Ein außergewöhnlicher Jahrgang, dieser 56. Internationale Musikwettbewerb der Arbeitsgemeinschaft der Rundfunkanstalten Deutschlands. Nicht nur weil dieses Mal alle ersten Preise vergeben wurden, auch in Fächern wie Posaune, Schlagzeug und Oboe, die noch nie oder selten so bedacht wurden. Vor allem überzeugte deren Vergabe nicht nur die Juroren, sondern auch die durch ihren Beifall und für den Publikumspreis votierende, sehr sachverständig wirkende große Zuhörerschaft. Zwei Wochen hindurch wurde sie nicht müde, die aus 35 Ländern angereisten Kandidaten zu begleiten, anzufeuern und ihren Erfolg mitzufeiern. Diese enorme Anteilnahme der Öffentlichkeit, beim Semifinale auch mit engagierter Begleitung durch das Münchner Kammerorchester und im Finale mit dem Symphonieorchester des BR, bot den Kandidaten echte Konzertsituation. Solcher Service, wäre es ein Weinjahrgang, rechtfertigt die erste Auszeichnungsbanderole.
Die zweite Banderole gilt der gelungenen Kongruenz zwischen dem im ARD-Wettbewerb erwarteten hohen Spiel-Soll und der Aufgabe, die Messlatte für eine angemessene Leistungsbeurteilung zu finden. Das klingt zwar theoretisch. Aber Repertoire, Fachjury, weit über 100.000 Euro für bereitstehende Prämierungen und ein superlanges Kalendarium für Anschlusseinladungen – das sind Gradmesser für die internationale Einschätzung eines Wettbewerbes. So hat der ARD-Wettbewerb durch seine Anforderungen einen absolut hohen Stellenwert: Acht oder neun Werke aus einer Wahlliste aus allen Epochen und Stilbereichen zwischen Barock und Gegenwart soll jeder konzertreif bringen, im Solo oder mit Klavierpartner und Orchesterbegleitung.
In München trafen die 217 Kandidaten in ihrem Fach auf ein international besetztes und gegen früher auch verjüngtes Jury-Septett, in das bewusst auch ehemalige ARD-Preisträger eingeladen wurden. Befragt nach ihrem Gesamteindruck: die außerordentlichen Spitzenleistungen dieses Jahres rechtfertigen die Vergabe der ausgeschriebenen Preise voll und ganz. Nuancen zwischen den Preisträgern sind minimal. Den elf Preisträgern des Jahres 2007 steht ein großes Leistungsmittelfeld gegenüber. Ausnahme: die Kammermusik. Und das Fach Schlagzeug, zuletzt vor sechs Jahren im Wettbewerb, konnte man in neuer Dimension kennen lernen.
Deutschland kam bei 29 Teilnehmern auf zwei Solopreise: der Schlagzeuger Johannes Fischer (25), 1. Preis, und der Posaunist Frederic Belli (24), 2. Preis, beide vorher wiederholt Laureaten von „Jugend musiziert“. Zweimal auch Spanien, der erste Oboenpreis für Ramón Ortega Quero (19), der 3. Posaunenpreis an Juan Carlos Matamoros (21). Zweimal gleichfalls Russland mit dem 2. und 3. Oboenpreis, Ivan Podyomov (20) aus Moskau und Maria Sournatcheva (19), die allerdings vor fünf Jahren in die Frühförderung an der Musikhochschule Hannover kam und als „Jugend musiziert“-Bundespreisträgerin dem Bundesjugendorchester angehört.
Frankreich, woher diesmal die meisten Anmeldungen kamen, holte sich mit Fabrice Millischer (21) den ersten Posaunenpreis und erntete für das Trio Cérès den 3. Preis. Nicht zu vergessen, aus Bulgarien kommend und mit dem 2. Schlagzeugpreis bedacht, die europaweit prämierte Vassilena Serafimova (21).
Eine weitere Banderole verleihen wir der großen Überraschung des Jahres, Beleg für einen Gesinnungswandel in der heranwachsenden Musikergeneration: das Interesse an kammermusikalischen Aufgaben. Alle 28 Klaviertrios zeigten bei ihren, in der Addition rund dreistündigen Konzertprogrammen ein erstaunlich hohes Niveau – es geriet zu einem spannenden Kammermusikfest. Dass nur drei prämiert werden konnten, ist deshalb schade: das Morgenstern-Trio aus Deutschland/Frankreich mit dem 2. Preis und dem Publikums-Preis. Das Tecchler-Trio aus Schweiz/Deutschland mit dem 1. Preis. Beide zeigten sich wohl so topfit, weil sie gerade preisgekrönt vom ebenfalls anspruchsvollen Kammermusikwettbewerb in Melbourne zurückkamen.
Mit einer vierten Banderole ausgezeichnet sei das gelungene Experiment, vier originelle, von den Semifinalisten uraufgeführten Auftragswerke, zu präsentieren. Dafür gab es Sonderpreise. Matthias Pintscher nannte sein Stück „nemeton“ für Solo-Percussion, das der Preisträger Johannes Fischer aus seiner Klangstube geheimnisvoll aus einer Vielzahl von auch selbst entwickelten Klangmaterialen in extremen Klangvolumina herauszauberte. Nicht einfach war wohl der Spiel- und Hörzugang zu Tobias PM Schneids viersätzigem Piano Trio No. 2 „Three Farewells and Intermezzo for L.“, das anrührt und bei jeder Präsentierung, am besten gelungen vom Tecchler Trio, an Transparenz gewann. Stefan Heucke komponierte ein tiefsinniges Adagio für die singende Posaune. Melos, farbige Register und viel Technik erforderte die Oboen-Sonate des finnischen Komponisten Olli Mustonen.
Im nächsten Jahr erwartet der ARD-Wettbewerb in München den weltweiten Nachwuchs auf Viola, Klarinette, Fagott und im Streichquartett.