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Zusätzlich zu ihrem historischen Instrument erhält Tanja Becker-Bender (li.) ein neu gebautes Instrument aus der Hand der Präsidentin der Deutschen Stiftung Musikleben, Irene Schulte-Hillen. Foto: Monika Lawrenz
Zusätzlich zu ihrem historischen Instrument erhält Tanja Becker-Bender (li.) ein neu gebautes Instrument aus der Hand der Präsidentin der Deutschen Stiftung Musikleben, Irene Schulte-Hillen. Foto: Monika Lawrenz
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Es gibt Geigen jenseits der Stradivaris und Guarneris

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Auftragsbauten für den Deutschen Musikinstrumentenfonds fördern den Dialog zwischen Geigenbauern und Musikern
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„Eine großartige Revolution“ nennt der Pariser Geigenbauer Stephan von Baehr das Pilotprojekt der Deutschen Stiftung Musikleben. „Ein wichtiges Zeichen“ werde damit gesetzt, so die Violinvirtuosin und Professorin Tanja Becker-Bender. Die Stiftung, die inzwischen jährlich rund 150 alte klangschöne Geigen, Bratschen, Celli und Kontrabässe aus ihrem Musikinstrumentenfonds an junge Streichertalente verleiht, wagt in diesem Jahr einen bisher weltweit einzigartigen Schritt: Fortgeschrittene Stipendiaten erhalten die Möglichkeit, zusätzlich zu ihrer historischen Leihgabe ein hochwertiges neues Instrument zu spielen.

Jedes Jahr soll ein anderer renommierter Geigenbauer beauftragt werden, zu diesem Zweck ein Streichinstrument für den Fond zu bauen. Die Stipendiaten bekommen nach ihrer Förderung das Angebot, sich von dem betreffenden Geigenbauer ein eigenes Instrument nach ihren Wünschen bauen zu lassen. Mit diesem Konzept gelingt es der Stiftung, alte und neue Instrumente gleichermaßen nebeneinander zu stellen und ein offenes Diskussionsforum aufzubauen zwischen Geigenbauern und jungen Musikern.

Für Tanja Becker-Bender ist es eine große Ehre, die erste Stipendiatin des Projekts und damit von Anfang an dabei zu sein. Seit dem Ende ihrer Schulzeit wird sie von der Stiftung unterstützt. Ende Februar wurde ihr bei der Preisverleihung eine gerade erst fertig gestellte Geige von Stephan von Baehr offiziell überreicht. „Als mich die Präsidentin der Stiftung, Irene Schulte-Hillen, im Januar anrief und fragte, ob ich bei diesem Projekt mitmachen will, war ich sofort begeistert“, erzählt sie. „Es ist für mich eine Chance, etwas Neues auszuprobieren, obwohl ich natürlich anfangs nicht wusste, wohin sich das Ganze entwickelt. Ich kannte die Geige ja noch nicht.“ Kennen gelernt haben sich Tanja Becker-Bender, die neue Geige und deren „Vater“ Stephan von Baehr in Hamburg. Schon das Aussehen des Instruments hat die Violinistin fasziniert. Die Geige ist eine Kopie der „Lord Wilton“, einer Guarneri del Gesù aus dem Jahr 1742. Mithilfe der neuen Silikon-Abgusstechnik war es für Stephan von Baehr möglich, das Konzept der Geige originalgetreu nachzuempfinden. Es passt ausgezeichnet, dass Tanja Becker-Benders alte Geige ebenfalls eine Guarneri del Gesù ist, und zwar aus dem Jahr 1728. So hat die Virtuosin beim täglichen Üben einen direkten Vergleich. Zwei Instrumente parallel zu spielen ist für sie eine besondere Herausforderung. „Die neue Geige ist kein Instrument, bei dem man nach ein paar Tönen denkt, okay, die Geige kenne ich, sondern sie regt an zu suchen, ganz feine Farbnuancen zu finden und sich dadurch weiterzuentwickeln.“ Regelmäßig berichtet sie der Stiftung von ihren Spielerfahrungen.

Auch mit Stephan von Baehr steht sie in direktem Austausch. Mal treffen sie sich in der Berliner Philharmonie, mal in seiner Werkstatt in Paris. Der Geigenbauer kann die Geige so optimal auf Tanja Becker-Benders Bedürfnisse einstellen. Der „Wohlfühlfaktor“ muss schließlich stimmen. Dafür wird zum Beispiel die Steghöhe nachträglich angepasst. „Dieses kreative Miteinander zwischen Geigenbauer und Musiker ist einfach sehr inspirierend“, schwärmt Stephan von Baehr. „Ich beobachte oft eine Kommunikationsdiskrepanz zwischen Musikern und Geigenbauern. Vor allem, wenn es um die Problematik geht, ein passendes Instrument zu finden. Dabei fühlen sich Musiker meist allein gelassen. In vielen Werkstätten hängen die teuren alten Geigen wie Schinken in langen Reihen. Es gibt zahlreiche hervorragende Instrumente darunter, keine Frage. Aber nur weil etwas fünfzig Kilometer von Cremona entfernt gebaut wurde, ist es noch lange kein Zehntel einer Stradivari wert. Ich ziehe den Hut vor der Stiftung, weil sie jungen Musikern mit dem Projekt die Möglichkeit gibt, ein neu gebautes und dadurch auch erschwinglicheres Instrument für sich zu entdecken.“

Eine Geige und eine Bratsche sollen in diesem Jahr für den Fond gebaut werden. „Sich mit jungen Geigenbauern auseinanderzusetzen, ist für uns als Stiftung sehr interessant.“ Irene Schulte-Hillen blickt optimistisch in die Zukunft des Projekts. Doch ihr bleiben auch die Vorbehalte gegenüber der Idee, neue Instrumente zu verleihen, nicht verborgen: „Es gibt Stimmen, die meinen: Der Musiker hat dieses herrliche alte Instrument und jetzt muss der Arme ein neues Instrument spielen. Das ist wirklich Unsinn. Natürlich ist ein neues Instrument, dass zwar gerade schön klingt, vielleicht noch nicht so klangstabil und verändert sich noch, aber ich bin sicher, unsere Stipendiaten werden ihren Klang immer wieder finden, weil sie es am alten Instrument ja schon ausprobiert haben. Und, ganz klar, wir wünschen uns, dass Tanja Becker-Bender nach einiger Zeit sagt: Die Geige ist so toll, ich gebe jetzt meine Guarneri del Gesù ab und werde in Zukunft mit einer Geige von Herrn von Baehr genauso gut spielen können. Warten wir die Entscheidung in Ruhe ab!“

Tanja Becker-Bender kann sich bereits gut vorstellen, später bei Stephan von Baehr ihr eigenes Instrument bauen zu lassen. „Wir kennen uns schon und ich kann meine eigenen Vorlieben ins Gespräch bringen.“ Während nach wie vor viele ihrer Berufskollegen ungern zugeben, ein neues Instrument statt der großen Namen Stradivari, Guarneri oder Amati zu spielen, appelliert sie für mehr Offenheit. „Die Spaltung ‚nur alt‘ oder ‚nur neu‘, dieses fanatische ‚entweder – oder’ muss nicht sein. Das betrifft die Instrumente, auf denen wir spielen und die Werke, die wir spielen. Musik darf auch nicht zum Kulturmuseum werden. Genauso unverkrampft, wie wir mit alter und neuer Musik umgehen sollten, so muss auch ein lebendiger Dialog stattfinden, egal ob mit Geigenbauern oder mit Komponisten.“

Die Deutsche Stiftung Musikleben zeigt, wie gut dieser Dialog möglich ist – und dass die Qualität zählt, unabhängig von alt oder neu.

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