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Der Gong als Stimmverstärker: das Klangobjekt „fausse voix“ von Ute Wassermann. Alle Fotos: Charlotte Oswald
Der Gong als Stimmverstärker: das Klangobjekt „fausse voix“ von Ute Wassermann. Alle Fotos: Charlotte Oswald
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Gelehrte Frauen, klingende Landschaften und eine Tuba

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Die Wittener Tage für neue Kammermusik präsentieren „Les femmes savantes“ und zwanzig Uraufführungen
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Das Zitat aus Molières „Gelehrte Frauen“ von 1762 liest sich amüsant, sogar ein wenig aktuell: „Beweisen wollen wir gewissen Mannspersonen,/ Die uns verachten und auf ihrem Lehrstuhl thronen,/ Daß Wissenschaft den Frauen gleichfalls offensteht,/ Daß man genau wie sie zu Forschungszirkeln geht,/ Die übrigens sogar weit besser funktionieren,/ Da sie, was man gewöhnlich trennt, zusammenführen,/Nämlich den schönen Stil und hohe Wissenschaft.“

Die argentinische Komponistin Ana Maria Rodriguez hat die sen Text für sich entdeckt, der umgehend zum Namen des Berliner Künstlerinnen-Kollektivs „Les femmes savantes“ avancierte. Sie wurden heuer zu den Wittener Tagen für neue Kammermusik eingeladen, und der große Konzertsaal im Haus Witten, in dem hinter Glaswänden die alten Steinmauern der einstigen Burg sichtbar sind, war ausschließlich vier Programmen dieses Künstlerinnen-Kollektivs vorbehalten.

Was Sabine Ercklentz (Trompete), Andrea Neumann (Innenklavier und Mischpult), Ana Maria Rodriguez, Hanna Hartman (Klangkunst) und Ute Wassermann (Performance, Stimme) in wechselnden Formationen präsentierten, entspricht der synästhetischen Vielfalt, die heute das Komponieren im weitesten Sinne beschreibt: Klangkunst, Klangsuche, Stimmvirtuosität, Spielaktionen, visuelle Ausdrucksmittel und Raumdramaturgie fließen zusammen. Ute Wassermanns „fausse voix“ für Stimme und Klanginstrumentarium überträgt Vokalschwingungen mittels eines präparierten Lautsprechers auf einen Gong, der „mit der Stimme zu singen beginnt“. Die Assoziation an das mythologische „Haus der Fama“, in dem sich die Stimmen und Geräusche der Welt bündeln, liegt nahe. Beat Furrer hat dieses Prinzip schon in seiner „Fama“-Oper adaptiert. Hanna Hartmans Performance „Arba Da Karba“ für Objekte erzeugt mit riesigen Nadeln und vielen Dosen eine magische Klanglandschaft, wobei als Pointe aus einer der Dosen eine hohe weiße Dampfwolke entweicht: Etwas Zauberei gehört auch zu dieser Art von Klangkunst.

Was an der Arbeit von „Les femmes savantes“ gefällt, sind die Phantasiefülle, die aus den einzelnen Stücken spricht, das rasche Reagieren der fünf Künstlerinnen aufeinander und eine perfekte Synchronität, etwa in Andrea Neumanns „4 Akteure“ für ebendiese und Zuspielband. Die Klang- und Spiellandschaften der „Femmes savantes“ wirkten wie ein Grundthema der Wittener Kammermusiktage. Harry Vogt als künstlerischer Leiter besitzt eine unerschöpfliche Begabung, immer wieder neue thematische Fragestellungen zu formulieren, um in den stilistisch oft unübersichtlichen Hervorbringungen der Gegenwartskomponisten Tendenzen, Analogien, Reizwerte aufzuspüren. Diesmal knüpfte er an Rainer Maria Rilke an, an dessen Bemerkung von der Musik als „hörbarer, allerdings nicht bewohnbarer Landschaft“ – ein topographisches Motiv, das sich durch das Programm der sechs Konzerte mit rund zwanzig Uraufführungen und einem halben Dutzend deutscher Erstaufführungen wie ein roter Faden zog.

Wenn Iris ter Schiphorst auf dem Hintergrund gegenwärtigen politischen Geschehens ihr Ensemble-Stück „Zerstören“ komponiert, schlägt sich darin auch die seelische Belastung des einzelnen durch die äußeren Katastrophen nieder. „Zerstören“ ist in seinen Klangschichtungen, Erregungssequenzen, psychisch spürbaren Vibrationen und Geräuschattacken eine Reaktion auf die Realität – eine Art komponierter Notwehr. Fast idyllisch geht es danach in Richard Rijnvos’ „mappamondo“ für Stimme, Tuba und Ensemble zu: komponierte Reflexion auf den venezianischen Kartographen Fra Mauro, der um 1450 in seiner Mönchszelle auf der Insel San Michele seine berühmte Weltkarte entwarf, allein aus den Berichten von Seefahrern und Handlungsreisenden, die ihn in seiner Zelle aufsuchten. Ein reisender Musiker, ein Tubaspieler, findet sich auch unter den Informanten. Und mit der Tuba vollzieht der Komponist zuletzt den Sprung in unsere Zeit, zu Luigi Nono. Topographisches ließe sich notfalls auch aus dem Schriftbild einer Partitur ableiten, oft genügt schon die Feststellung, dass ein Stück gut komponiert ist und interessante Perspektiven eröffnet, wie etwa Rolf Riehms „aprikosenbäume gibt es...“ auf einen Text der dänischen Dichterin Inger Christensen. Sie sprach ihren Text mit weicher, schmeichelnder Stimme selbst in Riehms komponierte Öffnungen hinein.

Zu dem Sprachklang tritt als zweite Rezitation eine Kontrabassklarinette hinzu, hervorragend gespielt von Theo Nabicht, wodurch die Musik besondere Plastizität erhält. Einen ähnlich starken Eindruck hinterließ ein neues Werk der Argentinierin Maria Cecilia Villanueva: „Cuatro esquinas“ für Klavier zu vier Händen. Innerhalb der „vier Ecken“, die einen historischen städtebaulichen Grundriss von Buenos Aires assoziieren, drängt die Komponistin mit mehrfachen Anspielungen (darunter auch Wagners „Parsifal“) ihr Material sehr dicht zusammen: ein konzentriertes Stück von großer innerer Spannung. In die Klanglandschaft der Kammermusik ist in diesem Jahr mit überraschender Energie das Streichquartett zurückgekehrt. Mit neuen Werken von Jonathan Harvey, Peter Ruzicka, Brian Ferneyhough und Stefano Gervasoni präsentierte sich zugleich das Arditti String u u Quartet in teils neuer Besetzung. Neben dem unverändert jungen Primarius Irvine Arditti spielen jetzt der Cellist Lucas Fels und Ashot Sarkissjan (zweite Violine) sowie der Bratscher Ralf Ehlers.

Harvey erweitert in seinem Quartett Nr. 4 mittels Live-Elektronik den Klang der Instrumente um eine faszinierende räumliche Dimension, die eine eigene Phantastik gewinnt. Ruzickas Streichquartett Nr. 5 mit dem Titel „Sturz“ assoziiert Bewusstseinsverschiebungen, die sich während eines langen Flugs des Komponisten einstellten. Klingend reflektiert wird ein Ausschnitt davon – davor und danach exekutieren die Musiker ein tonloses Spiel. An Ferneyhoughs String Quartet Nr. 5 beeindruckt vor allem die Verdichtung des Materials, die eine entsprechende Innenspannung evoziert.

Schweizerische Färbung brachten Michel Roth, Annette Schmucki und Mischa Käser mit ihren Vokalkompositionen in das Programm. Käsers Präludien 1 bis 8 für sechs Stimmen bieten ein Kompendium von Stimmklangfarben. Annette Schmucki punktiert gleichsam Textpartikel von Oskar Pastior mit Klangmaterialien, Michel Roth demonstriert, dass man auch Reisenotizen in Klang übertragen kann.

Das ensemble recherche, das neben dem ensemble ascolta, dem ensemble resonanz und dem Asko-Ensemble Garant für das hohe interpretatorische Niveau der Konzerte sorgte, brachte neben Wolfgang Rihms Ensemblestück „Blick auf Kolchis“ als Uraufführungen Mathias Spahlingers Sextett „fugitive beauté“ (nach einem Gedicht Baudelaires) und Hans Abrahamsens „Schnee“ zu Gehör.

Spahlinger führt das dreigeteilte Sextett (Oboe/Flöte und Violine/Bassklarinette, Viola und Cello) in einer komplexen Zeit- und Tempostruktur zu raffinierter Korrespondenz mit dem Baudelaire-Text.

In seinen zwei Kanons für Klavierquartett oder Ensemble verrät Abrahamsen ein subtiles Empfinden für differenzierte Klangauffaltungen. In Witten war Rilkes „hörbare Landschaft“ sehr wohl bewohnbar. Die Tage neuer Kammermusik sind unverändert quicklebendig.

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