Sie haben bisweilen kuriose Namen wie Mehrzweckbeutel, Sperrsitz, Vorspeisenplatte oder Kopfhoch-Studio. Sie sind seit einiger Zeit sogar durch Fernsehsendungen ins Gerede gekommen: die Weblogs und die so genannte Blogosphäre. Aktivitäten im Netz und einer nicht genau bestimmbaren Netzkultur, die sich weit entfernt hat von der Klicki-Bunti-Welt der „privaten Homepages“ vom Ende des letzten Jahrhunderts. Sie machten dem Klingeltondienst „Jamba“ das Leben schwer als ein Weblog die Praxis der Kundenakquise aufs Korn genommen hat. Weblogs dienen in Ländern wie dem Iran als Nachrichten- und Informationsdienst, wo die offiziellen Medien entweder unfähig oder politisch gegängelt sind. In anderen Ländern wie China benötigt man daher selbst für diese Informtionskanäle eine Genehmigung. Hier in Deutschland freilich darf man alles, was man auch im normalen Leben darf. Jetzt, unter den Bedingungen eines voraussichtlichen Wahlkampfes mehren sich auch Weblogs von Politikern. In den USA betreiben auch angesehene Wissenschaftler wie Lawrence Lessig und Noam Chomsky beispielsweise derartige Weblogs.
Technisch gesehen sind Weblogs allerdings nichts Neues. Während vor einigen Jahren der Aufbau und die Wartung von so genannten Content-Management-Systemen (CMS) sehr teuer war, gibt es heute zahlreiche Möglichkeiten im Kleinen wie im Großen derartige Systeme zu entwickeln und zu nutzen. Das Ziel solcher Systeme ist es, Form und Inhalt von Internetseiten zu trennen. Es war noch nie so einfach, kontinuierlich im Internet zu publizieren. Wer noch kein Weblog hat, der holt sich eines bei kommerziellen Anbietern wie two day.net, blogg.de, 20six.de, antville.de, blogger.com. Diese stellen komplette Softwaresysteme bereit und sind je nach Nutzungsweise kostenlos oder kostenpflichtig. Daneben gibt es Software-Lösungen – in der Regel basierend auf Programmiersprachen wie PHP, Perl, Python oder ASP –, die man selbst installieren kann, wenn man über eigene Internetpräsenzen verfügt (Dazu gehören zum Beispiel: Nucleus, Greymatter, Movabletype, Sunlog, Wordpress, Pivot. Einen Überblick darüber findet man im Bloghaus: http://www.bloghaus.net/eguide.php?cat=7.). Wer einen Netzanschluss hat, kann loslegen. Und das machen in Deutschland offenbar viele. Über 50.000 halbwegs aktive Weblogs zählte im April der Webloganbieter blogg.de.
Inhaltlich gibt es bei Weblogs keinerlei Vorgaben, da sie vom Prinzip her nur ein Werkzeug zur einfachen Herstellung und Veröffentlichung von Texten (oder Fotos, oder Musik, oder andern Medien) im Internet sind. Manche Musikjournalisten nutzen diese Veröffentlichungsform auch als Ergänzung ihrer Arbeit bei alten Medien, wie der Stuttgarter Journalist Jürgen Hartmann: „der kulturchronist – weblog oper konzert kultur medien“ (http://www.20six.de/kulturchronist).
Eberhard Klemm, ein Dirigent, nutzt sein Weblog zur Verbreitung von musikalischen und außermusikalischen Themen und Fragen (http://www.20six.de/klemmdirigiert
Anderes Beispiel: „Mehr Licht“ (http://www.20six.de/mehrLicht), ein Komponist und Journalist, der über Veranstaltungen in Dresden wie eine Aufführung von Schostakowitschs 9. Symphonie, Hiphop-Berichte im Fernsehen oder Amselgesänge zu schreiben weiß. Zwischendrin dann kürzere oder längere Passagen zum Leben und der Politik im Allgemeinen und Besonderen. Aus dem eher privaten Bereich kommen Aktivitäten wie die von „Sperrsitz - Oper, Konzert, Musik. Kritiken und sonstige Anmerkungen“ (http://www.20six.de/no_namia). Das bewegt sich nicht unter dem Niveau sonstiger Kulturberichterstattung, eher darüber. In Leipzig, der Osten vorn, berichten die Autoren des „Leipzig-Almanachs“ (http://www.leipzig-almanach.de/index.html) von Musik über Bühne bis zum Film über Kultur, im hauseigenen Forum wird eifrig diskutiert.
Weblogs können sich aber auch wie ein Informationsdienst verstehen und fachlich streng eingegrenzt sein wie Janko Röttgers „Mix, Burn & R.I.P.“-Weblog (http://www.mixburnrip.de/index.php). Gleichzeitig dient dieses Weblog übrigens auch der stetigen Aktualisierung der gleichnamigen Publikation des Autors; das Weblog als verlängerter Arm einer statischen Publikation im Printbereich. Eine geschickte Idee, alte und neue Medien sich ergänzen zu lassen. Mit Hilfe von Weblogs lassen sich aber auch umfangreiche musikjornalistische Projekte verwirklichen. „Phlow“ (http://www.phlow.net/) nennt sich ein Magazin für Musik und Netzkultur, das die einfache Handhabung und Stuktur eines Weblogs nutzt. Hier dreht es sich im Wesentlichen um die Welt der Netlabels, es geht also über Musik, die fast ausschließlich über das Internet vertrieben wird. Der besondere Reiz der Weblogs ist, dass durch sie zahlreiche und schnelle Interaktionsformen zwischen Autoren und Lesern möglich werden. Es gibt sozusagen Weblogs, die untereinander kommunizieren, die sich gegenseitig aufeinander beziehen. Kommentarfunktionen sind in der Regel fakultativ, werden aber gerne eingesetzt und genutzt. Eine netzwerkartige Kommuniaktionsstruktur wäre damit möglich.
Von Anfang an wurde bei der Entwicklung in dieser Sphäre immer wieder die Parallele zum Journalismus gesucht und untersucht. Lösen Weblogs den „offiziellen“ Journalismus aus der Welt der Print-, Funk- und Fernsehmedien ab? Treten sie in Konkurrenz? Die Frage ist nicht beantwortbar und vermutlich auch töricht. Weblogs leben in der Regel von der individuellen und subjektiven Sicht ihrer Autoren oder Autorenteams. Da wird schnell ein Anschluss an offizielle Töne, selbst „unabhängiger, überparteilicher“ Printorgane oder ihrer Ableger im Internet als parteilich und abhängig wahrgenommen. Daniel Fiene schrieb in der Netzzeitung „Die Gegenwart“: „Weblogs haben viele Vorteile. Ihre Aktualität veranlasst Leser regelmäßig vorbeizuschauen. Außerdem schätzen die Leser das menschliche Urteil. Während Google, Yahoo, MSN und demnächst auch die „Netzeitung“ automatisch sortierte und generierte Nachrichtenseiten anbieten, bürgen Weblogs für die subjektive Auswahl durch den Menschen.“ (http://www.diegegenwart.de/ausgabe40/klaerung.htm). Damit sind Weblogs für gewöhnlich kein Tummelplatz für akkurate, aber dröge Pressemitteilungen.
Mittlerweile werden aber auch Weblogs immer häufiger als Marketingmittel eingesetzt. Letztes Jahr lancierte die amerikanische Plattenfirma „Warner Music“ eine Musikdatei zur Besprechung in sogenannten MP3-Weblogs. Gleichzeitig schienen Mitarbeiter von Warner in diesen Weblogs dieses Stück Musik positiv zu besprechen. Zum weiteren Hintergrund: „Tonspion“ (http://www.tonspion.de/newsartikel.php?id=839
Weblogs sind in der Regel jedoch keine Orte zum Geld verdienen, gleichwohl sind sie nicht immer deswegen zwingend nur Hobbies. Und die alten Medien, die Zeitschriften und Zeitungen? Sie springen nach und nach mit auf den Zug und bedienen sich des Mediums Weblog immer stärker, wenngleich nicht immer erfolgreich. So betreiben die „ZEIT“, das „Handelsblatt“ und der „Focus“ eigene Weblogs mit ihren Mitarbeitern oder für Prominente.
Kennen Sie interessante Weblogs mit musikalischen Themenschwerpunkten? Mailen Sie bitte die Adresse und ein paar Informationen dazu an hufner [at] nmz.de.