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Moritz Eggert (li., Foto: Juan Martin Koch) und Gordon Kampe. Foto: privat
Moritz Eggert (li., Foto: Juan Martin Koch) und Gordon Kampe. Foto: privat
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„Hecken wir was aus!“

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Theo Geißler im Gespräch mit den Präsidenten Moritz Eggert (DKV) und Gordon Kampe (GNM)
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Zwei Personalia konnte die neue musikzeitung in jüngster Zeit vermelden: Beim Deutschen Komponistenverband löste Moritz Eggert seinen langjährigen Vorgänger Enjott Schneider im Amt des Präsidenten ab. Bei der Gesellschaft für Neue Musik folgte Gordon Kampe auf die neun Jahre amtierende Präsidentin Julia Cloot. Beide Komponisten sind auch als Autoren mit der nmz verknüpft. Moritz Eggert als Autor der Kolumne „Absolute Beginners“ und als verantwortlicher Redakteur des Bad Blog of Musick. In der bewährten Rubrik „Cluster“ spießt Gordon Kampe in seinen aphoristisch gehaltenen Glossen Themen aus der Musikwelt auf. nmz-Herausgeber Theo Geißler traf sich mit beiden Präsidenten in einer ZOOM-Konferenz und führte mit ihnen das folgende Gespräch.

neue musikzeitung: Es ist erstaunlich: Zwei frisch gebackene Präsidenten sitzen mir gegenüber. Gordon Kampe für die Gesellschaft für Neue Musik (GNM) und Moritz Eggert für den Deutschen Komponistenverband (DKV). Das Erstaunlichste ist, dass es Männer sind, weil man in diesen emanzipatorisch hochkultivierten Zeiten so eine wichtige Position nur noch als Frau kriegt. Dennoch herzlichen Glückwunsch an beide und an beide die Frage: Was hat euch dazu bewogen, dieses jeweils verantwortungsbeladene Amt zu übernehmen?

Gordon Kampe: Vor mir war Julia Cloot neun Jahre lang Präsidentin und insofern ist es aus emanzipatorischen Gründen jetzt vielleicht nicht so dramatisch, dass ich „nur“ ein Mann bin. Der neu gewählte Vorstand ist übrigens paritätisch besetzt: mit Ruth Velten und Nicolette Schäfer und dann ist noch Mathias Lehmann als weiterer Mann dabei. Was mich bewogen hat: Seit Jahren interessiere ich mich für kultur- und musikpolitische Themen, auch jenseits von konkreten Stoffen für den Komponisten Kampe. Da ich seit dreieinhalb Jahren in einer veränderten Lebenssituation bin, mit fester Stelle an der Hamburger Musikhochschule, treffen das Interesse des Sich-engagieren-wollens und die Möglichkeit des Sich-engagierens hier zusammen.

Moritz Eggert: Zum Thema Gleichberechtigung: Beim DKV wurden vorher vor mir natürlich zuerst Frauen angefragt, ob sie das Amt bekleiden wollen. Es wäre auch nach wie vor ein positives Signal für den DKV, wenn endlich mal eine Frau Präsidentin wäre, ich würde das auch sehr begrüßen. Ich war schon mit 18 Mitglied des DKV, weil mir meine ersten kompositorischen Mentoren vom DKV erzählten und mir zu einer Mitgliedschaft rieten. Ich war auch von 2004 bis 2007 schon einmal im Vorstand, zog mich dann aber zurück, um mich mehr um meine damals kleinen Kinder kümmern zu können. Nach diesem langen „Sabbatical“ im DKV habe ich das Präsidentenamt angenommen, weil ich dachte, es sei an der Zeit, auch etwas zurückzugeben von dem, was mir frühere Kollegen gegeben haben. Gerade jetzt in der Corona-Zeit kann man hier Verantwortung übernehmen und Dinge in Gang setzen.

Wo sind die Jüngeren?

nmz: Ihr seid beide Professoren der Komposition an Musikhochschulen, Gordon Kampe in Hamburg, Moritz Eggert in München. Ich habe den Eindruck, dass jüngere Menschen sich immer weniger in Verbänden engagieren. Ist das auch eure Beobachtung?

Kampe: Als ich nach Hamburg an die Hochschule kam, habe ich bemerkt, dass fast keiner der Studierenden dort Mitglied der GEMA war. Da haben wir im Kolloquium erst einmal alle „GEMA-Unterlagen ausfüllen“ geübt. Ich dachte mir, handwerkliche Details erörtern ist wichtig und ganz prima, aber vielleicht sollte man gelegentlich auch mal schauen, wie das mit der GEMA geht, wie man einen Drittmittelantrag ausfüllt, was es eigentlich für Verbände gibt, wie und wovon man eigentlich als Komponist*in leben kann. Also so dieses ganz normale Hands-on: wir müssen auch irgendwie nach der Oboen-Multiphonic-Diskussion Miete zahlen.

Eggert: Das was Gordon beschreibt, kenne ich auch sehr gut. Allerdings kenne ich es auch umgekehrt: Fragen zur Existenzsicherung „Wie baue ich eine Karriere auf?“, „Wie kann ich als Komponist*in leben?“ höre ich eher zu häufig. Da sage ich gerne „OK, lasst uns mal wieder über Mikrotonalität reden“. Ich habe Kompositionsstudenten und -studentinnen, die plötzlich Musik für Show-Reels und angewandte Sachen machen und mir das dann im Kompositionsunterricht zeigen. Die sind ganz verzweifelt, weil sie meinen, sie müssten das auch können, um zu überleben. Um sich ein bisschen zu strukturieren spielen in der Zukunft Verbände und Networking eine größere Rolle als bisher. Die jetzige Generation ist insgesamt offener dafür und erkennt, dass sie das auch braucht, um in diesem Beruf zu überleben.

nmz: Dieser Beruf lebt sehr stark auch davon, dass die Komponistinnen und Komponisten aufgeführt und gespielt werden. Ist der Rundfunk noch eine wichtige Distributionsmöglichkeit oder ist das Netz inzwischen wichtiger?

Kampe: Als Verbände haben wir vielleicht recht wenig direkte Einflussmöglichkeiten, sondern nur die Möglichkeit, verbal zu argumentieren. Noch bevor ich im Vorstand war, gab es einen Appell, dass die Rundfunkanstalten in Corona-Zeiten, wo große Einnahmeverluste hinzunehmen waren, einfach mehr Neue Musik spielen sollen. Dieser Appell in Form eines Rundbriefes wurde von vielen Anstalten auch positiv beantwortet. So kann vielleicht ein Verband auch auf etwas hinwirken. Etwas anderes ist das Netzwerken: Die meisten Redakteurinnen und Redakteure der neuen Musik sind auch Mitglied in der GNM, das heißt man ist sozusagen in einem Boot. Die GNM ist kein Berufsdachverband, wo sich nur die Berufsgruppe der Komponistinnen und Komponisten trifft, sondern eher ein etwas loserer Haufen, bei dem es um den Begriff von Neuer Musik im weiteren Sinne geht. Bei uns finden sich neben den Komponisten auch Journalisten, Redakteure, Kuratoren und Ensembles wieder.

Auslaufmodelle?

nmz: Redakteurinnen und Redakteure haben oft ein sehr ausgeprägtes, subjektives Empfinden dafür, was dann gesendet werden soll und was Qualität hat. Ist das überhaupt noch zeitgemäß, dass einzelne Persönlichkeiten dank ihrer Geschmacksknospenausprägung an wichtiger Stelle derartig entscheiden, oder ist das ein Auslaufmodell?

Eggert: Es ist ganz wichtig – das gilt übrigens für alle Verbände, auch für die Posten von Gordon und mir – zu verstehen, dass man nicht ewig auf Posten herumhocken sollte. Was die Frage zum Verband angeht: In der Bündelung von Interessen kann man einfach anders auftreten vor der Politik und das wird glaube ich in den kommenden Jahren sehr wichtig werden. Wir hatten gerade im DKV jetzt durchaus erfolgreiche Initiativen z.B. in Baden-Württemberg, bei denen im Radio in Corona-Zeiten Kolleginnen und Kollegen aus der hiesigen Szene mehr gesendet wurden – ein kleines, aber wichtiges Signal in Coronazeiten.

nmz: Gerade im Bereich des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wird immer stärker an Kohle und Quote gedacht. Für die neue Musik und die Kultur ist das natürlich verheerend, weil es kulturelle Innovation vernichtet. Abgesehen vom vorstellig werden, habt ihr an der Stelle noch andere medien- und kulturpolitische Hebel?

Eggert: Wir sehen das in unserer Runde sicherlich alle drei ähnlich: Beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen und dem Rundfunk geht im Moment unheimlich viel verloren und Vieles ist gefährdet. Zu jammern und zu sagen, sendet bitte mehr Neue Musik, das wird glaube ich auf Dauer nicht erfolgreich sein. Wir müssen auch an Ersatzwege denken zu den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, weil wir uns auf die nicht hundertprozentig verlassen können in der im Moment sehr unsicheren Situation. Denn wir sehen, die politische Situation ist durchaus heikel, etwa was den Rundfunkbeitrag oder Sparmaßnahmen angeht. Was mir da immer wieder vorschwebt ist, dass man versucht, so etwas wie ein Netflix für zeitgenössische Musik zu kreieren, also eine Art unabhängige Streamingplattform. Als gelungenes Beispiel aus dem Bereich Film würde mir MUBI einfallen, wo man ausschließlich hochwertige Filmkunst abseits des Kommerziellen finden kann. Wir könnten auch mal über Modelle nachdenken, wie spezielle Ensembles oder sogar Orchester fürs Internet, fürs Streaming produzieren können, und wo die Komponisten, Komponistinnen und auch die Interpretinnen ihre Rechte behalten. Mit ihrer Plattform Music Hub denkt die GEMA inzwischen auch darüber nach, den Giganten, die uns mit kommerziellem Mainstream zukleistern, etwas entgegenzusetzen. Es geht dabei weniger um den großen kommerziellen Erfolg, als darum, dass wir Qualität und auch die Verbreitungsmöglichkeiten dafür bewahren. Das sind Themen, die im DKV auf jeden Fall auch diskutiert werden und ich denke bei euch in der GNM auch.

Kampe: Bei allem, wo es die Möglichkeit gibt, auch neue Wege zu gehen, bin ich sofort dabei. Das kann ich nur unterschreiben, was Moritz gesagt hat. Ich will dennoch die guten alten Rundfunkanstalten nicht so einfach aus der Verantwortung lassen, ihren Bildungsauftrag ernst- und wahrzunehmen. Was nicht heißt, dass man nicht, so wie Moritz es beschreibt, sich andere Wege aktiv erschließen muss. Während des ersten Lockdowns waren es plötzlich viele, die es sich leisten konnten, online privat und kostenlos zu streamen. Da war ich schon ein bisschen sauer, weil sich viele von den Kollegen das eben nicht leisten konnten. Alles zu verschenken muss man sich eben erst leisten können. Entweder ist man reich oder hat eine Professur oder ist ein Star – das konnten viele Leute in meiner Bubble eben nicht. Insofern bin ich sofort dabei, wenn man – nicht nur wegen Corona, sondern auch wegen zu erwartender Abbaumaßnahmen im Rundfunk – nach Wegen sucht, wo man nicht nur seine Kunst verbreiten, sondern auch Einkünfte damit erzielen kann.

nmz: Welche Verantwortung oder welche Rolle kann denn in diesem Umfeld die GEMA spielen?

Eggert: Viele bei uns im Vorstand sind auch im GEMA-Aufsichtsrat und natürlich sind die Themen Streaming, Online-Verwertung und auch Gerechtigkeit der Bezahlung dieser Online-Verwertung riesige Themen bei der GEMA. Allen ist bewusst, dass das so wie es läuft, nicht in Ordnung ist. Die GEMA kann sich insofern auf die Schulter klopfen, da sie eine der wenigen Verwertungsgesellschaften ist, die sich einigermaßen erfolgreich gegen YouTube und Co behauptet hat. Dass die Summen, die da rüberkommen, für die Kreativen lächerlich sind, ist nach wie vor ein dramatisches Problem. Aber die GEMA wird und muss weiter für gerechte Tarife für die Künstler*innen kämpfen. Das halte ich für sehr wichtig.

Wieviel politisches Regulativ?

nmz: Ist es nicht nötig, dass in Bezug auf Urheberrecht und gerechte Verteilung auch ein gewisses politisches Regulativ mit ins Spiel kommt?

Eggert: Bisher hat sich kaum jemand die Namen der Gesundheitsminister, die wir bisher hatten, merken können, weil die wenig in Erscheinung traten. Jetzt ist das plötzlich ein allgegenwärtiger Name, den jeder in ganz Deutschland kennt. Ich kann mir vorstellen – vielleicht täusche ich mich – dass es ähnlich sein wird mit Kultusministerinnen oder Kultusministern in den kommenden Jahren.

Kampe: Wenn Kulturstaatsministerin Monika Grütters entgegengehalten wird, dass sie „nur“ Staatsminis­terin im Kanzleramt ist und kein eigenes Ministerium hat, wird immer das Argument bemüht, dass sie, weil sie im Bundeskanzleramt ansässig ist, ganz nah am Hotspot der Macht dran ist. Da denke ich aber auch: Wenn wir jetzt wirklich Kulturland bleiben oder besser: wieder werden wollen, wo man vielleicht sogar ein bisschen stolz ist auf das, was man hier hat – 100.000 Opernhäuser auf 30 Quadratmeter – dann fände ich es auch super, wenn wir zunächst wenigstens als Zeichen einen Kulturminister bekämen. Denn wir leben in einer Zeit, wo Symbole (leider) oftmals wichtiger werden als die Realität.

Da wäre es schön, wenn wir einen Kulturminister oder eine Kulturministerin mit Ministerrang bekämen. Das hätte zunächst starken Symbolcharakter und könnte, nein: müsste dann aber auch Auswirkungen in der Wirklichkeit haben. Da hätte ich gerne ein eigenständiges Minis­terium, insbesondere auch, weil wir nun wirklich die Branche sind, die zurzeit mit am meisten gebeutelt wird. Die Kultur, wie jüngst in Rheinland-Pfalz geschehen, sollte kein bloßes Ressort­anhängsel sein.

Wie stabil ist das Fundament?

nmz: Dramatisch ist die Situation im breiten Bildungsbereich und in den Schulen. Eigentlich müsste da ja das Fundament gelegt werden für ein Kulturbewusstsein und vielleicht auch für ein Qualitätsbewusstsein, durchaus auch im Musikbereich. Können eure Verbände da in irgendeiner Form sinnvoll einsetzen?

Kampe: Die GNM kann nicht alle Probleme lösen, wir können auch nicht für den Musikunterricht zuständig sein. Aber man kann die Idee von Neuer Musik, was das auch immer ist, regional noch mehr stärken, damit es eben nicht nur so etwas für Nerds irgendwo in Berlin Friedrichshain und Kreuzberg, Stuttgart, München und Köln bleibt – was es oft auch längst nicht mehr ist. Aber was ist mit der Neuen Musik in Saarlouis, gibt es die da auch? Das ist das, was ich gerade versuche, zu erkunden. Da wo ich ursprünglich herkomme, bei der GNMR in Essen, habe ich 12 Jahre die Geschäfte geführt. Da hatten wir Schulprojekte initiiert, die es heute noch erfolgreich gibt, wo Spezialistinnen und Spezialisten vor Ort in den Schulen sind. Eine meiner ers­ten Aufgaben ist, in den nächsten Monaten erst einmal alle kennenzulernen vor Ort. Ich mache sozusagen meine Tour, damit ich weiß, was wo läuft, wo die Schuhe drücken und was man noch machen kann in dieser Richtung.

Eggert: Alle aus unserer Generation haben mehr mit solchen Education-Projekten, Jugend-Projekten, Kinder-Opern und solchen Dingen zu tun gehabt, als die Generationen davor. Dadurch ist man als Komponist heute mit dem pädagogischen Umfeld schon sehr vertraut. Die andere Schiene ist natürlich die größere politische Ebene: Wie wichtig ist Bildung überhaupt auf Bundesebene? Man muss sich auch ganz genau anschauen, welche Parteien wollen da kürzen und welche Parteien wollen Bildung fördern und vor allem auch eine wirklich umfassende Bildung und nicht nur eine „deutschnationale“. Ich denke, Bildung ist nach wie vor in Deutschland ein dringendes Thema, weil wir es gerade bei vielen Neuankömmlingen, aber auch bei unserer eigenen Bevölkerung anscheinend vernachlässigt haben, sie mit dieser Kultur vertraut zu machen (was auch mit der Sprache und einem grundsätzlichen Kulturbewusstsein anfängt). Es ist ja nicht nur ein Klischee, dass rechte Hasskommentare oft schlimmste Rechtschreibung benutzen, das heißt gerade die, die immer nach dem Bewahren des „Deutschen“ schreien, haben am wenigsten Ahnung davon. Das Ganze Überlegenheitsgefasel der Neonazis kommt eigentlich aus einem Minderwertigkeitskomplex, weil man die eigene Kultur nur durch einen Zerrspiegel bruchstückhaft wahrnimmt und gar nicht wirklich kennt.

Kultur entsteht aus gemeinsamer Sprache

„Deutsche“ Kultur ist eben nicht nur Walkürenritt und germanische Mythen, sondern auch Franz Kafka, Paul Celan und Gustav Mahler – Kultur entsteht aus gemeinsamer Sprache und Tradition, und das geht über Grenzen hinweg und vermischt sich ständig mit Neuem, das dazu kommt. Das müssen wir mehr vermitteln, um auch eine positive gemeinsame Identität zu finden, die uns selbst mehr erdet. Dann können wir auch gelassen genug sein das „Fremde“ einzubeziehen und willkommen zu heißen.

Kampe: Ich finde es ist ein gutes Zeichen, dass immer noch wahnsinnig viele Bewerberinnen und Bewerber nach Deutschland kommen wollen, um hier Musik zu studieren. Ich denke diesem Anspruch, den man von außen an Deutschland hat, dem müssen wir auch wieder lernen, gerecht zu werden.

Eggert: Ich weiß nicht, wie es dir geht, Gordon, aber bei euch ist es sicherlich auch so: Man ist  manchmal traurig, dass es zu wenig Bewerber aus dem eigenen Land gibt. Man freut sich, wenn sich zum Beispiel junge Komponist*innen aus Deutschland bewerben, weil das eine echte Seltenheit ist. Da fragt man sich, wie viel Jugend musiziert und Jugend komponiert dann erreichen. Da fehlt irgendwie noch eine andere Art von Unterstützung.

nmz: Ist es vielleicht aber auch eine Schuld von euch, dass ihr euch da zu wenig präsentiert und engagiert?

Eggert: Die persönlichen Botschafterinnen und Botschafter sind wahnsinnig wichtig. Ich weiß nicht, wie es bei euch ist, Gordon, aber bei uns gibt es jetzt die „AG Zukunft“, die wir offiziell unterstützen im Rahmen der DKV. Das ist eine Arbeitsgruppe junger Komponistinnen und Komponisten im Verband. Die haben angekündigt, dass sie ganz bewusst auch in Hochschulen gehen wollen, zum Beispiel dort, wo wir noch wenige Kontakte haben, um gezielt junge Studentinnen und Studenten anzusprechen, sich auch in diese Verbandsarbeit einzubinden.

nmz: Gibt es in Hamburg auch eine „Initiative Zukunft“ oder ähnliches?

Kampe: Das sind alles Dinge, die ich zukünftig für die GNM sehe: Auch Leute für Verbände zu interessieren, die zum Beispiel gerade aus der Hochschule kommen. Ich selbst versuche, seitdem ich hier in Hamburg bin etwas in dieser Richtung zu machen. Ganz praktisch: Der Landesmusikrat Hamburg hat einen Kompositionswettbewerb ins Leben gerufen, zusammen mit dem Landesjugendorchester. Da gibt es einen Austausch: Meine Studierenden schreiben im Rahmen des Wettbewerbs Stücke für dieses Ensemble. Ich habe mich gestern Abend zum Beispiel über ZOOM beim Orches­ter als Komponist vorgestellt. Da sitzen dann 30 bis 40 ganz junge Leute und die sehen wahrscheinlich zum ersten Mal so einen Typen, einen Komponisten. Man merkt, es gibt Interesse an so etwas, vielleicht ist da ja in zwei Jahren mal einer, der denkt, „das kann man beruflich machen? Ist ja krass, rufe ich den Kampe mal an“.

Musikrat als Verlag?

nmz: Der Deutsche Musikrat muss und soll eigentlich als Lobby-Instrument für den Bereich, in dem ihr tätig seid, wirksam sein. Eigentlich wäre es ja auch eine ganz zentrale Aufgabe, die „Zukunfts-Werkstätten“, die ihr betreut, wirklich in den Fokus zu nehmen. Passiert da eurer Ansicht nach genug?

Eggert: Es gibt natürlich beim DKV verschiedene Initiativen, bei denen wir mit dem Musikrat direkt kooperieren, zum Beispiel beim Musikfonds. Ob und wo man Sachen verbessern und auch reformieren könnte, und ob man noch weitere Energien nutzen kann, muss man immer wieder neu diskutieren.

Kampe: Nehmen wir die Edition Zeitgenössischer Musik beim Musikrat, die CDs mit Werken junger Komponisten und Komponistinnen herausgeben. Das sehe ich als Eintrittskarte für alles Mögliche, die vielen schon einmal geholfen hat. Solche Sachen kann man natürlich immer intensivieren, verbessern, modernisieren.

Eggert: In Holland gibt es einen staatlich geförderten Kompositionsverlag. Der ist sehr wichtig für die Komponisten geworden: Werke sind gut erhältlich, man ist gut darin, Informationen zu liefern und man bewirbt die Komponierenden. Das ist kein kommerzielles Unternehmen, eher eine Art Goethe Institut der holländischen Komposition. Die wollen zeitgenössische Musik verbreiten. So was wäre in Deutschland gut. Da wäre zum Beispiel die  Edition zeitgenössische Musik potenziell eine Basis für einen subventionierten Verlag, der sich um Nachwuchs kümmert und dessen Werke verfügbar macht. Das wäre ein Projekt, das würde ich gerne mal zusammen mit dem Musikrat angehen.

nmz: Wie seht ihr denn den Status eurer Klientel jetzt nach den Lockdowns, nach der hoffentlich irgendwann einmal einigermaßen überstandenen Seuche? Ist da viel weggebrochen? Ist da große Not auch durch Beschäftigungslosigkeit eingetreten?

Eggert: Nach unserer DKV-Umfrage noch nicht. Es war zu beobachten, dass die Schere ein bisschen stärker auseinandergeht. Es gibt tatsächlich sogar Profiteure der Krise, gerade weil sehr viel elektronisch produziert wurde, es wurde auch weiter gefilmt und Werbung produziert. Das heißt, diejenigen, die in diesen angewandten Musikmetiers arbeiten – der DKV vertritt ja auch sogenannte U-Musik – ging es zum geringen Teil sogar besser als vorher. Bei denjenigen, die ohnehin schon in einer prekären Situation waren, hat sich die Situation aber verschlimmert. Größtenteils ist im Jahr 2020 der sogenannte Mittelstand einigermaßen über die Runden gekommen, auch mittels der durchaus wichtigen Corona-Hilfen. Trendmäßig zeichnet sich aber jetzt ab, dass es 2021 definitiv nicht so sein wird. Das wird dieses Jahr bei der GEMA-Ausschüttung – sowohl was die Wertung angeht, als auch was die normalen Ausschüttungen betrifft – relativ dramatisch sein. Da wird es ein großes Wehklagen geben und auch an die Exis­tenz gehen bei vielen Kolleginnen und Kollegen. Das was die Instrumentalisten sofort erlebt haben, als ihre Konzerte wegbrachen, erleben die Komponisten zeitversetzt ein bis zwei Jahre später. Was den Zustand der Kulturförderung nach der Pandemie angeht, da bin ich auch eher pessimistisch: Es wurde sehr viel Geld für Impfstoffe und Notmaßnahmen ausgegeben und das wird naturgemäß irgendwann wieder eingespart werden. Das wird auch das Berufsleben im Sektor Kultur verändern. Es herrschen große Ängste bei Kolleg*innen und Studierenden: Nervosität greift um sich – einige schauen sich um, welchen Beruf man wohl lieber statt der Musik ergreift.

Kampe: In der GNM sind nicht nur Komponisten, sondern auch Kuratoren, Instrumentalisten und Journalisten organisiert. Das was Moritz beschrieben hat, konnte ich auch in unserem Verband beobachten. Ich kenne Leute, die vorher gut dabei waren als Instrumentalistinnen und Instrumentalisten, die haben sich umschulen lassen. Das bricht einem schon das Herz. Aber auch inhaltlich bin ich etwas pessimistischer geworden. Es wird einen Verteilungskampf geben. Dann, fürchte ich, setzen die Mächtigen ihre Themen noch mehr durch und kriegen ihre Bonbons ab. Die, die ein bisschen randständiger sind, die nicht in das en-Vogue-Raster passen, die fliegen raus. Daher sehe ich nicht nur finanzielle Änderungen auf uns zukommen, sondern auch eine thematische Verengung. Ich hoffe, dass ich da ganz falsch liege.

nmz: Erst kam die Digitalisierung und jetzt Pandemie: Das betrifft die Musikverlage ganz intensiv. Man kann davon ausgehen, dass einige das nicht überstehen werden. Welcher Schaden ist für euren Berufsstand zu befürchten?

Eggert: Aktuell sind noch ungefähr 5 Prozent der Komponist*innen überhaupt bei Verlagen. Diese sind sehr vorsichtig geworden, was die Inverlagnahme junger Künstler angeht. Bei Diskussionen unter Kollegen erfahre ich, dass viele frustriert sind. Man hat sich beworben, man wird nicht genommen. Wir wissen, dass einige große Verlage finanziell am Rand sind. Eher werden die kleineren, schlanker aufgestellten Autorenverlage durch die Krise kommen. Alle werden  betroffen sein von sinkenden Aufführungszahlen, von sinkender Verwertung. Verlage sind sehr von der GEMA abhängig: Das wird es für alle schwierig machen.

nmz: Getrennt laufen, vereint schlagen. Eure beiden Verbände haben sehr viele gemeinsame Interessen. Zur Idee der Kooperation: Tut sich da was bei euch?

Eggert: Ich würde es begrüßen, mit der GNM eine Partnerschaft auszubilden. Die GNM ist spezialisiert auf Neue Musik. Beim DKV ist das nur ein Teil der Mitglieder. Wir müssen uns beim DKV für alle einsetzen. Das Miteinander aller Richtungen ist ein Plus des DKV. Es zwingt mich, als sogenannter E- oder U-Komponist, mich mit ganz anderen Sichten auf musikalische Ästhetik auseinanderzusetzen und diese als gleichberechtigt und gleichwertig zu behandeln.

Kampe: Es gibt zahlreiche personelle Überschneidungen zwischen GNM und DKV. Auch ich bin natürlich Mitglied im Komponistenverband. Im Gegensatz zu diesem ist die GNM etwas lockerer strukturiert, man könnte auch sagen inhaltsgesteuert – wenn es um neue Musik geht, sind wir bereit! Hecken wir was aus!

  • Das Gespräch führte Theo Geißler

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