Der Landesmusikrat Schleswig-Holstein hat die Harfe 2016 zum Instrument des Jahres erklärt. Das ist schön, zeigt aber auch, dass das Instrument, das einst den Königen und Engeln zugeeignet wurde, inzwischen Unterstützung braucht. Denn die Konkurrenz auf dem freien Markt der Klangerzeugung ist laut und heftig.
Eine Konzertharfe wiegt rund 40 Kilo und ist damit noch deutlich schwerer als beispielsweise ein Bass-Saxophon, das seinerseits zu den unhandlichen Sonderlingen der Instrumentallandschaft gehört. Die Engel, die so gerne mit dem fließend zarten Klang der Saiten verbunden werden, müssten daher eigentlich durchtrainierte Muskelmänner sein, um sich mit einer Harfe auch vor Publikum zu präsentieren. „Zu mir kommen immer wieder Eltern mit jungen Töchtern, die begeistert nach einem Konzert für ihre Kinder Unterricht haben wollen,“ meint Evelyn Huber, eine der renommierten deutschen Solo-Harfenistinnen jenseits der Orchesterwelt. „Und wenn ich ehrlich bin, müsste ich ihnen eigentlich davon abraten. Denn sie tun sich damit keinen Gefallen. Im Ernstfall muss irgendwann ein Instrument für 40.000 Euro her, das Auto braucht man auch dazu. Harfe ist unhandlich, lässt sich schwer stimmen. Wenn man sie nicht verstärkt, ist sie nicht die Präsenteste. Sie ist unpraktisch – aber ich liebe ihren Klang.“
Metamorphosen
Und deshalb bleibt Evelyn Huber dabei, komponiert für das Instrument, hat eine eigene Band, die sich musikalisch Ausflüge in die Improvisation erlaubt oder ist mit den Salonkollegen von Quadro Nuevo unterwegs, die die Kunst der atmosphärisch anspielungsreichen Musik in den vergangenen zwei Jahrzehnten perfektioniert haben. Sie steht auch für einen Wandlungsprozess, der die Vorstellung eines Instruments, das zwischenzeitlich ein wenig aus der Mode gekommen ist, wieder in Richtung einer neuen Aufmerksamkeit lenkt: „Als ich vor 25 Jahren anfing, mich mit der Harfe auf die Bühne zu stellen, war das ein ziemlich einsamer Job, ein Pionierweg. Die jungen Musiker von heute aber wachsen mit einem anderen Verständnis des Instruments auf. Für die ist es normal, dass man darauf trommeln kann oder Effekte durch die Spielweise und die Technik erzeugen kann. Ich finde es enorm spannend, dass die Harfe auf diese Weise immer wieder neue Aspekte vorzuweisen hat.“
Das scheint in ihrer Natur zu liegen. Schon im alten Ägypten und Mesopotamien spielte man Bogen- und Winkelharfen. Malereien auf Vasen und Wandgemälden dokumentieren Instrumente in der griechischen und römischen Antike. Es gibt historische Beispiele aus Syrien, Kambodscha, Thailand, Birma, dem heutigen Myanmar, an dessen Hof die Saung Gauk als Harfe der Könige behandelt wurde. Im Mittelalter machten die dreiteiligen Rahmenharfen mit Klangkörper, Vorderstange und Hals von Irland aus Karriere, Komponisten und Virtuosen wie Turlough O’Corolan hinterließen Spuren bis in die Folk-Bewegungen drei Jahrhunderte später, als die Chieftains seine Stücke bearbeiteten. Die gotischen Harfen an mitteleuropäischen Fürstenhöfen galten wie die Davidsharfe ebenfalls als edles, engelhaftes Instrument und in Spanien und Italien entwickelten sich in der frühen Neuzeit und dem Barock sogar komplexe Konstruktionen mit mehreren Saitenreihen. Der Durchbruch Richtung Moderne gelang mit Harfenbauern wie Jakob Hochbrücker, der bereits 1720 Vorläufer der Pedalharfe konstruierte, die das diatonische Dilemma beschränkter Gestaltungsmöglichkeiten chromatisch entschärfte. Spätestens im 18. Jahrhundert entwickelte sich die Harfe dann zu einem Volksinstrument, das von Wanderhafnern und Harfenmädchen auf den Tanzböden von Böhmen bis in den Alpenraum präsentiert wurde. Nebenlinien führten sie außerdem über die spanischen Kolonisatoren nach Südamerika, wo sie zum Bestandteil regionaler Traditionen von Venezuela bis Paraguay wurde. Im afrikanischen Kulturraum wiederum ist seit dem 19. Jahrhundert die Kora von Guinea-Bisseau aus als eigenständiges Meisterinstrument der Griots belegt. Man könnte also von einem Siegeszug sprechen, zumal auch die klassischen und romantischen Komponisten die Harfe als wichtigen Bestandteil des Orchesterklangs schätzten, wäre nicht ihr Stern in der Zeit zwischen und nach den Weltkriegen gesunken, als einerseits die Harmonie als grundlegender Bestandteil der Musik an Bedeutung verlor, darüber hinaus Jazz, Pop und Rockmusik durch Verstärkung und Veränderung der Spielhaltung die Harfe in ein Nischendasein führten.
Improvisation und Rock ’n’ Roll
Dort ist sie bis heute, wenn sie auch inzwischen wieder mehr junge Musiker und Musikerinnen für sich entdecken. Kathrin Pechlof zum Beispiel, eine inzwischen in Berlin ansässige Münchnerin, stellt die Harfe ähnlich wie ihre Schweizer Kollegin Julie Campiche in einen improvisierenden zeitgenössischen Zusammenhang. Da es dafür wenig Vorbilder gibt, war der Weg dorthin ein Prozess des Ausprobierens, der einerseits mit den Volksmusik-Anarchisten der Unterbiberger Hofmusik zusammenhing, die sie als Musikerin engagierten und ihr viele gestalterische Freiheiten ließen. Vor allem aber trieb sie die eigene Neugier an: „Ich war musikalisch unerfahren, es gab ja kaum Vorbilder oder Lehrer, wo ich hätte Jazz-Harfenunterricht nehmen können. In Amerika kursierten ein paar Namen, aber das war zu weit weg. Im Nachhinein fand ich das ganz gut, weil ich mir die Impulse von anderen Instrumenten geholt und sie auf die Harfe transformiert habe. Ich konnte da nichts kopieren, dafür meinen Weg gehen, was aber manchmal etwas mühsam war.“ Inzwischen hat Pechlof ein Trio mit Saxophon und Kontrabass, das sich stilistisch in den Grenzregionen zur Neuen Musik bewegt, ohne damit die improvisierenden Aspekte zu vernachlässigen.
Es tut sich einiges, nicht nur im Jazzbereich, wo Musikerinnen wie Dorothy Ashby, Maja Taube, Julie Campiche oder Brandee Younger an der Weiterentwicklung der Klangsprache arbeiten. Der Kolumbianer Edmar Castañeda beispielsweise hat im Laufe des vergangenen Jahrzehnts mit virtuoser Nageltechnik die Grenzen von südamerikanischer Volksmusik und Latin Jazz überschritten. Sogar die Rockmusik kennt wieder Harfenisten wie André Strugala, ein Hüne aus Rügen, der bei In Extremo in die Saiten greift. Damit so etwas klanglich überhaupt Sinn macht, mussten in den vergangenen Jahrzehnten die Instrumentenbauer nachziehen. So haben die Bretonen von Camac eine Harfe mit einem Korpus aus Kohlefaser entwickelt, flach wie eine E-Gitarre, mit Einzeltonabnehmern für die Karbonsaiten. „Diese Harfen haben ein faszinierend lineares Klangbild, mit dem sich sehr gut arbeiten lässt,“ erläutert Strugala die Vorzüge der Entwicklung. „Man braucht dazu gute Kompressoren, um am Ende das Klanggefüge anzupassen, aber das geht. Die Möglichkeiten der Effektbelegung sind dann beinahe grenzenlos.“
Auf der Bühne hat er aber zumeist seine keltische Harfe von Martin Gust in der Hand, mit der er als Spielmann der populären Mittelalterrocker die Blicke auf sich zieht: „Man spricht nicht umsonst von einer Königin der Instrumente und insofern beeinflusst sie das Instrumentenbild und die optische Wirkung der Band. Es ist manchmal schon ein wenig grotesk: Ich als Kerl mit zweieinhalb Zentnern und dann dieses feine Instrument – das ist bestimmt ein Hingucker! Aber darum geht es eigentlich gar nicht. Die Harfe ist einfach ein wunderschönes Instrument, sie braucht ihren Raum, das hat seine Berechtigung, und dann muss man sich eben auch damit auseinandersetzen, dass sie ihn bekommt. Ich finde es gut, wenn man Instrumente vielseitig einsetzt und in andere Facetten einbettet. Die Harfe ist nicht ausschließlich auf klassische Musik festgelegt, auch wenn ihr Klang in diesem Zusammenhang gut passt. Ich bin zum Beispiel ein großer Fan von Hans Otte. Seine ‚Wassermann Musik‘ und der ‚Siebengesang‘ sind experimentelle und zugleich sehr puristische Kompositionen, die mich an der Harfe faszinieren.“ Es funktioniert also noch immer. Die Harfe als ebenso opulentes wie komplexes Instrument zieht Musiker und Musikerinnen aus vielen Lagern in ihren Bann. Solange das gelingt, geht die Geschichte über das Jahr der Harfe hinaus weiter.