Wenn Sie in Korea in irgendeinen kleinen CD-Shop gehen (es gibt dort kaum größere) und traditionelle Musik verlangen, echte alte koreanische Musik, dann kann es geschehen, dass man Ihnen ein Vierer-Set mit „Korean Lyric Songs“ zeigt, und gar nicht so teuer. Sie fragen nach, Sie kennen sich aus, können aber leider gar nicht lesen, was auf dem Cover geschrieben steht: Richtig alte Musik? Gagok? Shijo? Kasa? – Die alten koreanischen Liedgattungen? Der Verkäufer bestätigt nachdrücklich, nennt sogar die Namen der Begleitinstrumente: die Wölbbrettzithern Kayagum und Komun’go mit ihrem dumpfen Klang, die summende Flöte Taegum mit dem über ein zusätzliches Loch gelegten Bambusblatt, die schnarrende Bambusoboe Piri und so weiter, und Sie greifen zu. Elf Flugstunden später legen Sie diese CDs in Ihren Player, und heraus kommt: ein reichlich Brahms’sches Orchesterlied, sehr getragen, mit Geigenschmalz und Oboentränen. Allerdings in Koreanisch. Das nächste Lied ist ebenso getragen, aber es schimmert ein puccinesker Einfluss durch – das Modernste, das Sie in Ihrer Sammlung finden, mag eine getragene Chinoiserie sein, wie Ravel sie hätte schreiben können.
Wenn Sie in Korea in irgendeinen kleinen CD-Shop gehen (es gibt dort kaum größere) und traditionelle Musik verlangen, echte alte koreanische Musik, dann kann es geschehen, dass man Ihnen ein Vierer-Set mit „Korean Lyric Songs“ zeigt, und gar nicht so teuer. Sie fragen nach, Sie kennen sich aus, können aber leider gar nicht lesen, was auf dem Cover geschrieben steht: Richtig alte Musik? Gagok? Shijo? Kasa? – Die alten koreanischen Liedgattungen? Der Verkäufer bestätigt nachdrücklich, nennt sogar die Namen der Begleitinstrumente: die Wölbbrettzithern Kayagum und Komun’go mit ihrem dumpfen Klang, die summende Flöte Taegum mit dem über ein zusätzliches Loch gelegten Bambusblatt, die schnarrende Bambusoboe Piri und so weiter, und Sie greifen zu. Elf Flugstunden später legen Sie diese CDs in Ihren Player, und heraus kommt: ein reichlich Brahms’sches Orchesterlied, sehr getragen, mit Geigenschmalz und Oboentränen. Allerdings in Koreanisch. Das nächste Lied ist ebenso getragen, aber es schimmert ein puccinesker Einfluss durch – das Modernste, das Sie in Ihrer Sammlung finden, mag eine getragene Chinoiserie sein, wie Ravel sie hätte schreiben können.Natürlich sind Sie enttäuscht. Doch dies ist die heute immer noch recht beliebte Musik aus der Zeit der ersten Adaption westlicher Musikkultur in Korea bis hinein in die 50er-Jahre des 20. Jahrhunderts. Das erscheint auf den ersten Blick als Reduktion: Was die Koreaner an der westlichen Klassik als erstes schätzten, der „schöne Klang“, ist hier verbunden mit einigen äußerlichen formalen Eigenschaften der alten Liedkunst. Künstlerisch befriedigend ist das freilich nicht.Korea hat sich, anders als Japan, nicht früh und nicht gerne westlichen Einflüssen geöffnet. In der kriegsstrategisch wichtigen Lage der Halbinsel zwischen Japan und China hatte das koreanische Volk in seiner Zurückgezogenheit im „Land der Morgenstille“ über Jahrhunderte immer wieder gegen die Invasionsabsichten der Japaner zu kämpfen. Die Besetzung Koreas durch Japan von 1910 bis 1945 stellte den brutalen Höhepunkt dar.
In dieser Zeit war die Pflege der koreanischen Kultur streng verboten. Die japanische Besatzung führte auch das Ende der Yi-Dynastie herbei und damit eines feudalen konfuzianisch geprägten Staatswesens mit seiner hierarchisch gestaffelten, aber in sich konsistenten Kultur. Musik hatte repräsentative, rituelle, philosophische und geistliche (buddhistisch oder schamanistisch) Verpflichtungen. Die stilistisch verwandte Musik des Bürgertums, zum Beispiel die meist solistisch mit leiser Trommel begleiteten Sanjos, konnte in seiner Bedeutung mit „unserer“ bürgerlichen Musik seit der Klassik nicht mithalten.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der Besatzung lag diese Kultur darnieder. Nur langsam wurde sie als bedeutendes Kulturerbe entdeckt und vom Staat gefördert. Ihren alten gesellschaftskonstituierenden Rang aber erhielt sie nie wieder. Als kultureller Hintergrund und als Basis des Klangempfindens jedoch ist sie allen Musikschaffenden Koreas präsent.
Für die Neue Musik Koreas ist die Entwicklung des Komponisten Isang Yun geradezu paradigmatisch. Noch in den 50er-Jahren hatte auch er jene rührselige West-Musik geschrieben. Sein Streichquartett, für das er den Seouler Kunstpreis 1955 erhielt, weist einen gewissen asiatischen Einschlag auf, der ihn bereits als koreanischen Bartók – nur eben 40 Jahre verspätet – auszeichnete. Mit dem Preisgeld konnte er es sich leisten, ein Studium in Paris und Berlin zu beginnen. Er war damals bereits 39 Jahre alt.
In der alten Musik Koreas treten Melodik und vor allem Harmonik hinter eine vielschichtige Tongestaltung zurück. Mit seiner Hauptklangtechnik, die direkt Bezug auf den rauhen Klang, das melismatische Vibrato und die sich der Zeit enthebenden Schwebungen nimmt, hat Yun als erster die westliche Komposition koreanisiert und eine Musik geschaffen, die aus der wahren Fülle seiner musikalischen Erfahrungen und Imagination erwuchs. In „Reák“ (1966) für Orchester zum Beispiel lassen sich alle Klanggestalten direkt auf Elemente der verschiedenen Formen der altkoreanischen Hofmusik und die Behandlung ihrer Instrumente zurückführen. Gleichwohl klingt das Werk, abgesehen vom Einsatz von Signalinstrumenten wie Peitsche und Klapper, wie die hochexpressive Musik der Zeit, besonders, wenn es von nicht unbedingt mit der koreanischen Musik vertrauten westlichen Orchestern gespielt wird. (siehe Aekyung Choi: Reák (1966), eine Analyse, in: Ssi-ol. Almanach 2000/01 der Internationalen Isang Yun Gesellschaft e.V., Berlin 2002, S. 101 ff.). Ermutigt fühlte Yun sich damals, um 1960 herum, von den „Klangkompositionen“ Ligetis und Pendereckis einerseits, sowie von Messiaens und Boulez’ Interesse an außereuropäischen Klängen und Rhythmen. Yun glaubte, die Zeit wäre reif für die Emanzipation nationaler Traditionen in einer anerkanntermaßen eurozentrierten und globalisierten Musikkultur.
Während Yun, der aus politischen Gründen nicht nach Südkorea zurückkehren konnte, selber die dort übliche stilistische Nachahmung als Lehrmethode strikt ablehnte und immer die eigene Kreativität seiner Studenten zu entdecken half, machten es sich Sukhi Kang und andere im starren Universitätssystem Koreas bequem und begründeten „Schulen“ von Komponisten. Das war für die Weitergabe von Kenntnissen in der traditionellen Musik vernünftig, wohl kaum aber für eine auf Fortschritt und Individualität angelegte Musik. Der moderne koreanische Komponist schien sich so zu fühlen wie der antike Hofmusiker: Er musste eine korrekte Musik abliefern, und dazu gehörte eben auch die meisterliche Einfügung koreanischer Stilelemente.
Jedoch hat sich in den letzten Jahren, nachdem die Ableger des Yun’schen Modells erlahmt sind und eine neue, international ausgebildete Generation hervorgetreten ist, die innerkoreanische Diskussion belebt. Die wird durchaus heftig betrieben. Von totaler Ablehnung traditioneller Stilelemente über das Komponieren avantgardistischer Musik für alte Instrumente bis zur Übertragung alter Musik aufs westliche Orchester geht das Spektrum. Man erregt sich über die Unkenntnis und das Desinteresse der ausschließlich westlich geschulten Interpreten an der alten Musik, weil sie nicht in der Lage sind, sich im Labyrinth der Klangvorstellungen der Komponisten zurechtzufinden. Dies ist auch das Hauptproblem bei der Verbreitung dieser Musik in die westliche Welt, und es wäre eine Herausforderung, der sich die hiesigen Orchester und Veranstalter noch längst nicht gestellt haben. Die Starrheit des koreanischen Neue-Musik-Lebens in Korea selbst ist dabei, sich zu lockern.
Abseits dieser Diskussionen aber tauchen Werke auf, wie von den Komponistinnen Yunkyung Lee und Mi-young Han, in denen ohne bekenntnishafte Systematik, als ganz naturhaftes Musiziergefühl, Komplexität, Klänge und Formen des alten Erbes aufleben, nicht mehr als musiksprachlicher Gegensatz, sondern als Faden im Gewebe. Und erst hier wird an den von Isang Yun einst gesetzten, aber in Korea selbst bislang unerreichten Maßstab angeknüpft.
Während in Korea die musikalische Vergangenheit meistens an der klanglichen Oberfläche zu finden ist, verbirgt sich in der japanischen neuen Musik das alte Japan im Akt des Komponierens. Eine gelungene Kadenz – die Japaner, deren eigene Musik keine Harmonik kennt, lieben Kadenzen – hat die Bedeutung einer klanglichen Kalligrafie. Eine Schwebung ist eine zen-buddhistische Konzentrationsübung, nicht ein harmonisches Experiment.
Sie haben die Invasion der westlichen Musikkultur mit einem erstaunlichen Judo-Griff in eine Assimilation ihrerseits verkehrt. Nationale Identität in der Musik ist hier keine Frage des Kampfes mehr, sondern die Gewissheit eines ruhigen Lächelns.
Noch glücklicher in den westlichen Musikgefilden aber segelt derzeit China mit eigenem Wind. Tan Dun und Bright Sheng sind internationale Kompositionsstars. Ihre Musik ist die sinfonische Version der stark illustrativen chinesischen Klassik, die mit ihrer anmutigen Melodik und dem hellen Klang ihrer Instrumente, aber auch mit ihrem martialischen Getöse ohnehin keinen so übergroßen Abstand zum Westen hatte. Dabei ist die Volksrepublik China noch lange nicht so infiltriert vom westlichen Kulturleben wie Japan und Korea.
Der Staat hält die traditionelle Musik, aus welchen propagandistischen oder nationalistischen Gründen auch immer, im Bewusstsein, und unvermittelt zeigt sich ihre Globalisierbarkeit – China, das Reich der neuen musikalischen Mitte?