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Folkmusik als Aspekt von Bürgerrechtsbewegungen

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Sozialgeschichtliche Aspekte der Rezeption von Weltmusik
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Bei der Suche nach anderen Lebensformen, nach kulturellen Alternativen zur kapitalistischen Industriegesellschaft, nach Ursprünglichkeit, Natürlichkeit und Authentizität richteten die Folkmusikbewegungen der letzten Jahrzehnte immer wieder den Blick zurück in die Vergangenheit. In Großbritannien etwa erkundeten die Folkmusiker ihre musikalischen Ursprünge bei den alten Kelten, in Mitteleuropa bei den fahrenden Sängern des Mittelalters oder bei verschiedenen regionalen Musiktraditionen. Auch die Schwarzen in den USA sind seit langem auf der Suche nach ihren durch die Verschleppung nach Amerika verschütteten kulturellen Wurzeln. Unter den Bedingungen einer verdeckt oder offen rassistischen Gesellschaft versuchen sie, eine eigene Identität zu konstruieren. Bezugspunkt war und ist dabei natürlich Afrika, der schwarze Kontinent. Der folgende Beitrag befasst sich mit Prozessen der kulturellen Selbstsuche der Afroamerikaner und deren Verbindung zur Folkmusic-Bewegung in den USA. Den Text entnehmen wir Martin Pfleiderers Buch „Zwischen Exotismus und Weltmusik. Zur Rezeption asiatischer und afrikanischer Musik im Jazz der 60er und 70er Jahre“, das vor zwei Jahren im CODA-Verlag Karben erschienen ist.

Das Streben der Afroamerikaner nach sozialer, kultureller und politischer Selbstbestimmung hat eine lange Tradition. Seit der Sklavenbefreiung Ende des 19. Jahrhunderts bestand das zentrale Anliegen der nordamerikanischen Schwarzen in der Überwindung ihres gespaltenen Bewusstseins, einerseits Staatsbürger der Vereinigten Staaten, andererseits aufgrund ihrer dunkleren Hautfarbe gesellschaftlich nicht voll anerkannt zu sein. So schrieb der panafrikanistische Vordenker W.E.B. Du Bois in seinem 1903 erschienenen Buch „The Souls of Black Folk“: „Es ist ein eigenartiges Gefühl, dieses doppelte Bewusstsein, dieses Gefühl, immer durch die Augen der Anderen auf sich selbst zu schauen und die eigene Seele mit dem Maßband einer Welt zu messen, die in Belustigung, Verachtung und Mitleid auf einen schaut. Man fühlt immer diese Zweiheit – ein Amerikaner, ein Schwarzer; zwei Seelen, zwei Gedanken, zwei unversöhnte Bestrebungen; zwei einander widerstreitende Ideale in einem dunklen Körper, den allein seine verbissene Stärke davor bewahrt, entzwei gerissen zu werden.“ Nach der langen Zeit der Sklaverei und Unterdrückung ging es den afroamerikanischen Intellektuellen im 20. Jahrhundert um die (Re-) Konstruktion einer eigenen schwarzen Identität. Der Bezug zu Afrika, zur afrikanischen Kultur und Lebensweise stand in den 1920er-Jahren im Mittelpunkt sowohl der Harlem Renaissance von afroamerikanischen Literaten als auch der von Marcus Garvey 1914 gegründeten Universal Negro Improvement Association (UNIA). Die schwarzen Intellektuellen der Harlem Renaissance verfolgten drei unterschiedliche Strategien der Identitäts-Konstruktion. Sie betonten entweder die Kontinuität der afrikanischen Kultur in der amerikanischen Diaspora, die Vermittlung zwischen afrikanischer Vergangenheit und amerikanischer Gegenwart oder aber eine bewusste Ablösung der modernen Afroamerikaner von ihren afrikanischen Wurzeln. Daneben propagierten Marcus Garvey und seine UNIA als eine vierte Strategie die Rückkehr der Schwarzen aus dem amerikanischen Exil zurück nach Afrika. Die Ziele der UNIA, die von den Intellektuellen der Harlem Renaissance nur am Rande wahrgenommen wurden, fanden in der afroamerikanischen Bevölkerung ein breites Echo. Bereits in den 1920er-Jahren stand also das Ziel der afroamerikanischen Integration innerhalb der US-Gesellschaft einem schwarzen Nationalismus gegenüber, der die panafrikanische Kontinuität von afrikanischer und afroamerikanischer Kultur betonte und die kulturelle und politische Segregation von der europäisch geprägten US-Gesellschaft forderte.

Nachdem im Jahre 1954 durch die Grundsatzentscheidung des Obersten Bundesgerichtshofes die Rassentrennung an Schulen für verfassungswidrig erklärt wurde, formierte sich in den 1950er- und 1960er-Jahren auf breiter Basis die afroamerikanische Bürgerrechtsbewegung. Frank Kofsky weist in seinem Buch „Black Nationalism and the Revolution in Music“ darauf hin, dass die höchstrichterliche Entscheidung gegen Rassendiskriminierung im Zusammenhang des Kalten Kriegs und des Kampfes der USA um eine globale Vormachtstellung gesehen werden kann. Kofsky zitiert den US-Generalstaatsanwalt, der erklärte, eine Fortsetzung der Rassendiskriminierung mache die amerikanische Außenpolitik unglaubwürdig und sei Wasser auf die Mühlen der kommunistischen Propaganda: „Es liegt an dem Zusammenhang des gegewärtigen Weltkampfes zwischen Freiheit und Tyrannei, in dem das Problem der Rassendiskriminierung gesehen werden muss. Rassendiskriminierung beliefert die kommunistischen Propagandamühlen mit neuer Nahrung.“

Nach dem Zweiten Weltkrieg war eine neue weltpolitische Situation entstanden. Die USA waren endgültig aus ihrer politischen Isolation herausgetreten. Amerikanische Soldaten waren in der Kriegs- und Nachkriegszeit nicht nur in Europa, sondern ebenso in Asien und auf den Pazifikinseln stationiert. Der Supermacht USA stand nun die sozialistische UdSSR gegenüber. In Europa waren die Fronten zwischen den Machtblöcken schnell abgesteckt, und Lateinamerika wurde von den USA seit jeher als ihr „Hinterhof“ angesehen. Die Weltpolitik der beiden Weltmächte konzentrierte sich nun auf die globale Etablierung, Verteidigung und Erweiterung ihrer Einfluss-Sphären in Asien und Afrika.

Die meisten asiatischen Staaten wurden kurz nach dem Zweiten Weltkrieg unabhängig (Indonesien 1945, Philippinen 1946, Indien und Pakistan 1947, Burma 1948), mitunter aber erst nach kriegerischen Konfrontationen (Korea 1953, Kambodscha, Vietnam, Laos 1954). 1957 wurde Ghana unter Kwame Nkrumah als erster schwarzafrikanischer Staat unabhängig, gefolgt 1958 von Guinea unter Sekou Touré. Im „afrikanischen Jahr“ 1960 wurden die Staaten Kamerun, Togo, Senegal, Mali, Zaire, Madagaskar, Somalia, Benin, Niger, Obervolta, Elfenbeinküste, Tschad, die Zentralafrikanische Republik, Kongo, Gabun, Nigeria und Mauretanien von den europäischen Kolonialstaaten (hauptsächlich von Frankreich) in die Unabhängigkeit entlassen. Im Laufe der 1960er- Jahre folgten rund ein Dutzend weitere, hauptsächlich britische Kolonien – unter anderem 1962 Kenia unter Jomo Kenyatta. In vielen der afrikanischen Staaten prägte das in den USA entstandene panafrikanistische Gedankengut (in den französischen Kolonien die „négritude“ der an den Pariser Universitäten ausgebildeten afrikanischen Intellektuellen) die Ideologien der afrikanischen Unabhängigkeitsbewegungen. Umgekehrt bestärkten die Erfolge der afrikanischen Unabhängigkeitsbewegungen die afroamerikanische Bürgerrechtsbewegung.

In den USA wurde die zuvor selbst in Kreisen der Afroamerikaner noch weit verbreitete Abwertung Afrikas von einem positiv geprägten Afrikabild abgelöst. Das „afrikanische Erbe“ wurde zum ideologischen Fixpunkt eines neuen Selbstbewusstseins und einer Kontra-Akkulturation, die sich in vielen Lebensbereichen auswirkte: in der afrikanischen Kleidung, den afrikanischen Frisuren, der Beschäftigung mit afrikanischer und afroamerikanischer Kultur und Geschichte (zum Beispiel in Form von Suaheli-Kursen), der neuen schwarzen Religiosität, und schließlich in den neu eingerichteten Black Studies-Programmen der Hochschulen. (...)

Im Verlauf der 1960er Jahre verstärkten sich die Afrikabezüge im Schaffen vieler Jazzmusiker. Über symbolische und programmatische Bezüge in der Titelgebung wie auch in der visuellen Gestaltung vieler Plattenhüllen hinaus begannen einige Jazzmusiker, nun auch musikalisch Bezüge zu Afrika herzustellen.

Die politische Solidarisierung der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung – zu der sich übrigens auch viele weiße US-Amerikaner bekannten – mit den unterdrückten Völkern der Dritten Welt bezog sich nicht nur auf den afrikanischen Kontinent, sondern ebenso auf die Karibikinseln, auf Lateinamerika und auf Asien. Der Begriff „Blacks“ wurde von den schwarzen Nationalisten nicht so sehr als Rasse-Begriff, sondern als eine soziale Stigmatisierung verstanden, der alle von den „Weißen“ – den angeblich Guten und Reinen – unterdrückten Völker in Lateinamerika, Asien und Afrika umschloss. Schon W.E.B. Du Bois hatte um die Jahrhundertwende die Frage der Hautfarbe, die „color line“ zum Problem des 20. Jahrhunderts erklärt: „Das Verhältnis der dunkleren zu den helleren Menschenrassen in Asien und Afrika, in Amerika und auf den Inseln“. Manche politischen Agitatoren des Black Nationalism der 1960er-Jahre begannen, von dem „Asiatic Black Man“ zu sprechen.

Die Abwendung vieler Afroamerikaner vom Christentum, der Religion der Weißen, und die religiöse Hinwendung zum Islam muss ebenfalls im Zusammenhang der Solidarisierung mit den Völkern der Dritten Welt und der Suche nach Alternativen zum christlich-kapitalistischen Abendland verstanden werden. Eric C. Lincoln stellt in seiner Untersuchung „The Black Muslims in America“ fest, das zwei der wichtigsten Bewegungen des radikalen Black Nationalism in diesem Jahrhundert – der Moorish Science Temple und die Nation of Islam – ausdrücklich islamisch orientiert waren und keinen Unterschied zwischen afrikanischen und asiatischen Schwarzen machten. „Es ist einerlei“, so Lincoln, „ob gesagt wird, das Heimatland der verstreuten Schwarzen Nation sei nun Asien oder aber Afrika. Für den schwarzen Nationalisten ist Afro-Asien ein einziger Kontinent, und das Zion des schwarzen Mannes ist überall dort, wo der weiße Mann nicht ist.“

1913 gründete Timothy Drew alias Noble Drew Ali in Newark, New Jersey, den Moorish Science Temple. Die Bezeichnung „Moor“ sollte dabei selbstbewusst an die Eroberung des weißen Spaniens durch die dunkelhäutigen Mauren erinnern. Lincoln beschreibt die Sekte, die sich bis zum Tod Drews im Jahre 1929 in andere amerikanischen Städte ausgebreitet hatte und auch mit Marcus Garveys Universal Negro Improvement Association zusammenarbeitete, folgendermaßen: „Obwohl sie vom Koran Gebrauch machte und für die eher exotischen Paraphernalia des Islams wie zum Beispiel das Tragen eines Fez oder die Übernahme islamischer Namen bekannt war, so war Noble Drew Alis Bewegung im Wesentlichen eine Mischung aus schwarzem Nationalismus und christlicher Erweckungsbewegung mit einer unbeholfenen, konfusen Patina der Lehren des Propheten Mohammed. Es war kein Islam, aber signalisierte ein mattes Bewusstsein des Islams.“ Die Nation of Islam (NOI) wurde in den 1930er-Jahren von dem mysteriösen W.D. Fard Muhammads in Detroit ins Leben gerufen und breitete sich unter Leitung von Elijah Poole alias Elijah Muhammad (1897–1975) schnell in vielen amerikanischen Städten aus. Bereits 1946 wurde der Temple #7 in Harlem gegründet, zu deren Imam 1954 Malcolm X ernannt wurde. Trotz ihres religiösen Anstrichs war die Nation of Islam vor allem eine politische und soziale Bewegung und wurde zum politisch einflussreichen Sammelbecken der Black Nationalists der 1960er Jahre. In den 1960er-Jahren spalteten sich von der NOI weitere islamische Sekten ab, die im Sinne eines Black Nationalism agitierten – in New York unter anderen die Five Percenters unter Clarence „Pudding“ 13X (Harlem) und die Zulu Nation (South Bronx).

Trotz fundamentaler Differenzen besitzt die afroamerikanische Bürgerrechtsbewegung viele Berührungspunkte zu kultur- und gesellschaftskritischen Strömungen unter weißen Jugendlichen und Intellektuellen in den 1960er-Jahren. Beide lehnen den „American Dream“ in seiner konkreten sozialen Ausformung ab, beide sind auf der Suche nach einer Alternative zum Imperialimus und Rassismus der US-Gesellschaft.

Die Suche der amerikanischen Jugendlichen und Intellektuellen nach einer anderen Lebensweise und Kultur, nach Alternativen zum Lebensstil in der kapitalistischen Gesellschaft knüpfte an Vorläufer in der amerikanischen Folk-Bewegung an. Das erste Folk-Revival geht auf die Zeit der „Great Depression“, die Weltwirtschaftskrise der 1930er-Jahre zurück. Angezogen von sozialistischen Vorstellungen begaben sich Intellektuelle auf die Suche nach dem „wahren Volk“, das sie vor allem in der dörflichen Community beziehungsweise der Arbeiterbewegung zu finden glaubten. Wie Charles Seeger in seinem „New Grove“-Artikel über die US-amerikanische Volksmusik schreibt, betrachten sich die US-Bürger zwar nicht als ein „Volk“, doch „das Wort ‘folks’ ist amerikanisch wie Maisbrot. ‘Folks’ sind die eigenen Verwandten, die eigenen Freunde, Leute wie man selbst. Leute aus der Oberschicht und Stadtmenschen haben keine ‘folks’ oder kennen keine. Der Gebrauch des Wortes brandmarkt einen als kleinstädtisch, ländlich, gewöhnlich.“

In den 1930er- und 1940er-Jahren sammelten Anthropologen systematisch ländliche Lieder und Balladen sowohl von schwarzen als auch von weißen Sängern und organisierten erst Folk-Music- und Folk-Blues-Konzerte. Woody Guthrie und Pete Seeger, Harvard-Absolvent und Sohn des Musikwissenschaftlers, Komponisten und Ethnomusikologen Charles Seeger, wurden in den 1940er-Jahren zu den wichtigsten Protagonisten des ersten Folk-Revivals.

Pete Seeger solidarisierte sich in den 1960er-Jahren wie viele andere weiße Folk-Musiker mit der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung. So gab er etwa mit seinen Freedom Singers, denen unter anderem die schwarze Gospelsängerin Bernice Johnson Reagon angehörte, Konzerte bei Konferenzen des studentischen Student Non-violent Co-ordinating Committee (SNCC) und beteiligte sich 1963 am Marsch auf Washington.

Während sich die Schwarzen auf ihr afrikanisches Kulturerbe bezogen, ging es den weißen Intellektuellen um die Konstruktion einer kulturellen Alternative, die sie in der ländlichen Kultur und später in der Hippie- und Rockkultur verkörpert sahen. Dabei idealisierten die „Folk“-Vorstellungen der amerikanischen Linken die tatsächlichen kulturellen Gegebenheiten – zumindest in musikalischer Hinsicht. „Vieles von dem, was in Nordamerika als Folk Music bezeichnet wurde“, so Ray Pratt in seinem Buch „Rhythm and Resistance. The Political Use of American Popular Music“, „ist nichts anderes als die populäre Musik der Vergangenheit, die vor zwei Jahrhunderten oder mehr von den britischen Inseln importiert worden ist“. Radio und Schallplatten spielten seit den 20er-Jahren eine weit wichtigere Rolle bei der Entstehung der sogenannten Folk Music, als es die Verfechter der lebendigen, oralen Tradierung authentischer Folk Songs wahrhaben wollten.

Die Konstruktion einer imaginären amerikanischen Folkmusic-Vergangenheit zeigt Parallelen zum generell wachsenden Interesse für die Musik fremder Musikkulturen. Es ist der Mythos der Authentizität, Ursprünglichkeit und Natürlichkeit einer vorindustriellen, dörflichen Gemeinschaft, ausgedrückt in den spontanen Aufführungen einer oral, das heißt unmittelbar tradierten Volksmusik, der den Vorstellungen von westlicher wie nicht-westlicher Volksmusik im Westen zugrunde liegt. Aufgrund dieser Bedürfnisse nach Authentizität, Gemeinschaftlichkeit und kulturellen Alternativen zur westlich-kapitalistischen Gesellschaftsform stellte das weiße Folk-Publikum der 1960er-Jahre einen potenziellen Hörerkreis für die Musik Asiens und Afrikas und ihre Fusionen mit Jazz, später auch mit Rock und Pop dar.

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