Der Echo ist geschafft. Die Kreischbande aus Magdeburg hat abgeräumt, der unvermeidliche Bob Geldorf bekam den zehnten Preis für nichts, andere bekamen keinen Preis für viel. Weiden wir unsere Ohren an etwas unformatierter Musik. Vielleicht auch schon die Echoträger des kommenden Jahres.
Keine Chance hat die progressive wie aggressive Reggae/Ska/Dancehall Formation Up, Bustle and Out. Verfuchste Dancebeats aus Jamaika vermischen sich auf „City Breakers/18 Frames Per Second“ mit HipHop, Urbanstyle und lateinamerikanischen Leih- gaben. Sogar Nu-Jazz-Bläserfraktionen lassen sich vernehmen. Gewagtes Spiel. Mehr als tanzbar, deswegen auch hörenswert. Der österreichische Gitarrist Wolfgang Muthspiel kann mit seinem neuen Album „Bright Side“ überraschend offen sein. Leicht und perlig tropfen die Songs von der Muthspiel’schen Qualitätsstufe. Jazz mit allem. Also Pop, Soul und Groove. Ab und an mal unterbrochen von musikalischen Finessen, aber sonst wahre Kunst im Dienste des Hörers. Gelungen. Dealers of Nordic Music – Blueprint #01 lautet der Titel einer spannenden Kompilation vom Label aus dem hohen Norden. Künstler wie Jol, Hird, Cloud oder Nils Krogh sind eventuell bekannt. Vertreten wird von ihnen die hohe Schule der nordischen Loungemusik in einer extrem breiten Jazzflora. Kühl und distanziert zwar. Dennoch mit Charme und Eisschirm. Für exklusive Minuten mit exquisiten Getränken sehr geeignet.
Living Things heißt eine in den Staaten hoch gehandelte Band. Produziert hat „Ahead of the Lions“ Regler-Gott Steve Albini (u.a. Nirvana). Barbarisch roh klingt die Platte, Riffs der Detroit-Szene ergießen sich in Punk- Grunge-Songs, die durchaus mal in Richtung „The Smiths“ stiften gehen, um alsbald wieder zwischen Nirvana oder Screeming Trees zu landen. Höchst beachtlich, weil auch Musik aus politischer Frustration. Wer schon immer von der ungezügelten wie vermeintlich unkoordinierten Kraft der Norweger Kaizers Orchestra angetan war, dem ist die Live-CD „Live At Vega“ (inklusive DVD oder umgekehrt) mehr als ans Herz zu legen. Norwegisch melancholische Rockmusik im Herzen der Fans in Kopenhagen. Ein Angriff aufs „independent“- Herz, der sitzt. Große Gefühle in starker Atmosphäre. Der italienische Singer/Songwriter Paolo Conte versucht sich ebenfalls am Modell der gleichzeitig veröffentlichten DVD/CD. „Live – Arena Di Verona“ ist durchwegs ein emotionaler Genuss. Intensiv pirscht sich Conte Song für Song an den Zuhörer. Wobei er ihn von Anfang an bereits gefangen hat. 24 Songs in 100 Minuten machen dieses Doppelalbum besonders und zeigen einen völlig anderen Songwriter als den ewig gleich gefeierten Prototypen des amerikanischen und deutschen Feuilletons. Norwegen zum Dritten: WE und ihr Album „Smugglers“ sind ein rotzfreches Stück Musik zu Beginn der sonnigen Zeit. Als hätten sie – wie witzig – ihre dreckigen Riffs aus einer anderen Zeit nach Europa geschmuggelt, wird hier losgelegt. Der Gesang klingt nach Rottweiler, das Schlagzeug aus dem Stahlofen importiert und die Gitarren mit einem Schuss Heroin infiziert. Autor, Sänger und Songschreiber Jimmy Buffett bietet ein wahres Monster-Boxset an: zwei CDs mit 31 Songs, eine DVD mit 55 Minuten Länge. Aufgezeichnet während zweier Konzerte im Fenway Park, Boston. Natürlich vor ausverkauftem Haus, das Buffetts Countrysongs enthusiastisch feierte. Ein Klassepaket mit Boogiemusik, Country, Rock’n’Roll und jeder Menge Spaß. In Sydney nahmen The Church ihr wahrscheinlich neunzigstes Album auf. Emphatisch, innig, introvertiert, oft fröstelnd legen sich die Songs um den Hörer. Aber immer wieder mit Refrains wie Hymnen und Aufschreie. An und mit diesem Album von The Church hört man deutlich, wo vermeintlich gefeierte Helden wie Coldplay die Ohren ganz weit aufgesperrt haben. Bei The Church kann man spicken und Unterschleif en masse fabrizieren. Ihre Noblesse und ihre Souveränität wird man nie erreichen.
Es wird wohl das letzte Album sein, mit dem der Feuilleton-Liebling Adam Green so glimpflich davonkommt. Die Streicher hat er hinterm Ofen wieder hervorgekramt, spannender als auf dem Vorgänger „Gemstones“ wurden die Songs allerdings nicht. Jovial und teilweise lax stochert Green zwischen pomadigen Chansons, Pop-gezuckerten Folkablegern und seinen knapp zweiminütigen Geschichten herum. Aber, das muss man fast wahnsinnig hinausbrüllen: Er kann das halt! Die Frage bleibt: Wann kommt der wahre große Wurf von Adam Green. Das Raketenalbum? Wir warten. Scharrend und bibbernd. Man kann ihn kritisieren. Aber seine Musik darf man mögen.
- Up, Bustle and Out – City Breakers /18 Frames Per Second (Collision, 24.3.2006)
- Wolfgang Muthspiel – Bright Side (Material Records, 14.2.2006)
- V.A. – Dealers of Nordic Music – Blueprint #01 (DNM, 29.3.2006)
- Living Things – Ahead of the Lions (SonyBMG, 24.3.2006)
- Kaizers Orchestra – Live At Vega (Universal, 7.4.2006)
- Paolo Conte – Live – Arena Di Verona (Warner, 17.3.2006)
- WE – Smugglers (21.4.2006)
- Jimmy Buffett – Live at Fenway Park (Mailboat Records, 24.3.2006)
- The Church – Uninvited, Like The Clouds (Cooking Vinyl, 14.4.2006)
- Adam Green – Jacket Full Of Danger (Sanctuary, 1.3.2006)