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Ein Deutscher, ein Jude, ein Amerikaner

Untertitel
Zum 100. Geburtstag von Kurt Weill · Von Hans-Klaus Jungheinrich
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Das vorjährige Chemnitzer Ereignis wurde als eine immens musikhistorische Importanz annonciert. Man sprach im Vorfeld von einem Meisterwerk ähnlichen Ranges wie „Moses und Aron“. Diese Erwartung wurde leider enttäuscht, denn „Eternal Road“ (der deutsche Titel heißt „Weg der Verheißung“) erwies sich als problematisch und gesprenkelt. Eine schwere Hypothek vor allem Werfels Versuch, die ganze altjüdische Überlieferung unterzubringen: Monumentalkitsch à la Cecil B. deMille. Nur partiell überzeugend auch die Weillsche Musik, die sich mit dem gebotenen hochtönenden Pathos schwertut und überwiegend in Entliehenem, Klischiertem stecken bleibt. Dem erfahrenen Theatraliker gelingen allerdings eindrucksvolle Chöre. Weills offensichtliches Bestreben, eine ,,Volksoper“ zu schreiben, nötigt sicherlich Respekt ab. Doch die Zeiten und Umstände des ,,Boris Godunow“ waren in den dreißiger Jahren lange vorbei, und gerade die konzeptionelle Affinität zu den damals aktuellen mitteleuropäischen Emanationen „volksverbundener“ Kunstprodukte mutet fragwürdiger an als etwa die Nähe zum amerikanischen Musical, die in diesem Werk (das durchaus kommerziellen amerikanischen Produktionsbedingungen seine Genese verdankt) ebenfalls auf Schritt und Tritt zu spüren ist.

Hitler, der Dramaturg. Provokanter noch: Hitler, der unfreiwillige Zionist. Ohne den Nazismus hätte Schönberg sein Selbstverständnis als österreichischer Komponist niemals eingebüßt, sich kaum jüdischen Bekenntniswerken wie „Jakobsleiter“ und „Moses und Aron“, geschweige denn „Survivor from Warshaw“, zugewandt. Auch ein führender deutscher Musiktheatraliker, der in den USA Zuflucht fand, wurde in solche Bahnen gelenkt: Kurt Weill. Der New Yorker Musikproduzent Meyer Weisgal betraute ihn mit dem Projekt einer Bibeloper; Textautor war Franz Werfel, die Inszenierung besorgte Max Reinhardt. Durch allerlei Widrigkeiten und Unglücksfälle gab es Anfang 1937 nur eine kurze Aufführungsserie in New York; das Werk verschwand und galt zeitweise sogar als zum Teil verschollen. Die erste einigermaßen komplette szenische Wiederaufführung fand im Juni 1999 in Chemnitz statt. Diese Produktion wird im kommenden Sommer unter anderem auch bei der Expo 2000 in Hannover zu sehen und zu hören sein. Das vorjährige Chemnitzer Ereignis wurde als eine immens musikhistorische Importanz annonciert. Man sprach im Vorfeld von einem Meisterwerk ähnlichen Ranges wie „Moses und Aron“. Diese Erwartung wurde leider enttäuscht, denn „Eternal Road“ (der deutsche Titel heißt „Weg der Verheißung“) erwies sich als problematisch und gesprenkelt. Eine schwere Hypothek vor allem Werfels Versuch, die ganze altjüdische Überlieferung unterzubringen: Monumentalkitsch à la Cecil B. deMille. Nur partiell überzeugend auch die Weill‘sche Musik, die sich mit dem gebotenen hochtönenden Pathos schwertut und überwiegend in Entliehenem, Klischiertem stecken bleibt. Dem erfahrenen Theatraliker gelingen allerdings eindrucksvolle Chöre. Weills offensichtliches Bestreben, eine ,,Volksoper“ zu schreiben, nötigt sicherlich Respekt ab. Doch die Zeiten und Umstände des ,,Boris Godunow“ waren in den dreißiger Jahren lange vorbei, und gerade die konzeptionelle Affinität zu den damals aktuellen mitteleuropäischen Emanationen „volksverbundener“ Kunstprodukte mutet fragwürdiger an als etwa die Nähe zum amerikanischen Musical, die in diesem Werk (das durchaus kommerziellen amerikanischen Produktionsbedingungen seine Genese verdankt) ebenfalls auf Schritt und Tritt zu spüren ist.

Weg der Verheißung

Der unvoreingenommene historische Betrachter fragt sich natürlich, warum „Eternal Road“ gerade in Europa erst so spät (mehr als ein halbes Jahrhundert nach dem Untergang Nazideutschlands) auf Interesse stieß. Abgesehen von den beträchtlichen aufführungpraktischen Anforderungen (die aber, denkt man an den Siegeszug von „Moses und Aron“, nicht allzu schwer ins Gewicht fallen) lassen sich dafür vor allem zwei Gründe namhaft machen. Zum einen hielt sich besonders in Weills Heimatland lange die Fama von der künstlerischen Minderwertigkeit des „amerikanischen“ Weill. Weills Hinwendung zum Broadwaystil (in Stücken wie „Knickerbocker Holiday“, 1938; „Lady in the Dark“, 1940; „Street Scene“, 1948, und „Down in the Valley“,1948) erntete vielfach die Fehleinschätzung, sie habe nichts anderes hervorgebracht als modische Eintagsfliegen. Bei genauerer Kenntnis dieser Werke, die gelegentlich auch den Weg auf deutsche Bühnen fanden, musste dieses Urteil revidiert werden. Weill hat sich tatsächlich dem populärmusikalischen Geschmack der Amerikaner angeschmiegt, darüber aber kompositorische „Feinarbeit“ nicht vergessen. Die zweite Ursache für die Vernachlässigung Weills wäre zu suchen in der lange Zeit sehr wirksamen avantgardistischen Hegemonie des professionellen musikalischen Diskurses. Als legitim „modern“ wurde nach 1945 fast ausschließlich die Schönbergschule angesehen, auf die sich auch die Serialisten beriefen. „Moses und Aron“ passte in diesen Rahmen, „Eternal Road“ nicht. Unter den Tisch fielen die keineswegs reaktionären Schreker-Schüler (Goldschmidt, Grete von Zieritz, Strasfogl) ebenso wie die bedeutenden Busoni-Schüler Philipp Jarnach und Kurt Weill.

Ausgenommen von dieser Missachtung waren die Arbeiten, die Weill zusammen mit Bertolt Brecht hervorbrachte, aber auch sie wurden in Deutschland erst von den späten fünfziger Jahren an (nach der zumindest kulturellen Mäßigung des „Kalten Krieges“) wieder erschlossen: „Die Dreigroschenoper“, der Sensationserfolg von 1928, und „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“, im Gegensatz zu jenem mit Musiknummern durchsetzten Schauspiel in der Zweitfassung eine veritabel „durchkomponierte“ Oper, in deren überwiegend zynisch-aggressivem musikalischen Tonfall sich die gegen Einfühlung gerichtete, für kritischen, distanzierten Genuss plädierende Brecht-Ästhetik präzis widerspiegelt. Weills Verbindung mit dem bedeutendsten deutschen Dramatiker des 20. Jahrhunderts ließ sich vielversprechend an. Noch in der Pariser Emigration gelang Weill und Brecht ein künstlerischer Coup: „Die sieben Todsünden der Kleinbürger“, ein Ballett mit Gesang, in dem, mit hohem artistischen Raffinement, zwei Sphären gegeneinander abgehoben werden: die „verruchten“ Songstrophen der Solosopranistin und das bieder-spießbürgerliche Vokalensemble ihrer ahnungslosen Familie im fernen Westen. Nicht dorthin, aber nach New York begab sich Weill 1935, um fortan im Wesentlichen für den Broadway zu arbeiten.

Brecht der Vampir

Die Malaise der Emigration war wohl eher nur der äußere Anlass für die Beendigung der Liaison zwischen Weill und Brecht. Nur zu bekannt Brechts „vampiristischer“ Umgang mit künstlerischen Mitarbeitern. Bis hinein in urheberrechtliche Festsetzungen machte Brecht sogar bei der Mahagonny-Oper klar, wer als der wichtigere und tonangebende Autor zu gelten hatte. Ein gereifter Komponist musste solche Relationen als immer unangemessener und unzumutbarer empfinden. Der Preis, den Weill für seine Trennung von Brecht zahlte, war hoch: das Aufgeben einer scheinbar fest umrissenen künstlerischen Identität. Weill war eigenständig und produktiv genug, in Amerika andere Orientierungen und einen Neuanfang zu suchen. Dennoch mag man es bedauerlich finden, dass keine dauerhafte Verbindung wie etwa die zwischen Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal zustande kam – sie hätte dem Musiktheater zweifellos gewichtige weitere „Modelle“ bescheren können.

Unproblematischer, aber auch weniger innovativ war Weills Zusammenarbeit mit dem aus der expressionistischen Bewegung hervorgegangenen deutschen Dramatiker Georg Kaiser, die zu drei Stücken führte: „Der Protagonist“ (1926), „Der Zar lässt sich fotografieren“ (1928) und Silbersee“ (1933). Als weiteren Librettisten beschäftigte Weill bei der „Bürgschaft“ (1932) Caspar Neher. Im Zuge der Renaissance der Weillschen Brechtstücke wurden auch diese Werke nach dem Kriege wieder bekannt gemacht, am häufigsten der „Zar“, dessen lakonisch-farcenhafte Diktion schon ganz nah an den Weill’schen Brecht-Ton herankommt.

Anknüpfung und Anregung

Da sich die musikalische Avantgarde um 1960 gegenüber dem Musiktheater insgesamt noch spröde verhielt (als erster durchbrach Luigi Nono mit „Intolleranza“ dieses Tabu; der gewaltige Impakt der Zimmermann’schen „Soldaten“ harrte noch der Aufführung), kam den wiederentdeckten Weillopern aus den zwanziger und frühen dreißiger Jahren insgeheim auch der Status von Anknüpfungs- und Anregungsstoff zu. In dieser Zeit gab es sogar ernsthafte musiktheoretische Versuche, Weills Kompositionstechnik mit der Schönberg‘schen Zwölftontheorie kurzzuschließen. Dabei wurden die offensichtlichen Jazz-Einflüsse, das grelle Changieren und Chargieren zwischen Choral, Moritat, Unterhaltungsmusik und Tanz, das Kleingliedrige und Holzschnitthafte der Formen, der neusachlich-schnoddrige Ausdruck (durchweg die konsequente Negation oder beflissene Parodierung von „Espressivo“) heruntergespielt, und anstatt der schrill beharrlichen Tonalität akzentuierte man die ebenfalls unverkennbaren Momente von deren Verfremdung, wobei indes die „Würze“ mit der harmonischen Substanz verwechselt wurde. Kurioses Begehren, Weill dogmatisch dem Thesauros der Atonalität einzuverleiben.

Adorno, ein klügerer und vorsichtigerer Parteigänger der radikalen Moderne, verstieg sich in diese Richtung nicht. Er machte nie einen Hehl aus seiner Reserve gegenüber Brecht, war gleichwohl empfänglich für das Idiom insbesondere der Weill‘schen Brechtstücke und ihres Faibles für das flink Montagehafte, Brüchige, Abgerissene, jenen lumpen- und flitterhaften, mondänen und zugleich ordinären Gestus, den er (allerdings mit weit größerer Anteilnahme und Wärme) auch bei Bergs „Lulu“ und sogar an den Opern Franz Schrekers schätzte. Adornos heikle und differenzierte Haltung zu Weill galt einem Phänomen, das er nicht schlichtweg ignorieren und abtun wollte, das aber dennoch nicht recht in den Kanon der von Adorno propagierten authentischen Moderne sich einpassen ließ.

Späte Würdigung

Kurt Weill wurde 1900 in Dessau geboren. Diese Stadt würdigt ihn inzwischen durch ein jährlich stattfindendes Musikfest, das sich, unterstützt von der New Yorker Kurt Weill-Foundation, auch der hierzulande noch unbekannteren Werke annimmt. Zu den frühen Kompositionslehrern Weills gehörte (in Berlin) auch Engelbert Humperdinck. Nachdenklichere Impulse gab ihm der Unterricht bei Ferruccio Busoni. Weill profitierte insbesondere von dessen offener, integrativer Musikanschauung, die sich zwar einer rigid verstandenen Materialentwicklung verweigerte, aber gleichwohl von der Idee umfassender Erneuerung beflügelt fühlte (fast so, als gälte es, den Platonismus in die damalige Aktualität hinüber zu retten). Weill geriet in den zwanziger Jahren freilich deutlich in die Nähe der Neusachlichkeit, wie sie von Hindemith und zeitweilig auch vom ebenfalls 1900 geborenen Ernst Krenek (der mit seiner Zeitoper „Johnny spielt auf“ in den späten zwanziger Jahren ähnlich Furore machte wie die Brecht/Weill-Stücke) vertreten wurde. Unter Busonis Einfluss entstanden auch die beiden Symphonien Weills; die erste von 1921 ist dreisätzig und heißt ,,Kriegssymphonie“, ist aber eine Antikriegssymphonie wie die berühmter gewordene „Liturgique“ (1946) von Arthur Honegger.

Weill, einer der produktivsten Komponisten des vergangen Jahrhunderts, starb bereits 1950. (Seine Witwe Lotte Lenya, eine herausragende Diseuse, wirkte auch danach noch häufig als seine Interpretin).

Der „amerikanische“ Weill schien sich von seinen deutschen Wurzeln vollständig getrennt zu haben. Die nachfolgende Weill-Rezeption bekümmerte sich, verständlicher-, aber auch bornierterweise, zunächst ausschließlich um den „deutschen“ Weill. Dabei bietet der „amerikanische“ nicht uninteressante Perspektiven. Er unternahm den Versuch einer Annäherung zwischen den auseinanderdriftenden E- und U-Musik-Sphären. Ob solche Praktiken im Zuge fortschreitender Kommerzialisierung Illusion bleiben oder fruchtbare Elemente enthalten, ist ein noch ungelöstes Problem, das sich durchaus als eine Herausforderung der Weill’schen Hinterlassenschaft begreifen lässt.

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