendern um eine ganz neue Palette zielgruppenorientierter und thematischer audiovisueller Dienste erweitert. Das stets größer werdende Programmangebot hat auch einen höheren Fernsehkonsum zur Folge: Er liegt inzwischen im europäischen Durchschnitt bei 206 Minuten am Tag, also bei über drei Stunden. Außerdem hört der Durchschnitts-EU-Mensch täglich drei-einhalb Stunden Radio von insgesamt rund achttausend Hörfunksendern. Der Umsatz im Hörfunkbereich erreichte 1995 etwa 12 Milliarden Mark. Damit gehört auch der Hörfunk zu den Wachstumsbranchen im audiovisuellen Sektor. Sorge um Rundfunkrecht Allerdings machen die „klassischen“ Medienangebote nur einen verhältnismäßig kleinen Teil des expandierenden Multimedia- und Telekommunikationsmarktes aus. Das Gros liegt im Business-Bereich. Hier reichen Regeln des Wirtschafts-, Wettbewerbs- und Kartellrechts, gegebenenfalls ergänzt durch Daten- und Verbraucherschutzmaßnahmen, aus. Die Tatsache aber, dass im dualen System auch Rundfunk, vor allem Fernsehen, schon lange nicht mehr nur einen Kultur-, sondern auch einen Dienstleistungs- und Wirtschaftsfaktor von beträchtlicher Bedeutung darstellt, darf jedoch nicht dazu verleiten, ein eigenständiges Rundfunkrecht für obsolet zu halten und Rundfunkrecht nur noch Wirtschaftsrecht unterzuordnen. Denn auch im dualen System gilt: Medienangebote sind keine Waren wie alle anderen. Ob öffentlich-rechtlich oder privat: Was über den Bildschirm flimmert oder aus dem Lautsprecher schallt, nimmt Einfluss auf die gesellschaftliche Meinungsbildung – egal, ob es sich um Krisenberichterstattung, (Talk-) Shows oder Telespiele handelt. Deshalb brauchen wir weiterhin ein spezielles Rundfunkrecht, das öffentlich-rechtlichen Anbietern Bestands- und Entwicklungsgarantie einräumt und den kommerziellen die Chance lässt, gutes Geld zu verdienen. Auch muss nicht jeder Teleshopping-Kanal mit den gleichen Auflagen belegt werden wie ein Vollprogramm. Insbesondere der elektronische Handel wirft allerdings die Frage auf, ob der Vertrieb von Rundfunk- und rundfunkähnlichen Angeboten in die entsprechende Rechtssetzung einbezogen oder von ihr ausgenommen sein sollte, wie Rundfunk- und Kulturpolitiker/-innen dies fordern. Die wichtigste Informationsquelle in unserer demokratisch verfassten, pluralistischen Gesellschaft sind die „klassischen“ Rundfunkmedien, wenn auch mit sinkender Tendenz. So werden heute in diesem Bereich noch 85 Prozent der Einkünfte audiovisueller Angebote in Europa erwirtschaftet. 2005 werden es nur noch 65 Prozent sein, aber das ist immer noch ein hoher Anteil. Damit ist belegt: auf absehbare Zeit bleibt die tradierte Form der Informationsbeschaffung, -aufbereitung und -verarbeitung der bedeutendste Faktor für die Meinungs- und Entscheidungsfindung sowie die Bewusstseins- und Identitätsbildung der Menschen. Sie ist eine wesentliche Voraussetzung für das Funktionieren von Demokratie überhaupt. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, bedarf es eines pluralen Angebots, das nicht allein den Kräften des Marktes unterworfen werden darf, denn der Markt ist blind für die Belange einer Demokratie sichernden Kommunikationsstruktur und -kultur, es sei denn, es winken satte Gewinne. Das rechtfertigt nicht nur eine Medienpolitik, die Rundfunk als Ausdruck demokratischer Kultur wertet und rechtlich als herausragenden Identität stiftenden Bestandteil der Gesellschaft betrachtet, daraus erwächst geradezu die Verpflichtung, an speziellem Rundfunkrecht festzuhalten. Technik und Inhalt In der öffentlichen, oder besser gesagt veröffentlichten Auseinandersetzung um die Zukunft der Informationsgesellschaft tobt vor allem ein heftiger medienpolitischer Streit um die Teilhabe an den neuen Möglichkeiten des digitalen Fernsehens, und das meint in hohem Maß: um Verdienstmöglichkeiten. Nicht ohne Grund sind Film- und Sportrechte zu exorbitanten Preisen eingekauft und gehortet worden. Marktbeherrschende Strategien und wechselnde Allianzen sollen Wettbewerber ausstechen oder doch zumindest in Schach halten. Monopolisten früherer Tage wollen ebenfalls ein möglichst großes Stück vom neugebackenen Kuchen für sich abschneiden. Das ist legitim, solange nicht neue Monopole entstehen, deren Marktbeherrschung den Wettbewerb erstickt und weitere Anbieter wie Benutzerkreise ausgrenzt. Auch deshalb darf die Informationsgesellschaft nicht dem freien Spiel der Kräfte überlassen werden. Es bedarf eines klaren Ordnungsrahmens – und zwar auf allen politischen Ebenen. Selbstverständlich darf dabei nicht übers Ziel hinausgeschossen werden, aber allein schon das Nachdenken über die Notwendigkeit von Rechtssetzungen als „Überregulierung“ zu diskreditieren, wie dies von interessierter Seite geschieht, ist diffamierend. In diesem Zusammenhang geistert seit einiger Zeit ein Schlagwort durch die medienpolitische Debatte, das immer wieder als Begründung für immer neue medienpolitische Deregulierungsansprüche herhalten muss: „Konvergenz“ heißt das Zauberwort. Die politisch vollzogene Deregulierung wird dann nicht selten für Fusionen spektakulärer Art genutzt, was eine zunehmende Herausforderung für die Wettbewerbskontrolle darstellt. Ausgangspunkt sind die technische Verschmelzung von Fernsehgeräten und Computern und die Integration von Telekommunikations- und Mediendiensten unterschiedlichster Art in einem einzigen Vertriebssystem: Text und Sprache, Daten und Bilder, Filme, Videospiele und vieles mehr können über ein einziges Netz transportiert und mit einem einzigen Endgerät abgerufen und weiter bearbeitet werden. Alle Informationen lassen sich beliebig verändern, speichern und übertragen. Diese Konvergenz der Technik ist unbestritten. Daraus lässt sich jedoch keineswegs auch eine inhaltliche Konvergenz oder eine Konvergenz der Märkte ableiten. Auch wenn wir mit einem Endgerät über die Datenautobahn sausen, mit unseren Liebsten telefonieren, den Wochenendeinkauf tätigen, Bankgeschäfte erledigen oder den neuesten Film gucken können, ist der Unterschied zwischen Individualkommunikation und Massenkommunikation nicht aufgehoben. Allen Diensten, die sich an die Allgemeinheit richten, kommt ein hohes Maß an politischer, gesellschaftlicher, kultureller, publizistischer und sozialer Bedeutung zu, die im öffentlichen Interesse beispielsweise Jugendschutzbestimmungen, Vielfalt sichernde Maßnahmen oder Werbebeschränkungen erfordert, um nur einige Beispiele zu nennen. Andere Angebote hingegen, wie etwa ein Internetdienst oder gar ein Intranet, die sich an eine geschlossene Benutzergruppe wenden, benötigen diesbezüglich geringerer Auflagen. Jedoch können besondere Datenschutzauflagen notwendig sein. Man braucht also auch weiterhin spezifische rechtliche Regelungen je nach den verschiedenen inhaltlichen Aspekten. Hierfür muss ein System der abgestuften Regelungsdichte geschaffen werden, das zum Beispiel den Unterschied von publizistischer und kultureller Relevanz gegenüber solchen Informationsdiensten berücksichtigt, die ausschließlich geschlossenen Nutzerkreisen dienen. Vielfach mag die bloße Anmeldung eines Dienstes genügen. Querschnittaufgabe Medienpolitik muss dennoch einem ganzheitlichen Ansatz entsprechen. Sie muss als Querschnittaufgabe der Wirtschafts-, Technologie-, Wissenschafts-, Bildungs-, Gesellschafts-, Kultur- und Ordnungspolitik begriffen und strukturiert werden, und sie muss darauf ausgerichtet sein, dass die Handlungsebenen einen immer größeren politischen und geografischen Raum einnehmen. Ein Blick in die Bertelsmann-Bilanz zeigt: der Auslandsumsatz ist um einiges höher als der Inlandsumsatz. Er wird zum großen Teil in den europäischen Nachbarstaaten erwirtschaftet, aber in beträchtlichem Maß etwa auch in den USA. Da ist kein Platz mehr für Ressortpartikularismus und Kleinstaaterei. Die Bündelung von Zuständigkeiten und die Integration von ressortspezifischen Politikansätzen auf regionaler, europäischer und auch darüber hinausgehender Ebene sind von Nöten. Die Europäische Union hat formal keine rundfunkpolitische Kompetenz, weil die Mitgliedsländer (in Deutschland die Bundesländer) aus gutem Grund an der Kultur- und damit auch an der Rundfunkhoheit festhalten. Dennoch gibt es eine europäische Medienpolitik mit weitreichenden Konsequenzen, die zunehmend den öffentlich-rechtlichen Rundfunk bedrängt. Der für Deutschland überaus vorteilhafte Binnenmarkt schließt grenzüberschreitende Medienaktivitäten ein. Kein Anbieter darf am Marktzugang gehindert werden. Auch darf es keine ausgrenzenden Beschränkungen, etwa durch technische Normen, geben. Daher gibt es eine seinerzeit heiß umstrittene Richtlinie „Fernsehen ohne Grenzen“ mit einheitlichen Mindeststandards für Jugendschutz, Werbezeiten, Werberegeln und dergleichen sowie EU-weit geltende Vorschriften für Satellitenübertragungen oder den Schutz von Datenbanken, Urheberrecht sowie Verleih- und Vermietrecht. So weit – so gut. Es zeigt sich aber, dass diese Rechtssetzung alles andere als neutral ist und eine vielköpfige Lobby heftig daran arbeitet, Regelungen durchzusetzen, die erhebliche Auswirkungen auf die Programmgestaltung haben können und lästige Konkurrenz ausschalten sollen. Quotenknüller, Quotenkiller Die Europäische Kommission hat sich schon eine Menge harscher Kritik gefallen lassen müssen, teilweise zu Unrecht, aber zum Teil auch wohl begründet. In Brüssel häufen sich die Klagen kommerzieller Anbieter oder ihrer Verbände über angeblich unlautere Wettbewerbsbedingungen öffentlich-rechtlicher Veranstalter, auf die hier nicht weiter eingegangen werden kann. Die Kommission hat das ursächlich nicht von sich aus losgeschlagen, sie ist von außen damit befasst worden. Offensichtlich versprechen sich die Petenten auf der europäischen Ebene eine erfolgreichere und schnellere Lösung ihrer Konflikte als auf nationaler Ebene erreichen zu können. Das gilt ganz augenscheinlich auch für den Verband Privater Rundfunk und Telekommunikation (VPRT), der in Brüssel eine inzwischen abgewiesene Beschwerde gegen den werbefreien öffentlich-rechtlichen Kinderkanal und den Dokumentations- und Ereigniskanal Phoenix von ARD und ZDF erhoben hat. Die vom VPRT erhobene Frage nach der Berechtigung öffentlich-rechtlicher Spartenkanäle ist damit jedoch noch nicht endgültig vom Tisch. Der VPRT und artverwandte wollen sich die Option auf erfolgreiche Special-interest-(Bezahl-)Kanäle exklusiv weiterhin offen halten. Flankiert von dem Bangemann-Grünbuch „Konvergenz“ hat sich die Debatte um die Frage, was der öffentlich-rechtliche Rundfunk darf, deutlich verschärft. Näheres ist im VPRT-Konzept „Medienordnung 2000 plus“ nachzulesen, das auf folgenden Nenner zu bringen ist: „den Privaten die Quotenknüller, den Öffentlich-rechtlichen die Quotenkiller.“ Kultur, Bildung und Information soll letzteren neben Regionalprogrammen bleiben, Show und massenattraktive Unterhaltung sowie Sport soll eine möglichst alleinige Domäne der Privaten werden. Damit würde der öffentlich-rechtliche Rundfunk zum Nischenfunk degradiert, was gleichbedeutend damit wäre, die Axt an das öffentlich-rechtliche System insgesamt zu legen. Für den Fall, dass den öffentlich-rechtlichen Anbietern die Marktfähigkeit und damit die Überlebensfähigkeit genommen wird, bietet eine vorbereitend von Bangemann vorgelegte Studie wohlfeilen Rat: Wenn das öffentlich-rechtliche System liquidiert ist und die Privaten den Bedarf an Bildung, Politik und Kultur (weil Quotenkiller!) nicht befriedigen können oder wollen, soll die öffentliche Hand entsprechende Aufträge vergeben, möglichst an freie Produzenten. Auch an die Teilhabe Bedürftiger an Angeboten des Bezahlfernsehens wurde gedacht: Die Sozialhilfe soll einspringen. Thema Grundversorgung Wie eine medienpolitische Bombe schlug vor einiger Zeit ein „Diskussionspapier“ mit Leitlinien für die Finanzierung öffentlich-rechtlichen Rundfunks aus dem Haus des vormaligen Wettbewerbskommissars van Miert ein. Hierin findet sich manche Idee aus der Urheberschaft des Kommerz-TV wieder. Wie man es auch dreht und wendet, es läuft immer darauf hinaus, die in Deutschland nicht näher bestimmte, verfassungsrechtlich garantierte Grundversorgung von „Information, Bildung, und Unterhaltung“ als Minimal-Versorgung umzudefinieren und eine Medienordnung – notfalls durch die Hintertür – zu schaffen, die den öffentlich-rechtlichen Auftrag eng eingrenzt. Dem haben die EU-Mitgliedsländer bisher widerstanden. Die Gefahr ist damit aber nicht gebannt, auch nicht im eigenen Haus. Die mühsamen Staatsvertragsverhandlungen belegen das eindrucksvoll. Bei der bevorstehenden Gebührenrunde wird es an der entsprechenden Begleitmusik nicht fehlen. Einen funktionierenden Medienpluralismus kann es ohne eine starkes öffentlich-rechtliches System nicht geben. Dieses steht für kulturelle Vielfalt und umfassende Information. Die Bedienung von Minderheiteninteressen muss eingebunden sein in ein Gesamtkonzept, das auch massenattraktive Angebote von Unterhaltung und Sport einschließt, um sich am Markt behaupten zu können. Grundversorgung darf eben nicht als Mindestversorgung missverstanden werden. Öffentlich-rechtlicher Rundfunk darf ferner nicht auf die herkömmlichen Formen und Inhalte beschränkt, sondern er muss in die Lage versetzt werden, seinen Programmauftrag dynamisch zu verstehen in Richtung auf ein Angebot, das für neue Publikumsinteressen, für neue Inhalte, Formen und Techniken offen ist. Dazu gehören auch Zielgruppen- und Spartenprogramme. Die digitale Angebotserweiterung muss den chancengleichen und diskriminierungsfreien Zugang des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu den Netzen, Decodersystemen und elektronischen Programmführern gewährleisten. Werden digitale Programmpakete zusammengestellt, muss über Must-Carry-Regelungen sichergestellt werden, dass auch öffentlich-rechtliche Programme im Gesamtpaket enthalten sind. Nicht zuletzt die Diskussion um das Grünbuch Konvergenz, aber auch das „Tauziehen“ um den Finanzausgleich zwischen den deutschen Rundfunkanstalten hat gezeigt, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk als wesentlicher Bestandteil unserer demokratischen Medienstruktur vielfachen Anfeindungen ausgesetzt ist. Sie lassen sich letztlich nur bestehen, wenn entschiedener öffentlicher Druck der Politik hilft, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in seinem Bestand und in seiner Entwicklung zu schützen und zu stärken. Nun wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Aus den „heiß“ umstrittenen Leitlinien ist zum Glück nichts geworden. Die einschlägigen Stellungnahmen zum Thema „Konvergenz“ haben die Haltung des Europäischen Parlaments gestärkt, die Bereiche Infrastruktur und Inhalte rechtlich getrennt zu bewerten und den publizistisch relevanten Charakter von Medienangeboten als Beitrag zur gesellschaftlichen Meinungsbildung und als Ausdruck kultureller Vielfalt zu betonen. Die neue Kommission hat im Dezember 1999 wesentlich ausgewogenere „Grundsätze und Leitlinien für die audiovisuelle Politik der Gemeinschaft im digitalen Zeitalter“ als die Vorgängerkommission vorgelegt. Damit ist eine neue Beratungsrunde eröffnet. Transparenz schaffen Eine wesentliche Vorgabe ist das Protokoll des Amsterdamer Vertrages über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in den Mitgliedstaaten, der ausdrücklich anerkennt, dass die Bestimmungen des EU-Vertrages nicht die Befugnis der Mitgliedstaaten berühren, den Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu definieren und für die entsprechende Finanzierung zu sorgen – wenn, ja wenn keine wettbewerbsrechtlichen Verzerrungen damit verbunden sind. Diese Vorgabe ist interpretationsfähig, notfalls werden die Gerichte sprechen. Die Forderung nach Transparenz ist allerdings nicht ganz unberechtigt. In manchen EU-Ländern wird man das eine oder andere möglicherweise überdenken müssen. Im deutschen öffentlich-rechtlichen System herrscht anerkanntermaßen Transparenz. Und die hiesige Mischfinanzierung durch Werbung ist nur eine Randfinanzierung, die keine Wettbewerbsverzerrung darstellt. Es ist aber durchaus nicht sichergestellt, dass unter dem Deckmantel der Wettbewerbssicherung erneut auf in den Schubladen schlummernde Restriktionen zurück gegriffen werden soll. Höchste Aufmerksamkeit ist weiterhin angebracht. All diese Auseinandersetzungen machen eindringlich die Notwendigkeit einer ergänzenden europäischen Medienordnung deutlich, die Meinungsvielfalt und Pluralismus in einer sich zunehmend europäisierenden Medienlandschaft sichert und den Bestand und die Fortentwicklung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks mit einem umfassenden Programmauftrag garantiert. Es bedarf eines sorgfältig aufeinander abgestimmten regionalen, nationalen und europäischen Regelungswerkes, das nicht durch Konkurrenz der Zuständigkeiten zur Unwirksamkeit verdammt, sondern durch gemeinsamen Konsens auf Erfolg ausgerichtet ist. Im medienpolitischen Beschluss des SPD-Parteitages vom 4. Dezember 1997 in Hannover heißt es deshalb: „Wir benötigen dringend neue Strukturen, in denen zwischen den Ländern, dem Bund und der EU eine kontinuierliche und enge Abstimmung medien- und telekommunikationspolitischer Aktionen und Initiativen stattfinden kann. Es ist zumindest notwendig, dass Länder und Bund einen „Kommunikationsrat“ etablieren, der sich mit allen Fragen befasst, in denen eine Vernetzung zwischen Ländern und Bund, Landesmedienanstalten und Regulierungsbehörde sinnvoll und geboten ist ... In diesem ‚Kommunikationsrat‘ sollen Vertreter aller gesellschaftlich relevanten Gruppen einbezogen werden. Dieser ‚Kommunikationsrat‘ könnte zugleich die Aufgabe wahrnehmen, eine Vernetzung zwischen Medien- und Telekommunikationspolitik in Deutschland und der EU sicher stellen. Die erforderliche Koordination auf EU-Ebene könnte ein ‚Kooperationsrat‘ übernehmen, der aus unabhängigen, sachkundigen Persönlichkeiten bestehen sollte, die von den Mitgliedsländern entsandt werden und vor allem für Transparenz sorgen sollen.“ Erforderlich ist auch eine verbesserte Medienkonzentrationskontrolle, die die Kapitalverflechtungen und Kooperationen im Mediensektor, insbesondere auch im Bereich der sogenannten „Cross-owner-ships“, offen legt und zur Sicherung eines funktionsfähigen Wettbewerbs auf dem Mediensektor beiträgt. Alle Versuche, auf europäischer Ebene eine befriedigende Lösung zu erreichen, sind jedoch leider unbeschadet des Fusionsverbotes des Kirch-Bertelsmann-Vorhabens bislang gescheitert. Ein neuerlicher Konfliktfall, den die EU-Kommission jetzt wettbewerbsrechtlich zu prüfen haben wird, ist die geplante spektakuläre Allianz von AOL und Time-Warner. Nicht zuletzt dieses aktuelle Beispiel zeigt, dass politischer Druck weiterhin von Nöten ist. Mediennutzungskompetenz Last but not least ist noch ein weiterer Bereich anzusprechen, dem eine immer größere Bedeutung zukommt. Alle bisherigen Untersuchungen zeigen, dass diejenigen, die von den neuen technischen Möglichkeiten und Anwendungen Gebrauch machen, in der Regel besser ausgebildet, gesellschaftlich besser gestellt und materiell mehr begünstigt sind als der Durchschnitt der Bevölkerung. Das macht deutlich, dass Mediennutzung nicht allein eine Frage der technischen, sondern vor allem auch eine Frage der finanziellen und intellektuellen Voraussetzungen ist. Mediennutzungskompetenz ist daher eine Schlüsselqualifikation für die Zukunft. Das heißt, Lernen ist angesagt, und zwar lebenslanges Lernen. Das ist die begleitende Philosophie der Europäischen Union, die uns schon Jacques Delors in seinem „Weißbuch über Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung“ mit auf den Weg gegeben hat. „Eine auf Wissen gegründete Wirtschaft erfordert offenere und kreativere Schulen und Universitäten, Anpassungsfähigkeit sowie den Erwerb neuer Kompetenzen mit Hilfe des lebenslangen Lernens. Des weiteren erfordert sie eine offene Auffassung von Bildung und Ausbildung; diese muss auch lokale und nationale Kulturen einbeziehen und das gegenseitige Verstehen zwischen den Bürgern fördern. Demzufolge gilt es, das Problem der Zugänglichkeit direkt anzugehen, indem man den Bürgern die zum Lernen in der Informationsgesellschaft erforderlichen Werkzeuge bereit stellt.“ Chancengleichheit Das ist ein Auszug aus den Schlussfolgerungen des Präsidenten der Ministerkonferenz der G7 über die Informationsgesellschaft in Brüssel im Februar 1995, womit ein wichtiger Handlungsrahmen für die Politik beschrieben ist. Was schließen wir daraus? Bildungseinrichtungen aller Art müssen Fitness-Studios für Netsurfer und Highway-Setter werden. Ein Computer pro Schulklasse reicht da nicht. Im übrigen muss zunächst die Befähigung des Lehrpersonals und auch der Eltern forciert werden, die nicht selten erst von den Kids den Umgang mit dem Computer lernen. Damit ein Mehr an Information auch ein Mehr an Nutzen für möglichst viele bedeutet, bedarf es einer gestaltenden Politik, die eine umfassende Informationskultur ermöglicht, die den offenen Zugang für Bürgerinnen und Bürger zu tragbaren Bedingungen gewährleistet und auf diese Weise Chancengleichheit verwirklicht. Das setzt eine begleitende Medienkompetenzoffensive vom Kindergarten bis zur Erwachsenenbildung voraus. Zu einer Spaltung der Gesellschaft in eine „Informationselite“ auf der einen und ein „Informationsproletariat“ auf der anderen Seite darf es nicht kommen. Mediennutzungskompetenz bedeutet die Fähigkeit, Chancen für eine Beteiligung am demokratischen Meinungsbildungsprozess sowie politische und gesellschaftliche Partizipation aktiv wahrzunehmen. Wenn wir das erreichen, muss es uns um eine gesicherte Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und den Erhalt einer die Demokratie tragenden pluralen Medienkultur in der belebenden Konkurrenz eines dualen Systems auch in einer fortentwickelten Informationsgesellschaft nicht bange sein.Der weite Spagat zwischen Kultur und Kommerz
Untertitel
Über Risiken und Nebenwirkungen europäischer Medienpolitik
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