Die Erfolgsgeschichte der Orchesterakademie der Bergischen Symphoniker macht gleichzeitig auf einen Missstand in der Musikhochschulausbildung aufmerksam: Da werden junge Talente bestens gefördert, spezialisieren sich und haben sich am Ende ihres Studiums schon gründlich profiliert, allerdings reduziert sich vieles davon auf die solistische Laufbahn. Für das berufliche Engagement in einem Orchester fehlt es dafür an Praxiserfahrung, was missglückte Bewerbungen und manchmal Frust produziert.
Es war 1999, als die Musiker der Bergischen Symphoniker dies erkannten und mit einer Vereinsgründung für eine Orchesterakademie Abhilfe schafften. Sie haben mit der Vergabe von Orchesterstipendien eine Bildungsinstitution geschaffen, die den jungen Studierenden die Praxis direkt vor Ort, nämlich in den eigenen Reihen, ermöglicht. Wer ausgewählt wurde, der darf ein Jahr lang mit den Profis im Orchester spielen. Aber das Privileg ist zugleich eine extreme Herausforderung: Denn der Profiorchesteralltag ist oft harte Knochenarbeit. Da müssen große sinfonische Werke in kurzer Zeit stehen, müssen sich einzelne Musiker/-innen zurücknehmen zugunsten des großen Ganzen. Am Ende dieser Zeit können die jungen fortgeschrittenen Studierenden mit erster profunder Berufserfahrung bestens punkten.
Das Gespräch mit Tilla Clüsserath, Geschäftsführerin des Vereins, zeichnet ein komplexes Bild, was den Erfolg und die Notwendigkeit des eigenen Engagements widerspiegelt. Letztlich ist die Orchesterakademie auch wieder ein Aushängeschild für das Orchester selbst, dessen Zukunft in den letzten Jahren ja auch erheblich in Frage stand.
„Es fällt auf, wie international die Schar der Bewerber und Bewerberinnen ist – was vor allem daran liegt, dass wir in Deutschland extrem viel ausländische Studierende haben. In manchen Probespielen kommen 80 Prozent der Bewerberinnen und Bewerber aus Asien.“ Die Zielgruppe für die Orchesterakademie sind Studierende, die schon weit gekommen sind und am Ende ihrer Ausbildung stehen. Sie bekommen exklusiv eine Mentorin oder einen Mentor aus dem Orchester, der die persönliche Betreuung sicherstellt. Etwa, um gemeinsam die einzustudierenden Stimmen anzugucken und unter dem typischen Zeitdruck zu erarbeiten. „Wir verstehen uns als Schnittstelle zwischen der Hochschule und der Praxis. Wer in einem Profiorchester mitarbeitet, muss relativ schnell funktionieren können. Man kann hier nicht wochenlang die Sachen probieren – das muss alles schnell gehen“, sagt Tilla Clüsserath und sie kann erfreut darauf hinweisen, dass viele Stipendiat/-innen danach auch erfolgreich in anderen Orchestern untergekommen sind. „15 Dienste im Monat sind zu leisten – dazu zählen Konzertauftritte und Proben gleichermaßen. Das ist schon so viel, dass sie überall mal reingucken können. Auf ein sinfonisches Werk fallen durchschnittlich einmal drei Proben. Vor allem geht es darum, etwas professionell abrufen zu können.“
Dass die Profimusiker der Bergischen Symphoniker die Neulinge unter ihre Fittiche nehmen, zeugt von einem großen Vertrauen. Denn es geht in jedem Moment darum, sich zurückzunehmen und in einem gut funktionierenden Ganzen aufzugehen. Tilla Clüsserath: „Ein Orchester ist ein Gesamtsystem mit allen disziplinarischen Regeln.“ Also geht es nicht nur um die Gehörbildung für das Miteinander in einem komplexen Klangkörper, sondern vor allem um die Ausbildung einer sozialen Kompetenz. „Klar, dass es hier manchmal auch Probleme gibt“, räumt Tilla Clüsserath ein. „Aber es gibt hier viele gute Ratschläge und Praxistipps für die Stipendiat/-innen. Dann sind sie nach ein paar Wochen integriert und tauchen in den Klangkörper gut ein.“ Immerhin haben schon fünf junge ehemalige Stipendiat/-innen bei den Bergischen Symphonikern eine Festanstellung bekommen.
Eine weitere Säule der Orchester-akademie ist die Dirigentinnen-Ausbildung. Wohl gemerkt Dirigentinnen – wurde hier doch erkannt, dass dieser Beruf immer noch eine Männerdomäne darstellt. Die langjährige künstlerische Leiterin Romely Pfund verbreitete hier eine Aufbruchsstimmung, um jungen Dirigentinnen den Weg in die Praxis und damit später mal in eine erfolgreiche Berufsausübung zu ebnen. Die Stipendiat/-innen arbeiten eng mit dem künstlerischen Leiter Peter Kuhn zusammen. Aktuell macht die junge Schweizerin Susanne Rechsteiner viel am Dirigentenpult der Bergischen Symphoniker von sich reden.
Die Orchesterakademie ist weitgehend unabhängig von öffentlicher Förderung. „Zwar gab es eine Anschubfinanzierung vom Land NRW, doch läuft mittlerweile alles auf Vereinsbasis – mit Ausnahme der Dirigentinnenausbildung. Viele lokale Sponsoren haben den Sinn einer solchen Institution erkannt, damit eben auch diese Region im Bergischen Land einen kulturellen Mittelpunkt hat.“ So wird die Arbeit der Orchesterakademie außer durch Beiträge der Vereinsmitglieder wesentlich durch Spenden namhafter privater und kommunaler Unternehmen, von Vereinen, den verschiedenen Service-Clubs, von Stiftungen und zahlreichen Bürgerinnen und Bürgern der Region finanziell getragen.
Nicht zuletzt sind die Bergischen Symphoniker seit vielen Jahren ein verlässlicher Partner des Marler Debuts, wo handverlesene Preisträger von Bundespreisträger/-innen von „Jugend musiziert“ erste Bühnenerfahrungen sammeln können und mit erstaunlichen Leistungen glänzen. Zusammenarbeit und frühe Förderung ist eben alles für eine lebendige Musikkultur für heute und morgen. Oder, wie Tilla Clüsserath es selbstbewusst formuliert: „Wir und unsere treuen Unterstützer/-innen aus der Region haben für die Gesellschaft Verantwortung übernommen.“