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Ein Kalender macht Geschichte

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Der Tonkünstler Kalender – das Vademecum von Musiklehrern und Musikern – Teil 2
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Neuanfang nach 1945

In den Nachkriegsjahren 1946 bis 1951 suchten „die übrig gebliebenen Aktiven, die Generation des Aufbaus vor 1933, an diese Zeit wiederanzuknüpfen“ (Vetter) und die ruhende Tonkünstler-Verbandsarbeit in den Orts- und Landesverbänden wieder zu beleben. Diese einigten sich in einer Vertreterversammlung am 31. August 1951 auf einen neuen Zusammenschluss als „Vereinigung der Landesverbände Deutscher Tonkünstler und Musiklehrer“ (VLDTM), eine Wiedergründung, die sich an der Satzung des einstigen Reichsverbandes von 1922 orientierte. Dabei wurde Arnold Ebel (Berlin) als Vorsitzender gewählt. Den eigentlichen Impuls für die Wiederbelebung der Landes- und Ortsverbände gaben 1953 die Jubiläumsfeiern „50 Jahre Verband Deutscher Tonkünstler“ in Kassel mit dem thematischen Schwerpunkt musikpolitischer und berufsständischer Perspektiven. Prof. Arnold Ebel fuhr aus dieser Tagung mit dem Auftrag nach Berlin zurück, „den viel gebrauchten und guten Deutschen Musiklehrerkalender, den unser verdienstvolles Vorstandsmitglied Richard Krentzlin im Musikverlag Robert Lienau herausgab“, zu erneuern und seitens des Präsidiums des VLDTM herauszugeben. „Er soll alle eigene Aufgaben der täglichen Berufsarbeit sorgfältig verzeichnen, über wichtige aktuelle Fragen des Berufsstandes orientieren…“, so Arnold Ebel im ersten „Kalender Deutscher Tonkünstler und Musiklehrer“, der für 1954 im Verlag Robert Lienau gemeinsam mit dem VLDTM herausgebracht wurde. Arnold Ebel schildert darin die lange Geschichte der musikalischen Organisation von der Gründung des Berliner Tonkünstler Vereins (1844) bis zur Gegenwart mit den Kernproblemen: Reform der Schulmusik, gesetzliche Regelungen des Privatmusikunterrichts, Neugestaltung des Urheberrechts, Fürsorge um den Nachwuchs und Initiativen auf sozialem Gebiet. Und viele weitere Problembereiche, für die sich der Tonkünstlerverband als Standesvertretung für Interpreten, Komponisten, Musikpädagogen (zumindest mit-)verantwortlich fühlt. Hauptteil ist das sinnvoll gestaltete Kalendarium des laufenden Jahres für einen 16stündigen Tagesplan. Als praxisnahe Informationen finden sich Unterrichtsvertragsmuster und Empfehlungen von Mindesthonoraren für den privaten Musikunterricht, Erläuterungen zu verschiedenen Versicherungen und Steuern, zu den Gebühren beim Arbeitsgericht und zu den Aufführungstantiemen der GEMA. Dazu die Lebensdaten von 300 bedeutenden Musikern und ein musikrelevanter Inseratenteil.

Mitherausgeber Tonkünstler-Verband

60 Jahrgänge, 60 Ausgaben folgen, Krentzl ins Musiklehrer-Kalender nachempfunden, gewidmet dem „Tonkünstler“ und so getauft, zunächst als „Kalender Deutscher Tonkünstler und Musiklehrer“. Ab 1966 hieß er „Deutscher Tonkünstler Kalender“ und seit 1972 nochmals vereinfacht „Tonkünstler- Kalender“, obwohl der mitherausgebende Tonkünstler-Verband etliche Namensmutationen durchgemacht hat. Politische, verbandspolitische und strukturelle Gegebenheiten gaben den Anlass dazu und finden im Tonkünstler-Kalender von Jahr zu Jahr ihren Niederschlag. So wurde aus der anfänglichen Vereinigung der Landesverbände Deutscher Tonkünstler und Musiklehrer (VLDTM) 1959 der Verband Deutscher Tonkünstler und Musiklehrer (VDTM), vollzogen im 7. Jahrgang des Kalenders (1960). 1964 suchte der Tonkünstler-Verband als bundesweiter Zusammenschluss der Landes- und Ortsverbände eine festere Organisationsstruktur, änderte Namen und Struktur und mutierte zum „Verband Deutscher Musikerzieher und konzertierender Künstler (VDMK)“. Angesichts der unklaren politischen Situation im geteilten Berlin wird die Geschäftsstelle nach München in den Büroverbund mit „Jugend musiziert“, Jeunesses Musicales und nmz-Redaktion verlegt. Der Tonkünstler-Kalender bewährt sich als kontinuierliches Bindeglied der Landesverbände, bis 1991 waren es 11 und mit den Neugründungen in den neuen Bundesländern komplettierten sie sich bis 1997 auf 16, in jedem Bundesland ein eigener Landesverband. Inzwischen setzte sich die Tendenz durch, die Funktion des Bundesverbandes zweckmäßigerweise wieder als Dachverband der Landesverbände anzusehen. Dabei besann man sich 1993 mittels neuer Satzung wieder auf die traditionelle und einheitliche Bezeichnung „Deutscher Tonkünstlerverband“. Mit dem Verleger Dr. Robert Lienau gab es Ende der Sechziger- und in den Siebzigerjahren mehrere Verabredungen. Dabei ging es um den sinnvollen Ausbau des ab 1970 blau eingefärbten Informationsteiles – allerdings der Kosten wegen schrittweise, denn der Verlag war alleiniger Kostenträger, ja, er warf dem Tonkünstlerverband noch einen willkommenen Herausgeberanteil für dessen redaktionelle Zuarbeit ab. Diese Konzeption, die inhaltliche Ausgestaltung des Kalenders zur Nutzung auch außerhalb der Tonkünstlerverbände fand nach und nach mehr Zuspruch. So verdoppelte sich der Kalenderumfang allmählich auf heute über 300 Seiten, blieb aber ein handlicher Taschenkalender. In dieser Konzeption hat er ähnliche Kalenderprodukte anderer Musikverbände erfolgreich überlebt.

Kalender als Mini-Handbuch

Für den Tonkünstlerverband als Bundesverband gab es somit zwei gravierende Zäsuren: 1964 mit der Neugründung des Bundesverbandes als Mitgliederorganisation und ab 1993 mit dessen Neukonstrukt als Dachverband der zuwachsenden Landesverbände. Diese Neubesinnungen fanden im Tonkünstler-Kalender der Folgejahre ihren Niederschlag, vor allem in der jeweils aktualisierten Formulierung der Aufgabenstellung des Verbandes, der „Wahrnehmung aller beruflichen, wirtschaftlichen und sozialen Interessen seiner Mitglieder“. Dazu präsentierte er im blauen Teil seine im Umfang zunehmende Serviceleistungen in pädagogischer, musikalischer, berufsfachlicher, rechtlicher und sozialer Hinsicht. Das Organogramm der Tonkünstler-Organisation gibt Aufschluss über die verbandliche Struktur mit ihren Landes- und Ortsverbänden und in welchen Gremien des deutschen Musiklebens der Tonkünstler- Verband die Interessen seiner Mitglieder vertritt. Interessant ist es, im Kalender die organisatorische Entwicklung und Verzweigung der Tonkünstlerverbände zu verfolgen und dann die dazugehörenden meist ehrenamtlichen Ansprechpartner aktuell namentlich aufgelistet zu finden, derzeit weit mehr als 200, die für die umfangreichen Serviceleistungen ihres Berufsverbandes einstehen.

Berufsfeld Musikerziehung

Wie sich das Berufsfeld des Musikerziehers geweitet hat, wie verflochten, wie notwendig die Kontaktpflege unter den Institutionen ist, erfährt der Tonkünstler hautnah auch an seinem Tonkünstler-Kalender, zum Beispiel beim Arbeitsplatz Musikschule: 1962 verzeichnet er vom damaligen Verband der Jugend- und Volksmusikschulen gerade 79 Musikschulen. Durch Neugründungen und der Einbeziehung der neuen Bundesländer stieg deren Anzahl heute auf 1.000 Schulen im Verband deutscher Musikschulen zuzüglich weiterer 200 privat getragener Musikschulen. Ungesicherte Arbeitsplätze erforderten gezieltere Interessenvertretungen und führten 1964 zur Spartierung der VDMK-Mitglieder in Freiberufler, Angestellte und Beamte und zur Tochtervereinigung, der Gewerkschaft deutscher Musikerzieher (1978–1989), die sich für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen über den Anschluss von Tarifverträgen einsetzte. Seit den Kalendern der Sechzigerjahre trifft man auf das ständig wachsende Angebot fachlicher Fortbildung, dazu gehörten ab 1963 die unter Beteiligung der Tonkünstlerverbände gegründeten Wettbewerbe „Jugend musiziert“, 1962 bis 1966 auch die vorausgehenden Wettbewerbe „Ewig junges Klavier“ und der 1966 vom Berliner Tonkünstlerverband initiierte Bundeswettbewerb Gesang. Ein Angebot gilt auch der Kooperation mit dem Institut für neue Musik und Musikerziehung mit ihrer jährlichen Frühjahrstagung in Darmstadt und die in den sechziger Jahren begonnenen, wechselweise durchgeführten Studientagungen, die sogenannten D-A-CH-Tagungen der Deutsch-Österreichisch-Schweizerischen Fachverbände, zeitweise auch mit Gästen aus der DDR. Sie widmen sich jeweils einem fachspezifischem Thema, das sich dann in D-A-CH-Publikationen niederschlägt. Die Fortbildungsangebote kommen vorwiegend aus der Initiative der Landesverbände. Dazu zählt auch die Mit- und Zusammenarbeit mit der 1973 eröffneten Bundesakademie für musikalische Jugendbildung Trossingen und mit den in den achtziger- und neunziger Jahren installierten Landesakademien.

Tonkünstlerverband als Veranstalter

Neu im Aufgabenkatalog des Verbandes findet man im Kalender 1967 die gezielte „Förderung des zeitgenössischen Schaffens“. Auf die ins 19. Jahrhundert zurückgehende Tradition von Tonkünstlerfesten kann man die „Allgemeinen deutschen Musikfeste“ 1967 in München, 1970 in Hannover, 1974 in Stuttgart ansehen, ausgerichtet vom Bundesverband, und in der Folgezeit weitere Musikfeste in den Regionen. Hierhin gehören auch die damals daraus resultierende  Schallplattenedition „Deutsche Musik der Gegenwart“ und das seit den 80er- Jahren angelegte Manuskriptarchiv des DTKV.

Das Umfeld des Musiklehrers

Verzichtet wird im Kalender bald auf Post-, Bahn- und Flugtarife. Er bringt stattdessen die bundesweite langfristige Schulferienregelung und startet 1960 eine Liste von 60 überregionalen Musikorganisationen und Institutionen, die bis 2014 auf über 350 anwächst, dazu die Vorstellung der mehr als 16 Bundes- und Landesakademien. Raum im Kalender bekommen der Deutsche Musikrat samt seinen Projekten und Landesmusikräten, ebenso die wichtigsten Verbände und Institutionen, die das Umfeld Musikerziehung und Musikausbildung tangieren: der Verband Deutscher Schulmusikerzieher, die Ausbildungsstätten für Musikberufe, die Musikverantwortlichen bei den Rundfunk- und Fernsehanstalten, die Berufsorchester, die Musikbüchereien, die Konzertdirektionen und Künstleragenturen, teilweise erweitert auf alle deutschsprachige Länder.
Hier zeigen sich Verknüpfungen innerhalb der Musikerziehung, Einblicke in Strukturen des Musiklebens und der Musikberufe. Damit ersetzt der Tonkünstler-Kalender partiell den Musik-Almanach des Deutschen Musikrates, seit er nur noch im Internet, nicht mehr in aktualisierter Druckversion zu finden ist.

Insofern schließt er auch ein wenig an den einstigen Hesse-Musiker-Kalender an, der bis zum 63. Jahrgang 1941 das globale Anschriften- und Nachschlageverzeichnis für das Musikleben darstellte.
Als Annuario steht alle Jahre eine Aktualisierung aller Daten in Arbeitsteilung zwischen Verlag und DTKV an.  Kann man sich noch vorstellen, wie die dafür erforderlichen Korrekturen erarbeitet wurden – in den 60er- bis 80er-Jahren noch ohne Computer, ohne PC, E-Mail, Fax und Handy, alles Arbeitsprozesse in manueller Kleinarbeit mit Schere, Papierstreifen und Klebestift.
Der erste Kalenderjahrgang 1954 enthielt ein Geleitwort des damaligen Präsidenten Arnold Ebel: Der Kalender möge eine Hilfestellung und ein Wegweiser für unseren Berufsstand sein.
Sechzig Jahre danach preist Tonkünstlerpräsident Dr. Dirk Hewig in seinem Willkommensgruß die über sechs Dezennien erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Verlag und Tonkünstlerverband mit dem erfreulichen Resultat: Der stetig weiterentwickelte Tonkünstler-Kalender wurde in seinen verschiedenen Ausstattungen einerseits zum „Spiegel der Verbandsgeschichte“, zum anderen ein nützliches periodisches Vademecum, ein Service für alle, die mit Musik zu tun haben.
 

 

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