Was ist der Unterschied zwischen einer Oper Georg Friedrich Händels und einer von Helmut Lachenmann? Die Oper Lachenmanns ist urheberrechtlich geschützt, Händels Oper hingegen nicht mehr. Könnte man meinen; immerhin ist der Altmeister des Barock seit fast 250 Jahren tot. Wird aber die Händel-Oper neu editiert, unterliegt sie von da an – genau wie die Oper Lachenmanns – dem Urheberschutz. Gleiches gilt für Ergänzungen, die von zeitgenössischen Komponisten in ein bestehendes musikdramatisches Werk eingefügt werden, sei es weil das Werk vom ursprünglichen Komponisten nicht vollendet wurde oder weil Teile der Komposition verloren gingen. Die Urheberrechte am gesamten Werk leben mit einer Bearbeitung oder Vervollständigung von neuem auf.
Kommt es nun zur Aufführung einer neu bearbeiteten Oper, liegt die Rechteverwaltung bei dem Verlag, der sie in sein Verlagsprogramm aufgenommen hat. Er kann sich auf das so genannte „große Recht“ berufen und dieses an der bühnenmäßigen Aufführung wahrnehmen. So sind Bearbeitungen oder kritische Neuausgaben musikdramatischer Werke (Oper, Operette, Musical), deren editorischer Wert oft sinnvoll ist und hier nicht in Abrede gestellt werden soll, für Verlage hochwillkommen und zudem ein lohnenswertes Geschäft. Vom marktwirtschaftlichen Standpunkt her ist es verständlich, wenn Musikverlage ihr Tafelsilber alle 70 Jahre bearbeiten und es somit vergolden lassen.
Für Rundfunkanstalten, die die Absicht haben ein solches Werk auszustrahlen, bedeutet das allerdings einen noch tieferen Griff in den gebührenfinanzierten Topf der Kulturwellen, die sich bekanntermaßen den Sparzwängen der Anstalten unterzuordnen haben und deren Budget von Jahr zu Jahr schmaler ausfällt. Senderechte für Werke im Rahmen des „großen Rechts“ müssen von ihnen teuer erkauft werden. Grundlage für die erforderlichen Senderechtsverträge bilden die Regelsammlungen „Bühnenverlage – Rundfunk“ und „Musikverlage – Rundfunk“ aus den 60er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Das „große Recht“ bei kritischen Neuausgaben ist übrigens kein europäischer Standard, sondern gilt nur in Deutschland.
Was schreibt die Regelsammlung vor? Eine Rundfunkanstalt hat zum Beispiel für jede Ausstrahlung einer neu bearbeiteten Oper nicht nur die obligatorischen Sendeentgelte (Materialentschädigung für Leihmaterial) zu zahlen, sondern auch noch die Kosten für den Erwerb des so genannten „großen Rechts“ zu tragen. Wird die Aufführung darüber hinaus als Uraufführung deklariert, ist ein Zuschlag von 100 Prozent für die Erstsendung fällig. Auch kooperierende Sendeanstalten müssen die Ausstrahlung abgelten und es gelingt nur bedingt bei einer Kooperation von mindesten drei Anstalten, dezimierte Sätze zu kommunizieren. Die Vorgaben der Regelsammlung sind in den Rundfunkanstalten inzwischen Programm prägend geworden. Auch ist zu beobachten, dass den in der European Broadcast Union (EBU) vereinigten Rundfunkanstalten oft nur Mitschnitte angeboten werden, die nicht der Regelsammlung unterliegen.
Die jährlich um zirka zwei Prozent steigende Höhe der Sendeentgelte ist von der Größe des Sendegebietes der jeweiligen Anstalt abhängig und in einem Von-Bis-Bereich verhandelbar. Kommen alle Komponenten zusammen, kann der Erwerb eines Senderechtes für ein musikdramatisches Werk durch eine Rundfunkanstalt wie zum Beispiel der NDR, WDR oder DeutschlandRadio schnell eine Summe erreichen, die dem Neupreis eines Kleinwagens entspricht. Viele Verlage sind unterdessen verhandlungsbereit und verzichten auf einen Teil der Zuschläge, die ihnen laut Regelsammlung tatsächlich zustehen.
Beharren allerdings Verlage auf den vollen Betrag laut bestehender Regelsammlung, sind die Kulturwellen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks oft nicht mehr bereit und in der Lage, für die Sendung eines „alten“ Werkes die gleichen Sendeentgelte wie für die Übertragung einer Oper eines zeitgenössischen Komponisten zu zahlen. Das ohnehin budgetierte Geld wird dann lieber einem noch lebenden Komponisten zugedacht. Einige Komponisten denken und handeln bereits im Sinne der Werkverbreitung und bieten ihre Stücke den Sendeanstalten an, bevor sie diese an den Verlag geben. Man einigt sich dann auf eine überschaubare Summe und unterliegt keinem Regelzwang.
Eine zeitgemäße Lösung des Problems wäre eine Regelung zwischen Verlagen und Rundfunkanstalten, die auf eine Pauschale hinausläuft. Solch eine Abmachung würde im Klartext bedeuten, dass mehr materialpflichtiges Repertoire zur Ausstrahlung und in den Programmaustausch käme. Die Verlage würden davon profitieren, denn die von ihnen vertretenen Bearbeiter und Komponisten kämen medial viel mehr zum Zuge.
Veranstalter und Rundfunkanstalten sehen Handlungsbedarf und die Zeit für gekommen, sich mit den Verlagen an einen Tisch zu setzen, um die überholte Regelsammlung neu zu definieren. Die Nachteile einer nicht zustande kommenden Sendung wären Argument genug und müssten alle Beteiligten überzeugen: den Veranstaltern geht ein erheblicher Teil an Popularität verloren, wenn kostenaufwändige Musiktheaterproduktionen nicht medial verbreitet werden; die Rundfunkanstalten müssen sich nachsagen lassen, ihrem Kultur- und Bildungsauftrag nicht gerecht zu werden; nicht zuletzt geht den Verlagen selbst angesichts ihrer Eigenwilligkeit eine erhebliche Einnahme verloren. Wenn Verlage, Veranstalter und Rundfunkanstalten einen Schritt aufeinander zugingen, wäre allen geholfen.