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Die Tagelöhner

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Düstere Aussichten für Musikhochschulabgänger · Vom Musikstudenten zum Tagelöhner.
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Jedes Jahr verlassen Hunderte von Absolventen die deutschen Musikhochschulen als staatlich geprüfte Musikerzieher oder Diplommusiklehrer. Sie haben dann in der Regel 13 Jahre Schule und vier Jahre Musikhochschule, oft noch ein künstlerisches Aufbaustudium, hinter sich. Sie haben geübt, vor Konzerten gezittert und ein pädagogisches Praktikum absolviert. Doch das hart erarbeitete Diplom entpuppt sich als wenig gewinnbringend. Die Musikschulen können die große Zahl von Berufsanwärtern nicht mehr aufnehmen, die goldenen Jahre des Gründungsbooms sind Vergangenheit. Immer mehr Musikschulen sind gezwungen, ihre Personalkosten, die den Hauptposten im Etat ausmachen, zu dämpfen, und stellen deshalb neue Pädagogen vielfach als Honorarkräfte, im Musikschul-Jargon auch „Tagelöhner“ genannt, ein. Dazu kommen Privatisierungsbestrebungen der Träger, oft nur mit dem Ziel feste Anstellungsverhältnisse in Honorarverträge umzuwandeln. Die Folgen: Die Arbeitsleistung ist bei Honorarkräften auf das reine Unterrichten beschränkt, Extraleistungen wie Ensembleproben, eigenes Konzertieren, Wettbewerbsvorbereitung oder Elternarbeit entfallen. Lehrerkonferenzen, Fortbildung, Öffentlichkeitsarbeit, Konzerte sind nicht mehr Pflicht, bestenfalls noch freiwilliges Engagement eines Lehrers. Es findet eine Verlagerung der Interessen auf die eigenen, oft besser bezahlten Privatstunden statt. Hier entsteht eine innere Konkurrenz zur Musikschule, denn die guten Schüler nimmt man sich privat. Langfristig erleiden die Musikschulen dadurch einen Imageverlust. Die Jungmusikerzieher ohne Musikschulstelle verzweifeln allerdings nicht: Sie gründen Privatinstitute, die sich auf spezielle Instrumente, pädagogische Verfahren, oder musikalische Sparten wie beispielsweise Musical spezialisiert haben. Das wiederum kann sich zu einer ernsthaften Bedrohung für die Musikschulen in kommunaler Trägerschaft auswachsen. Denn diese Privaten ziehen nicht nur Schüler ab, sondern bieten ihre Dienste wiederum den Kommunen an – und zwar oft billiger als die Musikschule das kann, freilich auf Kosten ihrer Lehrkräfte. Zudem fühlen sie sich nicht, wie die Musikschulen des VdM, an einen Bildungsauftrag gebunden, der ihnen das gesamte Spektrum einer musikalischen Ausbildung von der musikalischen Früherziehung, der Pflege des Laien- und Liebhabermusizierens, der Begabtenförderung und der Berufsvorbereitung aufbürdet, inklusive des dazugehörigen Fachpersonals. So geraten Heerscharen von hervorragend ausgebildeten Musikerziehern in die unfreiwillige Selbständigkeit. Honorarverträge und Künstlersozialkasse werden ihnen zur Pflicht, ohne daß ein echtes Freiberuflerdasein vorliegt. Ein Teufelskreis, aus dem es kein Entrinnen gibt? Zwar bietet der VdM an, für jede Musikschule individuelle Lösungen in Zusammenarbeit mit der Kommune zu erarbeiten. Alles steht und fällt aber letztendlich mit dem Engagement der öffentlichen Hand. Überläßt man den Musikunterricht in Zukunft dem „Markt“? Und läßt es dadurch geschehen, daß musikalische Bildung ihre Konturen verliert oder wieder zu einem Privileg der Besserverdienenden wird? Oder fassen die verantwortlichen Politiker in Kommune und Landtag die musikalische Bildung, trotz knapper werdender Mittel, weiterhin als eine Pflichtaufgabe einer demokratischen Gesellschaft auf? Dazu ein Statement von Gerhard Seiler, ehemaliger Präsident des Deutschen Städtetages und jetziger Oberbürgermeister von Karlsruhe, das dieser kürzlich gegenüber der nmz machte: „Die städtischen Musikschulen sollten sich vor einer Konkurrenz nicht fürchten. Es gibt gewisse Grundmusikkenntnisse, die man auch erwerben können soll, wenn man keinen großen Geldbeutel hat. Wir können nicht nur Hochbegabtenförderung betreiben, wir müssen auf allen Gebieten fördern.“ Und dafür gibt es einfach keine ernstzunehmende Alternative zur öffentlichen Musikschule. Dossier · Klassik Komm. und die „Aktion Musik“ Klassik Komm. +++ weitere Texte zum Thema +++

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