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Erweckung aus dem Dornröschenschlaf

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22. Musikinstrumentenbau-Symposium im Kloster Michaelstein vom 16. bis 18. November 2001
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Als James Tyler 1980 sein heute noch als Standardwerk geltendes Handbuch „The Early Guitar“ herausgab, beklagte er die ihm völlig unverständliche Vernachlässigung der Gitarreninstrumente des 16. bis 18. Jahrhunderts in der Musizierpraxis der Gegenwart. Heute, 21 Jahre später, gilt es festzustellen, dass insbesondere die Barockgitarre inzwischen einen beachtenswerten Platz als Solo- wie als Continuoinstrument in Konzerten und bei CD-Produktionen zurückerobert hat.

Als James Tyler 1980 sein heute noch als Standardwerk geltendes Handbuch „The Early Guitar“ herausgab, beklagte er die ihm völlig unverständliche Vernachlässigung der Gitarreninstrumente des 16. bis 18. Jahrhunderts in der Musizierpraxis der Gegenwart. Heute, 21 Jahre später, gilt es festzustellen, dass insbesondere die Barockgitarre inzwischen einen beachtenswerten Platz als Solo- wie als Continuoinstrument in Konzerten und bei CD-Produktionen zurückerobert hat. Ganz anders sieht es hingegen bei den frühen Instrumenten der Zisternfamilie aus. Obwohl auf unzähligen ikonografischen Zeugnissen und Gemälden als beliebtes Ensembleinstrument ausgewiesen, scheint die Zister im Rahmen der Historischen Aufführungspraxis noch keine angemessene Würdigung gefunden zu haben. So war das diesjährige 22. Musikinstrumentenbau-Symposium in Michaelstein zwei Instrumenten gewidmet, die erst wieder in jüngster Zeit, oder im Falle der Zister noch immer nicht so recht aus ihrem jahrhundertelangen Dornröschenschlaf erweckt worden sind.

Etwa 60 Spezialisten aus ganz Europa hatten sich vom 16. bis 18. November 2001 in der Stiftung Kloster Michaelstein, reizvoll im Harz zwischen Wernigerode und Blankenburg gelegen, eingefunden. Es gab Vorträge, Demonstrationen, Konzerte und eine liebevoll zusammengestellte Sonderausstellung mit historischen Gitarren und Zistern. Last but not least zu erwähnen die persönlichen Begegnungen, in denen bestehende Freundschaften vertieft und neue geschlossen wurden.

Die Tage begannen, für Michaelstein traditionell, am Freitagmorgen mit der musikalischen Eröffnung, in der Hans Michael Koch französische und italienische Musik für Renaissance- und Barockgitarre vorstellte. Derart eingestimmt begann das Symposium mit einer Folge von Referaten rund um die Zister. Es ging um Ikonografie, Geschichte, Vielfalt der Zisterntypen, Musizierpraxis und Ansätze zur Rekonstruktion historischer Instrumente. Die unterschiedliche Herkunft der Referenten, es kamen Musikwissenschaftler, Instrumentenbauer und Künstler zu Wort, gestattete die unterschiedlichsten Perspektiven, zumal die Musiker es sich nicht nehmen ließen, ihre Beiträge mit eigenen Demonstrationen zu bereichern. Auf diese Weise durfte so manch einer zum ersten Mal eine „English Guitar“ (ein Zisterntyp im Gegensatz zur Spanish Guitar) gehört haben; ein fast vergessenes Instrument, für das immerhin F. Geminiani oder J. Chr. Bach komponiert haben. Angesichts der heutigen Standardisierung unserer klassischen Orchesterinstrumente ließ die Vielfalt der Zistern den klanglichen Reichtum des Instrumentariums im 16. und 17. Jahrhundert erahnen. Abends erfreute dann Lee Santana Symposiumsteilnehmer wie Gäste mit einem Konzert auf der vierchörigen Zister in Renaissancestimmung sowie auf der vier-und fünfchörigen Gitarre. Eine ganz persönliche Note erhielt dieses Konzert durch eine Reihe eigener Kompositionen, die Santana zuweilen im direkten Kontrast zu den englischen und spanischen Stücken aus dem 17. Jahrhundert spielte. Neue Musik auf alten Instrumenten: Eine nicht alltägliche Erfahrung.

Am Samstagnachmittag begannen die Gitarrenreferate, die wiederum eine entsprechende Vielfalt der Themen und Perspektiven enthielten. Im Mittelpunkt des Interesses stand die barocke „Guitarra Espanola“. Dabei ging es um Fragen der Stimmung, Generalbasspraxis oder um Probleme bei der Rekonstruktion eines historischen Instrumentes. Aus dem 16. Jahrhundert wurde eine bedeutende Quelle für die vierchörige Gitarre vorgestellt. Ausblicke auf das 19. Jahrhundert erlaubten die beiden letzten durch ausführliche Musikbeispiele veranschaulichten Vorträge über spanische Gitarrenmusik um 1800 beziehungsweise über die Entwicklung der siebensaitigen russischen Gitarre. Obwohl die Blütezeit der russischen Gitarre im 19. Jahrhundert anzusiedeln ist, wurde deutlich, dass die Wurzeln ihrer Entwicklung an der Gitarre und Zister Anteil haben, im 18. Jahrhundert zu finden sind. Ein sinnvoller Abschlussvortrag! Den künstlerischen Höhepunkt des Symposiums bildete das Konzert von José Miguel Moreno aus Madrid, der unter dem Motto „Die spanische Gitarre und ihre Musik von 1536 bis 1700“ ein repräsentatives Programm mit Werken spanischer Komponisten für Vihuela und Barockgitarre zusammengestellt hatte. Insgesamt eine Veranstaltung, die durch ihre Anregungen, Vorträge und Konzerte Lust machte auf mehr Barockgitarre, mehr Zister, English Guitar oder russische siebensaitige Gitarre. Also auf Instrumente und ihre Musik, die in unserem auf „Mainstream“ angelegten Musik- und Konzertleben nur eine winzige Nischenposition behaupten können. Ein Symposium wie jenes in Michaelstein bildet einen wichtigen Beitrag, das Leben in diesen künstlerischen Nischen zu pflegen und zu erhalten. Dafür sei den Organisatoren der Stiftung Kloster Michaelstein herzlichst gedankt.

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