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Ludwig Stoffels: Drama und Abschied. Mozart – die Musik der Wiener Jahre. Atlantis Musikbuch-Verlag, Zürich und Mainz 1998.
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Womöglich ist der Vorwurf weltanschaulicher Voreingenommenheit und mangelnder Evidenz ebenso zu erwarten wie das indignierte Zurückweichen vor emotional begründeten, vom persönlichen Erlebnis geprägten Äußerungen. [...] Wer sich aber ernsthaft mit Hypothesen auseinandersetzen will, der möge sich auch auf die ungeschützte Ebene der Argumentation einlassen und nicht mit fruchtloser Polemik antworten.“
Schade, dass Ludwig Stoffels erst im „Persönlichen Nachwort“ (S. 380) seines Buches über Mozarts Musik der Wiener Jahre diese Vorbehalte vorwegnimmt und entkräftet, die dem Leser bereits in den ersten Kapiteln kommen müssen. Das Unternehmen ist gewagt: Ein Herangehen an Mozarts Spätwerk, das explizit auf der „persönlich gefärbten, ästhetischen Erfahrung“ dieser Musik beruht, allerdings mit einem beträchtlichen Anteil an musikalischer Analyse als „nachprüfbarer Basis“ (S. 8). Dreh- und Angelpunkt ist dabei die Oper „Don Giovanni“, deren Aussage, tieferer Sinngehalt, musikalische Anlage und Stellung innerhalb von Mozarts „Meisteropern“ zwischen 1781 und 1791 im ersten Teil des Buchs ausführlich besprochen wird. Anhand höchst komplexer und differenzierter Einzelanalysen untermauert Stoffels dann im zweiten und dritten Teil („Vokale“ und „Instrumentale Dramaturgie“) seine Hauptthese, dass die Transzendenz ein entscheidendes Phänomen in Mozarts Spätwerk ist und sich sowohl in den Opern als auch in der Instrumentalmusik abzeichnet.
Die Widersprüche stoßen dem Leser von Anfang an auf: Der immer wieder betonte Rückzug ins Spekulative, auf die Ebene des Assoziativen, sozusagen „Künstlerisch-Freien“ gewährt in gewissem Sinne Narrenfreiheit: Assoziative Verknüpfung kann so auch als Rechtfertigung sprunghafter Beliebigkeit dienen. Gleichzeitig untergräbt der ständige Verweis auf die Vieldeutigkeit und das Fragmentarische musikalischer Interpretation die Aussage, die der Autor treffen will – die dezi- dierte Ablehnung der allzu einfachen Lösung einer „von den Naturwissenschaft abgelauschte Restriktion auf beweisbare Aussagen“ ist hier vollkommen fehl am Platze, da es sich um zwei unvergleichbare Disziplinen handelt. So überrascht es nicht, dass das erste Kapitel „weniger zu einem Ergebnis führt, als dass es in engeren und weiteren Windungen die Rätsel dieser Oper umkreist“ (S. 79) – ein Nicht-Ergebnis, das zunächst einmal höchst unbefriedigend bleiben muss.
Differenzierte Analyse
Wenn der Leser trotzdem fortfährt, so wird seine Ausdauer in den beiden analytischen Teilen belohnt – allerdings auch weiterhin hart auf die Probe gestellt. In einer höchst differenzierten Analyse einzelner Arien bietet Stoffels überzeugende Charakterisierungen dreier Außenseiter in Mozarts Opern – Don Giovanni, Cherubino und Pamina – und stellt ihre Beziehungen zur Außenwelt in der Untersuchung weiterer Ensembles und Duette dar. Während seine sensible Darstellung des Textes und seiner psychologischen Implikationen besticht, führt die harmonische Analyse zu derartiger Komplexität, dass – trotz des erläuternden Anhangs zum Analyseverfahren – kaum ein interessierter und auch zur tieferen Auseinandersetzung bereiter Laie die Chance zum Nachvollzug und Verständnis des Ergebnisses hat.
Summe der Ausgangsthesen
Eine Hilfestellung bietet dabei die knappe Zusammenfassung am Ende des zweiten Teils, die – auch wenn sie erneut die Subjektivität der Grundthese betont – eine rückblickende Summe der Ausgangsthesen und der bisher gefundenen Ergebnisse bietet. Ebenso positiv erscheinen Stoffels knappe, in den musiksoziologischen Kontext seines Herangehens eingebundene Charakterisierungen der Opera seria und buffa sowie des Wiener Konzertwesens im ausgehenden 18. Jahrhundert, die das Verständnis der Musik Mozarts und der besonderen Stellung seines „Don Giovanni“ erhellen. Die Auswahl der Beispiele aus Mozarts später Instrumentalmusik gewähren dem Leser zudem einen wertvollen Einblick in die wesentlichen musikalischen Elemente der Wiener Klassik.
Zweifellos ein Teil von Ludwig Stoffels emotional begründeter Annäherung an Mozarts Spätwerk ist die sprachliche Gestaltung. Dem Leser ist jedoch mit der affektiven Häufung von Schlagwörtern und mit den zahllosen Wortspielen – die an sich eingängige Dreiergruppierung in Titeln artet hier in einer penetranten Manier aus – nicht gedient. Die Häufung schlagkräftiger Epitheta führt allzu oft ins Leere, die übertriebene Wiederholung von Superlativen zu einer Deflation der Aussagekraft. Analog dazu verwirrt die ausgeklügelte Vielfalt nicht-musikalischer Symbole in der Struktur-Übersicht des Don Giovanni; und die frappierende chronologische Spiegelbildlichkeit in Mozarts spätem Opernschaffen entpuppt sich als raffiniertes Spiel mit Symmetrien, das letzten Endes eines Realitätsbezugs entbehrt – oder wusste Mozart 1781 bei der Komposition des „Idomeneo“, dass er zehn Jahre später eine weitere Opera seria komponieren würde, dazwischen zwei deutsche Opern und das Buffa-Paar „Le nozze Figaro“ und „Così fan tutte“, die den „Don Giovanni“ wie ein Kronjuwel in ihre Mitte schließen?
Es handelt sich hier nicht um eine polemische Ablehnung von Ludwig Stoffels These und Vorgehen. Der Autor zeigt ein tiefes Verständnis von Mozarts Spätwerk, das er anhand tiefgehender Analyse und überzeugender Interpretation zu festigen weiß. Dennoch erschließen sich seine Ergebnisse dem Leser nur zum Teil in überzeugender Aussagekraft; allzu oft entsteht der Eindruck des assoziativen Spiels mit leeren Formeln und schönen Worten.
Eine „Konfrontation mit der akademischen Zukunft“ ist durchaus wünschenswert - doch ob die prekäre Verbindung subjektiver Prämissen mit musikalischer Analyse (die bei aller Wissenschaftlichkeit ebenfalls ein subjektiver Prozess bleibt) einen befriedigende Neuansatz bieten kann, muss fraglich bleiben.