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Ein halbes Jahrhundert Quartettgeschichte

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LaSalle-Quartett integriert seine Sammlung in die Paul-Sacher-Stiftung
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Über vierzig Jahre lang war das LaSalle-Quartett Inbegriff für schnörkelloses, genaues und ausdrucksintensives Quartettspiel. Das 1946 in New York gegründete Streichquartett wurde zu einem der bedeutendsten Kammermusikensembles der Welt; man verdankt ihm scharf profilierte Darstellungen der klassisch-romantischen Quartettliteratur sowie Uraufführungen etwa der Quartette von Hans Erich Apostel, Witold Lutoslawski, György Ligeti und Luigi Nono. Die Durchsetzung der Wiener Schule und die Erinnerung an Komponisten wie Alexander von Zemlinsky sind maßgeblich vom LaSalle-Quartett befördert worden, das nicht nur eine weltweite Konzerttätigkeit, sondern auch eine umfangreiche Tonträgerproduktion betrieb. Von der ursprünglichen Besetzung waren bis zuletzt der Primarius Walter Levin, der zweite Geiger Henry Meyer und der Bratschist Peter Kamnitzer dabei; der Cellopart oblag Richard Kapuscinski, Jack Kirstein und Lee Fiser.

Über vierzig Jahre lang war das LaSalle-Quartett Inbegriff für schnörkelloses, genaues und ausdrucksintensives Quartettspiel. Das 1946 in New York gegründete Streichquartett wurde zu einem der bedeutendsten Kammermusikensembles der Welt; man verdankt ihm scharf profilierte Darstellungen der klassisch-romantischen Quartettliteratur sowie Uraufführungen etwa der Quartette von Hans Erich Apostel, Witold Lutoslawski, György Ligeti und Luigi Nono. Die Durchsetzung der Wiener Schule und die Erinnerung an Komponisten wie Alexander von Zemlinsky sind maßgeblich vom LaSalle-Quartett befördert worden, das nicht nur eine weltweite Konzerttätigkeit, sondern auch eine umfangreiche Tonträgerproduktion betrieb. Von der ursprünglichen Besetzung waren bis zuletzt der Primarius Walter Levin, der zweite Geiger Henry Meyer und der Bratschist Peter Kamnitzer dabei; der Cellopart oblag Richard Kapuscinski, Jack Kirstein und Lee Fiser. In einem Musikerlexikon kann man über das LaSalle-Quartett lesen: „Gegründet 1946, aufgelöst 1988“. Die zahlreichen Platten- und Radioaufnahmen lassen das Quartett weiterleben. Neuerdings trägt auch die Basler Sacher-Stiftung zum „Weiterleben nach dem Tode“ des legendären Quartetts bei. Als Walter Levin und seine Frau vor kurzem ihr Haus in Cincinnati aufgaben und in eine Wohnung zogen, stellte sich die Frage nach dem Verbleib der riesigen Sammlung. Zwar zeigten sich verschiedene Institutionen interessiert, die Sammlung zu übernehmen; aber nur die Basler Paul-Sacher-Stiftung habe konkrete Vorstellungen entwickelt, wie die Bestände der musikwissenschaftlichen und interpretationskritischen Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden könnte, sagt Walter Levin. Nun hat die „Sammlung LaSalle Quartet“ als erste Interpreten-Sammlung neben den zahlreichen Komponisten-Sammlungen im Haus „Auf Burg“ am Basler Münsterplatz eine Heimat gefunden.

Es gibt gute Gründe dafür, dass eine Kollektion wie die der LaSalles professionell betreut und konserviert wird. Viele der zum Teil über fünfzig Jahre alten Tonbänder – die LaSalles haben alle ihre Konzerte aufgezeichnet – sind restaurationsbedürftig und werden derzeit digitalisiert und auf Compact Discs überspielt. So wird in Kürze eine vollständige akustische Dokumentation eines halben Jahrhunderts Quartettgeschichte verfügbar sein. Dasselbe gilt im übertragenen Sinn für die Briefwechsel mit namhaften Komponisten.

Angesprochen auf die umfangreiche Komponisten-Korrespondenz, erzählt Levin von einem besonders interessanten Briefwechsel mit dem polnischen Komponisten Witold Lutoslawski, dessen erstes Streichquartett von den LaSalles 1965 bestellt und uraufgeführt wurde. „Er hatte uns die Noten zu seinem Quartett geschickt, und wir sollten das innerhalb weniger Wochen einstudieren. Aber Lutoslawski hatte uns nur die einzelnen Stimmen geschickt, keine Partitur. Der Grund dafür war, dass jeder über weite Strecken für sich spielen und sich nicht danach richten soll, was die anderen zur gleichen Zeit machen, also die ,kontrollierte Aleatorik‘.

Lutoslawski schrieb uns, dass es aus diesem Grund keine Partitur geben könne. Und wir entgegneten, dass wir doch wissen müssen, was jeder zu tun hat, um das Stück einstudieren zu können. Mit größtem Widerstand machte Lutoslawski, oder eigentlich seine Frau, für uns dann eine Art ,Path Book‘, das später auch publiziert wurde.“

Komposition und Interpretation gehen so eine symbiotische Einheit ein, deren Analyse für Musikologen und Interpreten ein spannendes Betätigungsfeld bietet. Auch mit Luigi Nono hatte das Quartett, beziehungsweise sein Primarius Walter Levin eine solche „interaktive“ Korrespondenz. „Nicht immer waren es Briefe, manchmal schrieb er einfach etwas auf einen Zettel und legte ihn in unseren Briefkasten. Das Quartett von Nono hat sich durch unsere Aufführungen immer wieder verändert“, sagt Levin. Siegfried Schibli sprach mit dem 1924 in Berlin geborenen Geiger.

Siegfried Schibli: Wie hat sich die Welt des Streichquartetts verändert seit den Anfängen des LaSalle-Quartetts?
Walter Levin: In Amerika hat sich die Streichquartettszene viel schneller verändert als in Europa. Wenn man sich als Quartett durchsetzen wollte, dann musste einem etwas einfallen. Die Kultur der Kammermusik war zentralisiert auf einige Großstädte, und erst als man auch in kleineren Universitätsstädten „Quartets in residence“ einführte, hat sich das dezentralisiert. An solchen Orten konnte das ansässige Quartett das Zentrum der musikalischen Entwicklung darstellen. Da musste man alles Mögliche machen, nicht nur die normalen Konzerte, sondern auch Gesprächskonzerte, in denen man das Publikum für die Stücke interessierte. Die Form des „Lecture Recital“ hat sich so entwickelt. Man musste die Leute davon überzeugen, dass das lustig ist. Dasselbe auch in den Schulen. Und wir haben von Anfang an Komponisten eingeladen, die ihre eigenen Stücke vorstellten.

: In Europa gilt das Quartett als elitäre Musikgattung der älteren Akademiker mit hohem Einkommen.
: Das haben wir gründlich widerlegt! Wir wären rasch erledigt gewesen, wenn das so wäre. Streichquartette waren nicht nur Spieler dieses gro-ßen Repertoires, sondern auch Anreger, Erzieher und Erneuerer. Das gibt es in Europa bis heute kaum. Hier verlässt man sich darauf, dass es Kammermusik-Gesellschaften gibt und dass es eine altehrwürdige Tradition ist. Hier beliefert man immer wieder denselben Markt. : Und das Publikum wird dabei immer älter, ohne dass ein neues nachwächst.
: Die ganze Atmosphäre der Kammermusikkonzerte ist derart verkrustet, dass ich das auch verstehen kann! Das Artemis-Quartett versucht jetzt, Einführungen in schwierige Stücke zu geben, wie wir das auch getan haben.
Wenn man sich etwas einfallen lässt, kann man auch schwierige Dinge wagen. Das gilt es in Europa noch zu entdecken. Hier gibt es kaum eine Musikschule mit einem „Quartet in residence“. Und wir mussten in Europa riesige Widerstände überwinden, um Schönberg oder Zemlinsky spielen zu können. : Sie gehörten ja zu den Wiederentdeckern Zemlinskys.
: Ja, Zemlinsky war praktisch vergessen. Als wir seine Quartette spielten, wurde die Deutsche Grammophon darauf aufmerksam und wir bestanden darauf, nach dem ersten auch das zweite Quartett aufzunehmen. Es wurde zu einem riesigen Verkaufsschlager. Bis heute weiß ich eigentlich nicht warum. Es wurde zu einem Popartikel auf der Bestsellerliste. Wir waren direkt hinter „O sole mio“ von Pavarotti. : Welches ist Ihre meistverkaufte Aufnahme?
: Die Kassette mit allen Quartetten der Wiener Schule. Die Deutsche Grammophon glaubte zuerst, sie könne das gar nicht verkaufen. Es war aber im Nu ausverkauft und musste immer wieder nachgepresst werden. Das ist ja dreißig Jahre her, und die Kassette ist immer noch im Katalog. Man muss eben manchmal Dinge durchsetzen, und dazu gehört eine gewisse eigene Überzeugung und die Fähigkeit, andere zu überzeugen. Und das liegt vielen Streichquartetten nicht. Sie spielen einfach das Repertoire und lassen sich leiten von dem, was gefragt wird, ohne eigene Ideen zu entwickeln. : Ein relativ neues Phänomen sind Spezialquartette wie das Arditti-Quartett, das ausschließlich Neue Musik spielt, und das „Quatuor Mosaïques“, das die historische Spielpraxis pflegt.
: Wir wollten uns nie spezialisieren, weil uns immer die ganze Bandbreite interessierte. Das ist vom Arbeitsaufwand her eine Belastung, denn das Spiel von klassischer und neuer Musik ist rein technisch nicht immer dasselbe. Ein Quartett wie das Arditti-Quartett, das ein Riesenrepertoire von unglaublicher Schwierigkeit bewältigt und die Werke in kaum glaublicher Geschwindigkeit lernt, hat es vorher noch nie gegeben. Das ist einfach eine Sonderbegabung. Dann gibt es ja auch das Kronos-Quartett, das ich ebenfalls sehr interessant finde, weil es ein Publikum erreicht, das sonst Popmusik hört. Der Modus Streichquartett hat sich heute verbreitert in andere Schichten und Repertoires. : Stimmt es, dass die heutigen jungen Quartette die Stücke leichter einstudieren als früher?
: Ja, Stücke wie die Ligeti-Quartette kann man leichter lernen, wenn man die „Lyrische Suite“ von Berg gespielt hat. Ich erinnere mich, dass wir in den 60er-Jahren in Darmstadt ein Webern-Programm spielten, mit Eduard Steuermann, Rudolf Kolisch und Carla Henius. Und Kolisch sagte zu uns: „Ihr spielt diese Stücke mit solcher Selbstverständlichkeit, als wäre das Repertoire. Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie schwer das für uns war.“ Aber ich bewundere das auch, wie die in zwei Wochen die „Lyrische Suite“ einstudiert und auswendig gelernt haben. Es gibt Dinge, die am Anfang des 20. Jahrhunderts ungeheuer avanciert waren und seither kaum übertroffen worden sind. : Was hat sich an der Quartett-Ästhetik im letzten Jahrhundert verändert?
: Die Quartette, die heute auf Tournee gehen, spielen den klassischen Fundus gar nicht so grundlegend verschieden, wie man von der Mitte des 20. Jahrhunderts an gespielt hat. Das technische und klangliche Niveau ist weitgehend dasselbe geblieben. Hinzugekommen sind Trends wie das so genannte Authentische, das in klanglicher Hinsicht einiges verändert hat: das Nonvibrato-Spiel, eine Einengung des dynamischen Ambitus, das wie auch immer geartete Verständnis, wie das ursprünglich wohl gewesen ist, das Spiel auf so genannten Originalinstrumenten – ein merkwürdiger Begriff, wenn man bedenkt, dass wir auf Amati-Instrumenten gespielt haben, die älter sind als die meisten „Originalinstrumente“. Oder das Rubato, die ganze so genannte Rhetorik, das Sprachähnliche, überhaupt die Frage der Geschwindigkeit. Man ist einerseits bemüht, authentisch zu sein; andererseits werden Hinweise wie die Tempobezeichnungen bei Beethoven vielfach ignoriert – ein Widerspruch zum Anspruch, authentisch zu sein. Offenbar bedeutet „authentisch“ für jeden etwas anderes, und das zeigt, dass dies doch eine subjektive Kategorie ist. : Hat sich nicht der Stil des Geigespielens verändert? Ich denke an das Portamento, das man noch in alten Aufnahmen hört und das heute verpönt ist.
: Ja, das kann man ja an den alten Aufnahmen etwa des Rosé-Quartetts studieren. Sie haben viel mehr Portamento gemacht, sei es als Ausdrucksmittel oder als Lagenwechsel. Rein technisch wurden Lagenwechsel oft mit einem Glissando versehen. Das hat damals niemanden gestört, genauso wenig wie das Arpeggieren der Akkorde bei den Pianisten. Der Stil des Geige- und Cellospiels hat sich in den letzten 75 Jahren radikal verändert.
Das Ideal der Tonschönheit spielte damals nicht so eine große Rolle wie heute. Dafür gab es eine Vielzahl nationaler Schulen. Die franko-belgische Schule hatte eine ganz andere Klangqualität als die aus Deutschland und Österreich. Sie konnten nach zwei Tönen sagen: Das ist Kreisler, das Huberman, das Menuhin, das Heifetz. Heute ist das fast unmöglich. Sie spielen alle sehr gut, und sie spielen alle ähnlich. Von fabelhafter Perfektion, aber etwas langweilig, weil es an individuellem Charakter fehlt. : Ist der Grund dafür der Perfektionszwang durch die Schallplatte?
: Die Schallplatte erlaubt keine Abweichungen mehr von dem, was sich die Aufnahmeleiter vorstellen. Es soll um Gottes willen nichts auffallen. Mit der Möglichkeit zu schneiden, ist auch die Charakteristik verloren gegangen.
Man spielt auf Nummer sicher. Es darf einfach nichts passieren. Eher etwas langsamer, etwas gesetzter, keine extremen Dynamiken. Der Begriff der Schönheit hat sich durch Hollywood verändert. Das Charakteristische des italienischen und russischen Films, wo auch mal weniger schöne, aber charakteristische Gesichter vorkamen, ist verloren gegangen. Anna Magnani war keine Hollywood-Filmdiva, sondern ein charakteristisches Gesicht. Daran erinnert man sich – nicht so sehr an Rita Hayworth. Und das ist in der Musik genau dasselbe.

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