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Händel-Erinnerung

Untertitel
Sven-David Sandström: Messiah, Festivalensemble Stuttgart; Helmuth Rilling
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Sven-David Sandström: Messiah. Robin Johannsen (Sopran), Roxana Constantinescu (Alt), Timothy Fallon (Tenor), Michael Nagy (Bariton); Festivalensemble Stuttgart; Helmuth Rilling. Carus 83.453


Der Messtext, zumal in der Ausprägung des Requiems, ist als Kompositionsvorlage stilistisch zeitenübergreifend genutzt worden. So sollte auch die erneute Musikalisierung von Charles Jennens’ Libretto für Händels Messiah, dessen heute populärstes Oratorium von 1741, nicht überraschen. Besser wäre zu fragen, warum diese Idee nicht schon früher realisiert worden ist. Die Verwendung nicht nur eines Stoffes, sondern auch eines bestimmten Librettos durch mehrere Komponisten, ist musikgeschichtlich belegt. Diese Verfahrensweise war im 18. Jahrhundert, der Epoche Metastasios, gang und gäbe. Sven-David Sandströms Version des Messiah von 2008 entbehrt deshalb jedes Überraschungseffektes. (Sandström hat übrigens auch die den Bachschen Motetten zugrundeliegenden Texte als Grundlage für Eigenkomponiertes genutzt.) Interessanter ist die Frage, wie der traditionsbeschwerte Text seine Arbeit bestimmt hat und ob diese den Schatten des monumentalen Händel-Opus auflösen konnte.

Sandström, Jahrgang 1942, Kompositionsschüler Ingvar Lidholms und Professor an der Indiana University im US-amerikanischen Bloomington, hat händelsche Kernprägungen des Messiah als Basis übernommen: die Werkanlage in drei Blöcken und Jennens’ originalen Textablauf. Nach eigenem Ermessen hat er dagegen die Texte seinem Ensemble, wie bei Händel aus vier Solisten und Chor mit Orchester bestehend, zugeordnet. Beispiele: das „Halleluja“ bleibt chorisches Zentralstück, die furiose Heiden-Arie, bei Händel für Solobass gesetzt, geht auf den Chor über, die Alt-Arie „He was despised“ wechselt zum Bariton. Wie bei Händel hat bei Sandström durchgehende Textverständlichkeit zwanghaft Vorrang, denn der intelligible Nachvollzug des geistlichen, von der Musik plausibel gestützten Werkcharakters bleibt primäres Anliegen. Musikalische Plausibilität heißt für Sandström: Verzicht auf unbedingte Avanciertheit des kompositorischen Materials. Aus dieser Ausgangsposition heraus auf Sandströms Ästhetik rückschließen zu wollen, indem man Klangausdruck und kompositorische Haltung als plakativ abqualifiziert, übersieht besonders für diesen literarischen Fall die spezielle Aufgabenstellung seiner Musik. Anachronismus-Vorwürfe überzeugen deshalb nicht. Die Auswahl seiner Mittel erfolgt bei aller Traditionalismus-Neigung modernismusfern, dabei jedoch betont differenziert. Unüberhörbar ist, dass es Sandström um eine ideell-klare Wahrhaftigkeit gehen musste und gegangen ist. Die Werkwiedergabe wird bestimmt durch das dezidierte Engagement Helmuth Rillings, dem das Oratorium gewidmet ist. Die eindrucksvolle Komposition, im Auftrag des Oregon Bach Festivals mit der Internationalen Bachakademie Stuttgart entstanden, erklingt als Mitschnitt der deutschen Erstaufführung in Stuttgart von 2009. Das Rilling-Ensemble wird ihm mit höchster Intensität gerecht.

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