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Die Unzufriedenheit zieht weite Kreise

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Ein anonymer Leserbrief zur Situation von Musikschullehrerinnen und -lehrern in Zeiten von „JeKi“ und Co.
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Die nmz-Redaktion veröffentlicht in der Regel keine anonymen Leserbriefe. In Zeiten des Internet, wo in Blogs und Foren anonyme Kommentare an der Tagesordnung sind, hat sich der Umgang mit solchen oft ungefilterten Äußerungen geändert. Übers Netz erreichte uns auch folgender Brief, der die berufliche Situation von Musikschullehrern/-innen in Zeiten von „JeKi“ zum Thema hat. Wir möchten den Text hier (leicht gekürzt) zur Diskussion stellen, bitten aber den Autor oder die Autorin, sich mit uns in Verbindung zu setzen.

Zunächst möchte ich gerne anonym bleiben (…) auch weiß ich noch nicht, ob dieser Brief eine einmalige Angelegenheit bleiben wird, oder ob sich noch mehr daraus entwickeln wird. Diesen Weg zu wählen, darüber denke ich seit einigen Wochen nach, aber das heutige Rundschreiben einer meiner Chefs war der letzte Auslöser, es doch in Angriff zu nehmen.

Dabei war es gar keine böse E-Mail, eher das Protokoll einer Sitzung, bestehend aus Musikschulleitern, Grundschulleitern und vielleicht noch Stadtverwaltern, ich weiß es nicht. Auf jeden Fall eine Reihe von Anweisungen, wie wir uns zu verhalten haben hinsichtlich des Stundenplans, Unterrichtszeiten und Veränderungen. Es soll also um „JeKi“ gehen, Bläserklassen, Gruppenunterricht, Dienstleistung, Kunden, schrumpfende Wartelisten in den Kernbereichen, um die Stellung unseres Berufs! (…) Wenn ich mich mit Kollegen unterhalte, gibt es momentan eigentlich nur noch das Thema „JeKi“, und die meisten sind mehr als ge-
nervt darüber. In letzter Zeit bin ich etwas herumgekommen und habe festgestellt, dass dies ein überregionales Thema ist. „Kollegen“ sind also jetzt nicht mehr nur diejenigen, die am selben Tag wie ich im selben Gebäude unterrichten, sondern durchaus Kollegen, die ich gar nicht persönlich kenne. Die Unzufriedenheit zieht sich also mindestens über einen Radius von 50 bis 70 Kilometern rund um meinen Standort.

Es gibt auch welche, die „JeKi“ mit Freude machen und voll darin aufgehen. Worüber sich aber die meisten einig sind: Es ist deutlich anstrengender und aufwändiger als der Unterricht, wie wir ihn bis jetzt kennen. Ich unterrichte selbst „JeKi“, zwei Stunden zweites und zwei Stunden drittes Schuljahr. Die Arbeit mit diesen kleinen Kindern finde ich auch total faszinierend, aber ich habe bestimmt schon ganz schlechte Stunden gemacht, einfach, weil mich diese Horde von Kindern überfordert hat. Ist „JeKi“ sinnvoll oder nicht? Darüber gibt es Diskussionen ohne Ende. Auf jeden Fall wird es zu unseren Lasten, den Musikschullehrern/-innen ausgetragen, und das ohne erkennbare entsprechende Honorierung oder Dankbarkeit! „Dein Stundendeputat hat eine Lücke, also könntest du ja noch eine ,JeKi‘-Stunde übernehmen!“

Unser Beruf ist unglaublich kompliziert. Erkläre zum Beispiel mal einem Außenstehenden nur den Begriff „Ferienüberhang“, das wird ein Gespräch mit „Überhang“ werden! „Also, ich habe einen Arbeitsvertrag über zwölf Stunden, in Wirklichkeit muss ich aber dreizehn Stunden arbeiten, damit ich in Urlaub gehen darf …“ Wieso haben wir keinen Arbeitsvertrag, der unserer Arbeitszeit entspricht? „JeKi“ soll nach genau feststehenden Mustern verlaufen: so und so viele Kinder pro Gruppe, Wunschzeit und Wunschort, wir kommen! Es geht jetzt nicht unbedingt darum, ob „JeKi“ gut oder schlecht ist. Es geht mir darum, wie wir in diesem Zusammenhang behandelt werden, nämlich nicht besonders gut! (…) Wir haben noch nicht gelernt, Forderungen zu stellen! Es ist normal, dass Handwerker einen Zuschlag für die Anfahrt berechnen, wenn sie ins Haus kommen, für uns nicht!

Und „JeKi“? Ich benötige jetzt dreieinhalb Zeitstunden, um zwei „JeKi“-Stunden abzuhalten! Und dann soll ich noch jedem in der Stadtverwaltung darüber Rechenschaft ablegen, wenn ich eine Stunde verlegen muss? In einer Konferenz, als „JeKi“ noch vor der Planungsphase stand, äußerte jemand: „Wenn ich aber in der Grundschule arbeite, hätte ich für diese Stunde aber auch gerne die Bezahlung eines Grundschullehrers.“ Diese(-r) Kollege/-in wurde hemmungslos ausgelacht, von den eigenen Kollegen! Nach eineinhalb Jahren „JeKi“-Praxis komme ich zu folgendem Ergebnis: Wenn ich „JeKi“-Unterricht gebe, dann ist das zunächst Grundschularbeit! Eine Gruppe kleiner Kinder erziehen, gleichzeitig ruhig und aufmerksam zu halten. Die Kinder sollen still sein, aufnahmebereit und gleichzeitig aber jederzeit dazu bereit, Musik zu machen. Das bringen viele Erwachsene nicht. Über diese autodidaktische Grundschularbeit hinaus bringe ich aber eine Zusatzqualifikation mit, nämlich die des Instrumentalpädagogen!
Eine Stunde „JeKi“-Unterricht müsste also bedeuten: Eine Stunde Grundschullehrergehalt plus Musikschullehrergehalt! Ohne Kommentar, ohne Gelächter! Dazu eine Aufwandsentschädigung für die zusätzliche individuelle Anreise und eine Erleichterung im restlichen Stundenplan.

Bereits erwähnter Kollege hat noch weiter gedacht: Wir verkaufen uns alle unter Preis, wir stellen keine Forderungen. Es ist auch wirklich brisant, denn die Peitsche droht immer: Wir brauchen euch nicht, wir finden immer jemanden, der es billiger macht, nämlich Studenten oder Privatlehrer, und irgendwie haben wir vielleicht alle so angefangen. Leider glaube ich auch selbst wirklich an die Gefahr, dass auch meine Musikschulen geschlossen werden könnten, wenn die Verhältnisse weiter schlechter werden. Da man aber auf musikalische Ausbildung nicht ganz verzichten möchte, würde man die Musikschulen umwandeln, mit einem TVöD-vergüteten Musikschulleiter und einem Lehrstab aus Honorarkräften! (…)

Die Situation ist heikel, denn viele Musikschulen haben keine Wartelisten mehr, Vakanzen werden mit „JeKi“ und Bläserklassen aufgefüllt, zu jeder gewünschten Uhrzeit und an jedem gewünschten Unterrichtsort. Wie beim Pizzabringdienst. Aber wir bekommen kein zusätzliches Trinkgeld, dafür aber immer mehr Anweisungen, wie wir alles zu machen haben! Unsere Situation ist außerordentlich kompliziert geworden, wir wissen nur über sehr wenig Bescheid, was in anderen Berufsgruppen zur Selbstverständlichkeit gehört. Die eine Musikschule gewährt „Rüstzeit“ für eine „JeKi“-Stunde, die andere hat davon noch nie gehört. Die eine Musikschule erstattet Reisekosten, die nächste weiß nicht, ob sie Reisekosten erstattet oder nicht. Der andere Kollege weiß gar nicht, dass er Anspruch auf Reisekostenerstattung hätte, fährt aber Kilometer ohne Ende zwischen allen Grundschulen. Es gibt ein Gesetz, dass Wartezeiten als Dienstzeiten zu vergüten wären, wer weiß das schon, und, und, und … Konferenzen an den Musikschulen laufen eigentlich immer gleich ab: Schülerkonzert, Lehrerkonzert, „Jugend musiziert“, 18.00 oder besser 18.30 Uhr? Ok, nächster Punkt. Vielleicht könnten wir aber endlich erkennen, dass wir alle topausgebildete Spezialisten sind und es wagen dürften, in den Konferenzen endlich auch Forderungen zu stellen. Nein, nicht nach einem Klavierhocker und Notenständer für Raum xy, sondern: für uns selbst!

Sobald jemand eine unerwartete Forderung an mich stellt, suche ich nach Möglichkeiten, diese zu erfüllen. Zum Beispiel: Sechser-Unterricht anstelle von Einzelunterricht: Ich mache es möglich. Zum Beispiel: Einstiegsalter sieben Jahre anstatt üblicherweise circa elf Jahre, ich mache es möglich. Zum Beispiel: Unterricht in der Grundschule anstatt in der Musikschule, ich mache es möglich. Aber wo ist die Rückseite dieser Medaille?

Ermahnungen, indirekte Gehaltskürzungen über deutlich mehr Fahrtzeit und Wartezeit? Vielleicht bekommen wir Erfolg, wenn wir es erst einmal tun: Forderungen stellen. An unsere Musikschulleitung, an die Kommunen, an die Eltern. Wenn wir es nicht aussprechen, können sie es ja auch nicht wissen! Meine Forderungen, ich weiß, sie sind noch indiskutabel, aber wenn mir jemand eine unerwartete Forderung stellt, suche ich ja auch erstmal nach Lösungsmöglichkeiten:

  • Grundsätzlich neues, eigenständiges Bezahlungssystem für Musikschullehrer/-innen bis hin zur Überarbeitung unseres Steuerrechts.

Musikschullehrer in Teilzeit an mehreren Musikschulen bedeutet mehrere Steuerkarten mit Abzügen bis zu über 50 Prozent, dagegen Mehrarbeit durch doppelte Konferenzen, doppelte Konzerte und so weiter, doppelte Wochenendtermine. Also einen Terminkalender wie ein Topmanager, und fast muss man sich Geld für Sprit pumpen, um die Termine anfahren zu können!

  • Verzicht auf Ferienüberhang
  • Besserstellung von Teilzeitbeschäftigten
  • „JeKi“ in maximal Dreier-Gruppen, von uns individuell bestimmte Stundenplanung
  • deutlich angepasste Extra-Vergütung für „JeKi“ und Bläserklassen
  • Anrechnung von Wegzeiten und Wartezeiten als Dienstzeit
  • mehr Transparenz über unsere Rechte gegenüber den Arbeitgebern
  • et cetera

Das weiche Wasser höhlt den Stein! Wenn wir in der heutigen Krise unser Recht erstreiten würden, könnte es passieren, dass wir zwar Recht bekommen, aber die Musikschule schließen muss, weil sie dem Betreiber (Kommune) dann zu teuer würde. Das wäre glatter Selbstmord. Ich sehe eher eine Chance darin, unsere eigenen Forderungen und Wünsche zu entwickeln, zu formulieren und immer wieder vorzutragen! Also, wenn jemand diesen Brief gut findet, wäre es sinnvoll, ihn an Kollegen weiterzuleiten, damit überregional nach und nach bekannt wird, dass wir leider nicht ganz mit unserer Situation zufrieden sind!

Musikschullehrer/-in

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