Schumanns Schaffen – so die üblich gewordene Betrachtungsweise – zerfällt in zwei auffallend disproportional gehaltene Teile. Durch das Jahr 1850 verlief nach solcher These eine scheinbare Scheidegrenze. Sie bezeichnete das Ende von zwei kompositorisch fruchtbaren Jahrzehnten Schumanns, denen nur noch sechs Jahre folgen sollten – eine knappe Zeit, aufgefüllt mit der verdämmernden Kreativität bis zum Tod des Komponisten 1856. Der im Laufe der Zeit als anachronistisch eingeschätzten Einteilung nach, wäre alles nach 1850 bis zu Schumanns Suizidversuch im Februar 1854 und darüber hinaus Komponierte qualitativ zweitrangig. Aufführungen etwa des Violinkonzertes und der drei Violinsonaten, entstanden zwischen 1851 und 53, unterlagen einer entsprechenden Geringschätzung.
An ihr war Schumanns Frau Clara nicht schuldlos. Sie hatte die späten Werke ihres Mannes im Zusammenhang mit seiner psychischen Erkrankung gesehen, konnte seinen Wandlungsprozess als Komponist nicht nachvollziehen und hielt die betroffenen Kompositionen für unerheblich. Sie unterdrückte manches Werk und hat wohl auch einige vernichtet. Ihre Skepsis wirkte bis Mitte des 20. Jahrhunderts nach.
Erst danach setzten sich fortschrittlichere Einsichten und beherzte Interpretenzugriffe durch.
Zu letzteren gehört die Neueinspielung von Schumanns Violinsonaten durch Carolin Widmann und Dénes Várjon für ihre erste ECM-Veröffentlichung. Die drei Kompositionen bieten von ihrer äußeren Gestaltbildung her kein geschlossenes Erscheinungsbild. Carolin Widmann – sie vor allem – und ihr Klavierpartner Várjon legen in ihrem Vortragsprozess eindringlich eine diesen Sonaten inhärente kontroverse Charakteristik frei. So resolut wie hingebungsvoll wirken beider Interpretationsansätze und klingende Wiedergaben. Die der ersten Sonate reflektiert die quasi schulmäßige, dreisätzige Form in der Haltung eines nahezu seraphischen Lyrismus. Dagegen fordert die viersätzige zweite Sonate von den Spielern den sich vital auslebenden, in sie einkomponierten konzertanten Großgestus. Ihm bleibt das Duo nichts schuldig. Durch beider blind vertrauensvolles Reagieren aufeinander im Zusammengehen wie auch beim Nachvollzug einer nicht nur internen Widerständigkeit zwischen sich oft aufspreizenden und letzten Endes wieder komplementären Figurenkonstellationen in beiden Instrumenten, engagieren sich beide Interpreten hörbar freudig und mit hoher Intensität.
Die dritte Sonate ist, zumal auf Grund ihrer Brüche und klanglichen Schroffheiten, die Carolin Widmann voll nutzt, Schumanns interessanteste. Sie wurde erst 1956 zum 100. Todestag des Komponisten von Oliver Neighbour in einer logisch nachempfundenen Satzfolge ediert. Diese Sonate hebt sich heraus aus der Dreiergruppe und gewinnt durch den aktuellen interpretatorischen Einsatz einschneidende Kontur. Die Zerklüftungen des Kopfsatzes mit seiner auf seltsame Weise wie zerfallend wirkenden pathetischen Einleitung; das rabiate Scherzo ohne jede Gemüthaftigkeit, das nervöse Intermezzo und das im Auf und Ab der Gefühle bis zum Erschrecken sich konkretisierende Finale, beglaubigt durch eigenwillige Figuren- und heftige Dialogführung – dieser musikalischen Komplexität stellt sich das Interpreten-Duo Widmann/Várjon und stürzt sich mit nachwirkender Attacke in die von Schumann beschworenen Herausforderungen. Dank solcher Darstellung macht diese immer noch wenig beachtete Sonate die Schumann-CD von ECM zum einleuchtenden Ereignis.