Body
Der erste deutsche Jugendorchesterwettbewerb, veranstaltet von der Jeunesses Musicales Deutschland, ist beendet. Die Preisträger stehen fest, und es ist Zeit, ein erstes Fazit zu ziehen auf der Basis der eingesandten Unterlagen aller Orchester, der Meinungsbilder unter den Juroren und der Gespräche mit Verantwortlichen und Mitgliedern der teilnehmenden Orchester. Das Endergebnis sei vorweggenommen: ein voller Erfolg aus der Sicht der Veranstalter, denn das Ziel, das mit diesem Wettbewerb angestrebt wurde, ist über das Erwartete hinaus erreicht. Ein Ziel, das nicht in erster Linie darin bestand, einzelne Orchester vor anderen auszuzeichnen, sondern vor allem darin, Vielfalt und Kreativität bei den einen hervorzuheben, bei den anderen für die Zukunft anzuregen.
Schon vor einigen Monaten wurde in dieser Zeitung über den damals gerade angelaufenen Wettbewerb berichtet. Zur Erinnerung einige Worte zu Inhalten und Zielen. Äußerer Anlaß war das 25jährige Jubiläum der Arbeitsgemeinschaft Jugendorchester (AGJO), die zur Jeunesses Musicales Deutschland (JMD) gehört. Die JMD versteht sich als Dachverband der deutschen Jugendorchester mit inzwischen mehr als 200 Mitgliedern. Der runde Geburtstag war Anlaß zur Frage, was denn die Jugendorchester attraktiv macht, was sie von den Berufsorchestern nicht nur unterscheidet, sondern vielleicht auch hervorhebt, welche Pfunde sie ins Spiel (wenn nicht den Kampf) um Veranstalter, Förderer und Zuhörer werfen können.
Die Idee des Wettbewerbs liegt in der Suche nach den Kriterien, die ein Jugendorchester attraktiv und „besonders“ machen, sowohl für Veranstalter als auch – in der Folge – für das Publikum. Wo es an künstlerischer und technischer Qualität womöglich noch fehlt (und selbst das nicht immer!), kann auf der anderen Seite das Publikum durch Begeisterung der Musiker, durch Einfallsreichtum und Kreativität, durch pfiffige und wohldurchdachte Programmzusammenstellungen, durch eine gelungene Interpretation oder Moderation, durch besondere Konzertformen und vieles mehr mitgerissen werden. Kriterien solcher Art waren die Grundlage für die Bewertung durch die Juroren. War die Vorauswahl unter den 60 Bewerbern aufgrund der eingeschickten Unterlagen getroffen worden, so wurden in der „Endrunde“ die Konzerte der Orchester bewertet. Die Juryteams reisten zu den Konzertorten, so daß sich die Orchester im gewohnten Rahmen präsentieren konnten. Das „Konzerterlebnis“ stand im Mittelpunkt der Bewertung, angefangen vom Einlaß und Programmverkauf bis hin zum Verhalten beim Schlußapplaus und zur Gestaltung der Zugaben. Als Juroren konnten erfreulicherweise erfahrene Vertreter aus verschiedenen Bereichen des deutschen Musiklebens gewonnen werden, die alle mit dem Bereich „Jugendorchester“ zu tun haben, gleichzeitig aber in der Lage waren, über den Tellerrand bloßer technischer Qualität hinauszugucken. Diese Juryzusammenstellung hat sich sehr gut bewährt. Allen, die hier mitgewirkt haben, sei an dieser Stelle sehr herzlich gedankt!
Der Vorwurf, die hier genannten Kriterien seien zu weich und daher einer subjektiven Wertung ausgesetzt, ist für die Veranstalter kein solcher. Ein Konzerterlebnis ist nun einmal subjektiv, jedes einzelne der besuchten Konzerte wurde von jedem Besucher individuell erlebt, also auch von den Juroren. Allerdings wurden die Gremien in der beschriebenen Form sehr sorgfältig zusammengestellt. Die Jurymitglieder waren von den eher wettbewerbsfernen Ideen, die hinter diesem Wettbewerb standen, sehr angetan und bewerteten im übrigen anhand eines ausführlichen Jurybogens, der einen festen Rahmen für die Beurteilung bot.
Die Initiatoren dieser Wettbewerbsidee sind alte „Jugendorchesterhasen“. Ihr Ziel war es, die guten Ideen der vielen Jugendorchester ans Licht zu bringen und gleichzeitig alle Orchester zu motivieren, über ihre Konzert- und Programmgestaltung und über die Nutzung des vorhandenen Kreativitäts-Potentials nachzudenken. Ein positives Ergebnis wurde vorausgesetzt. Dennoch waren auch die Veranstalter überrascht: einerseits über die große Akzeptanz, die der Wettbewerb erfuhr, andererseits aber auch über die quantitativ wie qualitativ hervorragenden Ergebnisse, die die Juroren von den Konzerten „mitbrachten“. Dabei waren durchaus nicht nur die Preisträgerorchester erfolgreich: jedes der bewerteten Ensembles konnte in irgendeinem Bereich außergewöhnliche Ideen vorweisen. Grund genug, diese Ideen zu sammeln und als Anregung, aber auch als Beweis für die im vorhinein aufgestellte These der Vielfältigkeit unserer Jugendorchesterlandschaft zu verbreiten.
Fast immer kommt der Ideenfluß aus den eigenen Reihen. Es finden sich offenbar immer Menschen, die Ideen haben und dabei auch Lust, sich zu engagieren. Oftmals ist dies mit sehr geringen Mitteln möglich und auch realisiert worden.
Dafür spricht das Ergebnis: die Preisträger kommen aus den unterschiedlichsten Sparten deutscher Jugendorchesterkultur. Ein Landesjugendorchester ist ebenso vertreten wie ein Schulorchester, eine Jugendmusiziergruppe rangiert neben dem städtischen Jugendorchester und einem Studentenorchester. Ohne daß diese Vielfalt geplant war, zeigt sie doch, daß im Sinne dieses Wettbewerbs „Äpfel mit Birnen verglichen“ werden können. Zum Schluß noch eine grundsätzliche Betrachtung, die im Bericht über den Jugendorchesterwettbewerb nicht fehlen darf. Gezeigt werden sollte mit dieser Veranstaltung auch, daß Jugendorchester den Profiorchestern in vielen Bereichen durchaus das Wasser reichen können und bei der Werbung um Veranstalter, Förderer und Zuhörer nicht hinter diesen zurückstehen müssen. Stellen sie doch einen Großteil der Berufsmusiker, die zukünftig unsere Profiorchester bestücken werden. Dem einen oder anderen Berufsorchester stände es nicht schlecht an, die Wettbewerbsergebnisse zur Kenntnis und vielleicht auch zum Anlaß zu nehmen, traditionelle und überholte Strukturen aufzubrechen, neuen Ideen der Gestaltung gegenüber offen zu sein und ihnen Eingang in das Orchesterleben zu gewähren. Bleibt zu hoffen, daß die heutigen Jungen ihren Mut und ihre Kreativität bewahren, solange, bis sie selbst an den entscheidenden Stellen und Pulten sitzen, damit sie dann zu erstrebenswerten und notwendigen Veränderungen beitragen.
Das Material, das dieser Wettbewerb offenbart hat, erscheint den Jeunesses Musicales zu schade, um es wieder in der Versenkung verschwinden zu lassen. Aus diesem Grund soll es gesammelt und ausschnittsweise in einer Dokumentation veröffentlicht werden, die voraussichtlich im Frühjahr 1998 erscheint. Ziel dieses Buches wird es auf der einen Seite sein, die gesammelten Anregungen weiterzugeben, damit die guten Ideen weiteren Orchestern zu gute kommen. Auf der anderen Seite soll es aber auch die Aufmerksamkeit von Konzertveranstaltern, derzeitigen und zukünftigen Förderern und Zuhörern erregen und ihnen das Potential vor Augen führen, das es im Bereich der Jugendorchester noch zu entdecken gilt.