An das ISCM World New Music Festival in Stuttgart war auch der Jugendkongress N[you] mit einer Reihe von Workshops angeschlossen. Es erwies sich als glückliche Kombination. Diese Verbindung scheint heute wichtiger denn je, denn ein internationales Festival für Neue Musik wird auf die Dauer zu seinem eigenen Totengräber, wenn es sich nicht um die der zeitgenössischen Musik mehr und mehr entwöhnte Schicht der Kinder und Jugendlichen kümmert.
Es war auch eine der primären Erfahrungen bei den diversen Workshops (mehr als 15 wurden in den Bereichen außereuropäische Musik und ihre Vernetzungen, Schulmusik, kreativer Instrumentenbau, Musiktheater, die Kunst des neuen Hörens, Komposition oder auch Reporterarbeit angeboten), dass bei vielen Jugendlichen der Begriff Neue Musik weithin verschwommen oder auch ganz einseitig mit Pop und Rock belegt ist.
Auch bei dem Reporter-Workshop, den der Autor dieses Textes leitete, stellte sich heraus, dass die hier schon etwas älteren Jugendlichen (zwischen 16 und 19 Jahren) noch kaum Kontakte zu zeitgenössischen musikali-schen Denkansätzen hatten, was ein recht beschämendes Bild vom Zustand heutiger Schulmusik abgibt. Die Arbeit war also – und andere Workshopleiter erlebten Ähnliches – in erster Linie ein Akt erster Begegnung. Da aber stellte sich dann heraus, dass die Neugier enorm ist, vor allem die Neugier, etwas selbst auszuprobieren, selbst zu gestalten. Der rein passive Kontakt mit zeitgenössischen musikalischen Ansätzen (also beim Hören eines Konzerts) wurde hingegen immer wieder als lästig, ja als Zumutung empfunden und schnell spürte man kritische Distanz, die gar nicht versuchte, argumentative Begründungszusammenhänge zu liefern.
Es ist wohl ein bezeichnendes Phänomen heutiger Kinder und Jugendlicher, dass sie sich auf das pädagogische Stillhalteabkommen „Hört erst einmal zu“ nicht oder allenfalls zögernd einzulassen bereit sind, was man auch als Zeichen von Emanzipation begreifen kann. Die eigene Tat aber, das Vorlegen von Ergebnissen setzt hingegen ein erstaunliches Maß an kreativen Kräften frei. So musste oder durfte der Komponist Robin Hoffmann, der mit Kindern die Konzerte und Proben besuchte und dann das Erlebte gemeinsam beschreiben wollte, erleben, dass der Kurs am Widerstand der jungen Hörer zu scheitern drohte. Erst als man sich entschloss, die Eindrücke in einer Reportage rundfunkähnlich aufzubereiten, wurden die aktiven Impulse wieder geweckt und es entstanden sehr prägnante, kritische, informative Auseinandersetzungen mit der gehörten Musik. Dinge aber, die am Rande des Scheiterns stehen und dieses dann erfolgreich abwenden, sind meistens wesentlich prägender und inniger in ihrer Wirkung als solche, die auf Anweisung gehorsam erledigt werden.
Die anderen, gewissermaßen aktiven Workshops, die auf eine Aufführung am Schluss hinarbeiteten, konnten in der Regel solchen Berührungs-Widerständen aktiver begegnen. Zwar gab es auch hier Ablehnung gegenüber dem Ungewohnten, aber das Ausprobieren, die eigenen Impulse waren meist Anreiz genug, innere Sperren abzubauen: vor allem dann, wenn es gelang, das Ungewohnte nicht als Widersinniges, sondern als Enge der eigenen bisherigen Erfahrungswelt zu begreifen.
Erstaunliches gelang in dieser Hinsicht Astrid Schmeling, die mit Kindern und Jugendlichen zwischen etwa 10 und 19 Jahren ein Kompositionsprojekt (Einzelunterricht) leitete. Das heißt: Das Erstaunliche gelang den Schülern selbst. Denn nach einer Woche legten sie kurze Stücke (zwischen einer bis fast zehn Minuten) vor, die in der Prägnanz ihrer Formulierung, in der konkreten Ausarbeitung der kompositorischen Fragestellung oft überzeugender wirkten als die professionellen Arbeiten, die abends in den Konzerten geboten wurden. Natürlich nahm man Defizite im Handwerk wahr, doch die Stücke wirkten weit wohltuender und erfrischender als manch reifere Kompositionen, denen man allenfalls gut erlernte, dann aber charakterarm eingesetzte Fertigkeit bescheinigen konnte. (Hier ein kleiner Seitenblick aus dieser jugendlichen Warte auf das Weltmusikfestival: In vielen Aufführungen fiel auf, dass die Werke umso stärker waren, je weniger sie sich einer gleichsam globalen Musiksprache unterordneten. Diese avantgardistischen Sprachmittel, wie sie am IRCAM wie in deutschen oder amerikanischen Hochschulen in ähnlicher Weise gelehrt werden, erweisen sich vor allem in den Händen junger Komponisten aus anderen Kulturkreisen oft als nivellierend. Die globale Vernetzung der Musik aber kann letztlich nur ins Sinnvolle gewendet werden, wenn auf der anderen Seite genügend Raum für individuell wie auch national Eigenständiges bleibt.)
Zum Abschluss der Kurse wurden in einem gebündelten Programm die Ergebnisse der einzelnen Arbeitsgruppen vorgestellt. Es war ein Gang durch verschiedene Äußerungsformen der zeitgenössischen Musik, Annäherungen an fremde Tonskalen und außereuropäische Musikkulturen, Begegnungen mit ungewöhnlichen Spiel- und Aktionsformen, Auseinandersetzungen mit futuristischen Theaterkonzepten vom Beginn des 20. Jahrunderts (so in Gerhard Stäblers „futuressence“).
Nach den so erfolgreich verlaufenen Kursen waren sich die meisten Workshopleiter einig darüber, dass Aktivitäten dieser Art letztlich nur Flächenwirkung zeitigen, wenn sie auf eine breite Basis gestellt werden. Kreatives Agieren im Unterricht dürfe nicht allein Aufgabe von solchen Fachkräften sein, wie sie hier in Stuttgart zugegen waren, die Fähigkeit dazu müsse den Lehrern an Grund- wie an weiterbildenden Schulen viel intensiver vermittelt werden.
Dass von Seiten den Schüler Potential und Bereitschaft vorliegen, wurde beim Kongress N[you] im Rahmen des World New Music Festivals in Stuttgart nachdrücklich bewiesen.