Futuristisch gekleidete Inlineskater wischen windig und weich an uns vorüber. Es hat etwas von einem Science-fiction-Film. Die schiere Lautlosigkeit, nur das „Wusch“ der Vorbeischwebenden, ein Gong der Münsterglocke, und dann das zarte Plätschern der kleinen Kanäle, die die Altstadt wie ein ausgeklügeltes aquäduktisches Soundsystem durchkreuzen. Ein klingendes Rauschen, John Cage hätte seine Freude gehabt. Ein sonniger, gleißender Maitag, die Kastanien blühen in Weiß und Rosa, das Leben in unbeschwerten Farben.
Freiburg im Breisgau verwöhnt seine Bewohner mit zwei Sinfonieorchestern Futuristisch gekleidete Inlineskater wischen windig und weich an uns vorüber. Es hat etwas von einem Science-fiction-Film. Die schiere Lautlosigkeit, nur das „Wusch“ der Vorbeischwebenden, ein Gong der Münsterglocke, und dann das zarte Plätschern der kleinen Kanäle, die die Altstadt wie ein ausgeklügeltes aquäduktisches Soundsystem durchkreuzen. Ein klingendes Rauschen, John Cage hätte seine Freude gehabt. Ein sonniger, gleißender Maitag, die Kastanien blühen in Weiß und Rosa, das Leben in unbeschwerten Farben. Deutsche Provinz ist das hier jedenfalls nicht!“ antwortet ein älterer Mann forsch, den wir in der schattigen Rathausgasse der Altstadt nach der musikalischen Szene in Freiburg befragen. Er gehe nach Wien in den Musikverein, in die Tonhalle nach Zürich, selbst in die Berliner Philharmonie und Londons Konzerthäuser. „Freiburg“, so versichert er, „braucht da keinen Vergleich zu scheuen!“ Und fügt an: „Zumindest quantitativ nicht!“ Die Stimmung ist gut. Wen man auch fragt – alle sind zufrieden mit der Freiburger Musikszene. Kein Wunder, das Angebot der Metropole an der Dreisam kann sich sehen lassen. Die Litfasssäulen und Plakatwände, mehrschichtig, farbenfroh und dicht mit lockenden Konzertplakaten tapeziert, dokumentieren auf illustre Weise die Reichhaltigkeit der nahen musikalischen Zukunft und Vergangenheit: Sinfonieorchester, Kammermusikreihen, Alte und Neue Musik, Solistenkonzerte und vieles mehr. Freiburg im Breisgau, eine Stadt mit rund 200.000 und einem Einzugsgebiet von knapp 700.000 Einwohnern, wird von immerhin zwei großen Sinfonieorchestern bespielt. Rechnet man das milchmädchenartig auf entsprechende Einwohnerzahlen hoch, so müsste eine Stadt wie München 12, Hamburg 17 und Berlin sogar 36 große Klangkörper betreiben. Die Zahlen repräsentieren aber nicht nur Dichte. Sie zeugen vor allem vom regen Interesse der Freiburger Zivilbürger.Da ist einmal das Philharmonische Orchester mit seinem neuen Generalmusikdirektor Kwamé Ryan. Es gehört zum Freiburger Theater, agiert folglich auch als Opernorchester. „Ein B-Orchester, aber schon ein außergewöhnliches“, bestätigt uns Elisabeth Schwind, Musikautorin bei der Badischen Zeitung. Auf dem Spielplan finde man hier nicht nur das ausgeleierte Labyrinth der Werke des 18. und 19. Jahrhunderts. Eötvös, Kurtág, Ligeti, Varèse, Britten, Rouse & Co. schaufelten auch Aussichten auf das letzte Jahrhundert frei, wenngleich auf moderate Weise.
Wer es noch offener, zeitgeistiger, qualitativ freilich auch hochrangiger möge, der könne in Freiburg seit einigen Jahren auch das SWR-Sinfonieorchester hören. Kurz vor der Fusion des Süddeutschen Rundfunks mit dem Südwestfunk seien die Musiker unter ihrem damaligen Chef Michael Gielen von Baden-Baden hierher an die Dreisam gezogen. Den Rest kennt man schon aus Donaueschingen: Seit dieser Saison bietet man unter Sylvain Cambreling kühl-musikalische High-Tech-Präzision, unter anderem vonnöten beim Pflichtprogramm der Donaueschinger Musiktage.
Unten, am Konrad-Adenauer-Platz, zeugt die moderne Architektur des neuerbauten Konzerthauskomplexes, der am Bahnhof in Toplage positioniert ist, wie ein städtisches Bekenntnis von der Prävalenz der klingenden Kunst in der südbadischen Metropole. Steht man vor dem gigantischen Bauwerk mit seinen hohen Rundpfeilern und seinen breiten Eingängen, so überkommen einen schiere Großstadtgefühle. Hier konkurrieren die Sinfonieorchester miteinander, und Wettbewerb, so lehren uns die Apostel der freien Marktwirtschaft fortwährend, soll ja angeblich qualitative Wunder wirken.
Welchen Stellenrang die Kultur im Allgemeinen, die Musik aber im Speziellen hat, bemerken wir, als wir die Badische Zeitung durchblättern. Der Kulturteil kommt gleich nach der Politik. Wirtschaft, Sport und Lokales müssen hinten anstehen. Auf den Seiten finden wir auch eine Rezension von Elisabeth Schwind über das Philharmonische Orchester, das Weill und Bartók gespielt hat. Kraftvoll und feurig soll es gewesen sein, die Schwächen liegen auf höherer Ebene: in wenig fehlender Suggestionskraft; meint Frau Schwind.
Wir hängen uns ans Telefon. Acht Prozent, so beteuert Ludwig Krapf, Kulturreferent und rechte Hand des OB, gebe Freiburg für seine Kultur aus. Das macht bei einem Verwaltungsjahreshaushalt von rund 900 Millionen Mark die stolze Summe von immerhin 72 Millionen Deutschen Mark (36,8 Mio. Euro). Nur für Kultur!
Klar, dass das Dreispartenhaus „Freiburger Theater“ und die großen Orchester den Löwenanteil auffressen. Aber es bleibt noch genügend, um anderen Institutionen, die längst über die Grenzen Freiburgs, Baden-Württembergs und sogar Deutschlands berühmt geworden sind, subventionell unter die Arme zu greifen. Dazu gehört sowohl das Freiburger Barockorchester unter seinem Chefdirigenten Gottfried von der Goltz als auch die auf zeitgenössische Musik spezialisierten Ensembles „Aventures“ und „Recherche“, beide mit zahlreichen CDs auch im Musikhandel gefragt.
Abends trinken wir mit Klaus Steffes-Holländer, Pianist des „Ensemble Recherche“, in einem kleinen Restaurant in der Reiterstraße ein Glas Bier. Er erzählt uns ein wenig über die Arbeit und Projekte der klanglich Recherchierenden, die in diesem Sommer ihr fünfzehnjähriges Bestehen feiern. Gerade das „Ensemble Recherche“, 1985 von Cellist Lucas Fels gegründet, hat es ja in letzter Zeit – auch dank der administrativ-abwickelnden Akribie von Koordinator Matthias Schmied – geschafft, zu einer professionell organisierten Institution zu werden, die auf den Neue-Musik-Festivitäten in Zürich, Stuttgart, Berlin, Köln und Witten kaum noch wegzudenken ist. 50.000 Mark bekommen sie mittlerweile aus der Stadtkasse (1999: 30.000 Mark). Und ebensoviel vom Land Baden-Württemberg. Da erscheint es freilich fast zwingend, dass die achtköpfige Musikertruppe auch hier in Freiburg fungiert und unter anderem eine Abonnementreihe mit sieben Konzerten hat, auf der von Anton Webern bis Jörg Birkenkötter so ziemlich alles vertreten ist, was sich im letzten Jahrhundert Rang und Namen erkomponiert hat.
Auf experimentell-elektronischer Ebene, so versichert Elisabeth Schwind, profitiere Freiburg ganz klar von den beiden elektronischen Studios, der Heinrich-Strobel-Stiftung des SWR mit André Richard und der vom Komponisten Mesias Maiguashca geführten elektronischen Tüftelkammer der Freiburger Musikhochschule, in deren Konzertsaal die Reihe „Vorecho“ übrigens auch den Zöglingen der Kompositionslehrer, etwa Matthias Spahlinger, Cornelius Schwehr oder Johannes Schöllhorn, ein Podium bietet. Das „E-Werk/Hallen für Kunst“ ist auch ein Ort, in dem die experimentelle Neue Musik einen festen Platz hat. Die Off-Szene ist ja oft äußerst kreativ. Und außerdem gibt es drüben, auf der anderen Seite der Dreisam im Ortsteil Wiehre, noch einen alten Bahnhof, in dem sich akustische Vorreiter auf die Suche nach Neuland machen.
Auch wenn Sitte, Moral und Gottesglaube unserer Gesellschaft einer verheerenden Agonie ausgesetzt sind, gibt es geistliche Musik wie überall zu Hauf: neben Thomas Hengelbrocks Superästheten, dem berufsmäßigen Balthasar-Neumann-Chor, werden Freiburgs schöne Bethäuser vom Bach-Chor, vom Kammer-Chor und von der Camerata Vocale besungen.
Am Werthmannplatz vor dem Theaterhaus lungern gegen Abend noch ein paar junge Typen mit ihren Mädels auf der Treppe herum und lutschen gelangweilt an einem Eis. Wir fragen sie, wo sie hingehen, wenn sie mal Musik live hören möchten. „Jazz-Haus“, sagt der eine, „da kannst du immer eine gute Band hören, nicht nur Jazz“. Die breitbeinig-legère dasitzende Kleine neben ihm geht aber lieber zum Tanzen ins „Waldsee“, wo DJ Rainer Trüby mit seiner Root-Down-Serie und anderen meist kreativ reproduzierenden Gästen „groovige“ Live-Musik aus der Konserve auflegt.
„Das Millennium hat hier in Freiburg viel kooperative Kräfte freigelegt“, sagt Elisabeth Schwind noch einmal. Gemeint ist beispielsweise „Gezeiten“, ein städtisches Freiburger Kulturprojekt, in dem so verschiedene Einrichtungen wie der Arbeitskreis alternative Kultur (AAK), der Freiburger Bachchor, das Ballett, das Morat-Institut oder der Anton-Webern-Chor kollaborieren.
Wir wollen Freiburg im Breisgau den Rücken kehren. Die Töne der Stadt rumoren noch in unseren Ohren, da sehen wir auf dem Weg zum Auto noch einige Anschläge. Es ist Werbung für die „Zelttour“, die diesen Sommer zum achtzehnten Mal stattfindet, und ein Plakat für die berühmte und edle Albertkonzertreihe, in der Künstler wie die Berliner Philharmoniker unter Abbado oder das Voglerquartett auftreten. Noch immer rauschen junge Menschen auf ihren Rollschuhen halbnackt und bunt an uns vorüber, teils mit Walk-, teils mit Discmen um die Hüften. Bald, so lesen wir auf dem Zeltplakat, kommen Status Quo, Nina Hagen, Georges Moustaki, Klaus Maria Brandauer und viele andere zum Zelt-Musik-Festival. Spätestens jetzt sind wir ganz davon überzeugt, dass Freiburg keinen Vergleich mit wesentlich größeren Städten scheuen muss. Der Tag geht zu Ende. Freiburg unterdessen, seine Geräusche und Experimente, klingen eindrucksvoll weiter.