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Pult-Tyrann und Kulturpolitiker: Arturo Toscanini. Foto: Archiv
Pult-Tyrann und Kulturpolitiker: Arturo Toscanini. Foto: Archiv
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Henzes Alterswerk, Toscaninis Kulturpolitik, Algeriens Musik-Jugend: BR-Musikfeatures im April

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Von Hans Werner Henzes Toscana über Schottland und Algerien bis ins Reich der Operette reicht im April das Spektrum der Musikfeatures im Bayerischen Rundfunk. Mit von der Partie außerdem Arturo Toscanini als Kulturpolitiker, der expressive Konstrukteur Arnold Schönberg und Peter Gülke, Dirigent und Musikschriftsteller.

„Die Zikaden übertönen den Tod“
Zum Alterswerk von Hans Werner Henze

Von Renate Richter
9. April 2009 (Gründonnerstag)
Bayern 4 Klassik, 21.03-22.00 Uhr
Kein Zweifel – Trauer ist ein Teil unserer Kultur, d.h. es gibt Rituale, oft religiöse Formen und Inhalte für den Umgang mit Tod und Jenseits. Die Evangelische Akademie Wittenberg nutzte die Uraufführung von Hans Werner Henzes ELOGIUM MUSICUM im Gewandhaus Leipzig zum Austausch darüber, wie „der getaufte Christ, erklärte Atheist, gläubige Humanist und undogmatische Sozialist“ Henze mit Verlust und Trauer umgeht. Diese Elogen sind so etwas wie ein Nachruf... Eine Freundschaft, die fast ein halbes Jahrhundert gewährt hat. Ist verdorben, gestorben, wird nicht wiederkehren (Henze). Es wurde ein Lobgesang auf den sehr geliebten Freund - Fausto Urbano Moroni - der nun weit entfernt ist. In den Gesprächen mit Weggefährten, Theologen, Musikologen, Regisseuren und bei der Einführung durch Gewandhauskapellmeister Riccardo Chailly entsteht das Porträt einer glaubwürdig diesseitigen und immer auch lebensbejahenden Künstlerpersönlichkeit... und es gelangen „Zwanzig Minuten Ewigkeit“ (Leipziger Volkszeitung nach der UA).

Der Diktator und die Diktatoren
Toscanini macht Kulturpolitik

Von Robert Werba
11. April 2009
Bayern 4 Klassik, 21.03-22.00 Uhr
Faschistoid hat ihn Michael Gielen genannt. Und er meinte seinen tyrannischen Umgang mit Orchestermusikern und seine Wutausbrüche. Politisch gesehen war Toscanini ein Feind jeder autoritären Regierung. Schon in den Zwanziger Jahren hatte er die Giovinezza verweigert - ein faschistisches Pflichtstück, auf Mussolinis Anordnung vor kulturellen Veranstaltungen zu spielen - und dafür eine Ohrfeige erhalten. Dann dirigierte er aus Freude über die Nachricht von Mussolinis Gefangennahme mit seinem NBC Symphony Orchestra ein Sonderkonzert, mit Beethoven „Schicksals-Symphonie“. Allerdings nur den 1. Satz. Den Rest wollte er erst nachholen, sobald sich das Schicksal des Deutschen Reiches auch erfüllt hätte. Und er sagte sofort zu, als das „Office of War Information“ ihn bat, als Zugpferd eines Musikpropagandafilm zur Verfügung zu stehen, worauf Toscanini bereitwillig Verdis „Inno delle Nazioni“ nicht nur dirigierte, sondern auch um „The Star spangled Banner“ und die sozialistische „Internationale“ erweiterte. Einige Jahre davor – mitten im Krieg – war eine Partitur-Kopie der neuesten Schostakowitsch Symphonie aus dem eingekesselten Leningrad geschmuggelt worden, was Toscanini ermöglichte, in New York die Erstaufführung zu leiten. Die sogenannte „Leningrader“ galt als musikalisches Symbol für den Widerstand der Sowjets gegen die deutsche, jahrelange Belagerung der Stadt. Toscanini nahm dafür auch ein Zerwürfnis mit seinem Kodirigenten Leopold Stokowski in Kauf. Aber er setzte seine Erstaufführung durch, indem er Stokowski als Argument seinen jahrzehntelangen öffentlichen Kampf gegen die Nazidiktatur ins Treffen führte. Dessen Höhepunkt war allerdings die Ablehnung von Hitlers Bitte, in Bayreuth zu dirigieren, ein halbes Jahrzehnt künstlerischer Tätigkeit in Mozarts Heimat, ohne Intimverhältnis zu dessen Musik und die tatkräftige und opferbereite Mitwirkung bei der Gründung des „Israel Philharmonic“ bzw. dessen Vorgängerinstitution.

Zwischen Expressionen und Konstruktionen
Eine Collage zu Ehren von Arnold Schönberg

Von Volkmar Fischer
16. April 2009
Bayern 4 Klassik, 21.03-22.00 Uhr
Sie waren Geistesverwandte: der Maler Wassily Kandinsky und der Musiker Arnold Schönberg. Der eine kehrte dem Gegenständlichen, der andere der Tonalität den Rücken; im Reich der Abstraktion bewegten sich beide mit ausgeprägtem Ordnungssinn. Wobei Kandinsky von Schönberg beeinflusst war – während umgekehrt die Komponisten früherer Zeit oft Impulse von der Bildenden Kunst empfangen hatten. Für Schönberg, der zunächst spätromantische Musik schrieb, war die Dodekaphonie der Versuch, die quasi uferlose Atonalität durch ein mathematisches Regelwerk zu bändigen. In einer laboratorienhaften Wort-Musik-Collage nimmt Volkmar Fischer den einflussreichsten „Tonsetzer“ des 20. Jahrhunderts ins Visier - auf der Basis authentischer Schriftdokumente Schönbergs. Gleichsam unterwegs auf einem Spaziergang im Wald, erklärt der Meister sich und uns, warum er tat, was er tun musste.

++contrapunkt++
Algerien

Live aus dem Forum Goethe-Institut München
23. April 2009
Bayern 4 Klassik, 21.03-22.00 Uhr
Algerien steht vor der Entscheidung – nicht nur, was den nächsten Präsidenten betrifft. Zentral für die weitere Entwicklung des Landes ist, welchen Weg es zwischen Globalisierung und Tradition wählt. Die Herausforderungen, vor denen das flächenmäßig größte Land Nordafrikas steht, um Islam, Demokratie und gesellschaftlichen Fortschritt auf friedliche Art zu verbinden, sind groß. Seit dem ebenso hoffnungsreichen wie blutigen Unabhängigkeitskrieg gegen Frankreich vor fünfzig Jahren ringt das ölreiche Mittelmeerland um seine Identität. 70 Prozent der Bevölkerung sind heute jünger als dreißig Jahre. Die Jugend, die nach Ausbildung und Chancen in der eigenen Gesellschaft sucht, findet diese allzu oft nur im Ausland. In der Hauptstadt träumt man von einer U-Bahn, um dem täglichen Verkehrschaos Einhalt zu gebieten. Gleichzeitig haben traditionelle Werte Hochkonjunktur. Der contrapunkt-Themenabend beleuchtet die Perspektiven der algerischen Gesellschaft am Beispiel der Jugend und ihrer Musik.
Moderation: Theo Geißler und Frank Kämpfer

Die Musik hat sowieso kein Gefühl
Ein Gespräch über Musik mit dem Autor und Dirigenten Peter Gülke

Von Stefan Siegert
30. April 2009
Bayern 4 Klassik, 21.03-22.00 Uhr
Er war Kapellmeister an der Dresdner Semperoper, Generalmusikdirektor in Weimar und Wuppertal, hat Sinfonie-Fragmente Schuberts rekonstruiert und herausgegeben. Die Zahl seiner Musikbücher und Aufsätze über Schubert, Brahms und Bruckner, über das Finalproblem in Mozarts Jupitersinfonie oder die Musik des europäischen Mittelalters belegen ein Maß und eine Vielfalt an Wissen, das Staunen macht. Musikalische Praxis und theoretische Reflexion über Musik addieren sich indes nicht nur in Peter Gülkes Arbeiten. Gülke gelingt etwas den Talenten Fausts Vergleichbares, den der Famulus Wagner unter anderem dafür rühmt , dass er „das Widrige zusammengoß“. Über Musik zu schreiben, hat ein kluger Kopf behauptet, sei wie zu Architektur zu tanzen. Gülke ist solch ein Tänzer. Der DDR-Regierung war so viel Bewegung verdächtig. Wie seine Lehrer Ernst Bloch und Hans Mayer übersiedelt Gülke in den Westen. Jenseits der Grenze ist er, wie es scheint, so ganz nie angekommen. Nun feiert er seinen 75. Geburtstag. Stefan Siegert hat den Dirigenten und Autoren getroffen.

James Macphersons Ossian oder:
Die musikalischen Folgen einer schottischen Raffinesse

Von Antonie Boegner
19. April 2009
Bayern 2, 20.05-21.00 Uhr
Entweder er war ein begnadeter Dichter – oder er hatte den Jahrhundertfund gemacht. In jedem Fall bescheren die Ossian-Epen dem Schotten James Mac Pherson eine ansehnliche Schriftstellerkarriere, denn sie treffen ein Bedürfnis der Zeit: Erzählungen aus dem Goldenen Zeitalter Kaledoniens. Empfindsamkeit und melancholische Weltsicht erfüllen die Gemüter, Naturbegeisterung, aber auch erwachendes Nationalbewusstseins und die Forderung eines eigenen Klassikerkanons. England, das Land von Shakespeare, Milton, Pope und Swift, die Weltmacht jenseits des romanischen Kulturkreises, avanciert zum Vorbild der deutschen Dichter. Dass die Verse vom Barden Ossian zur Harfe gesungen werden, prädestiniert den Stoff für die Musik. Unzählige literarische und musikalische Kunstwerke entstehen in seinem Bannkreis. Ob Liedvertonung, Oper oder Instrumentalwerk: die ossianischen Motive sind eng verwandt mit den romantischen, wie Antonie Boegners Spurensuche hörbar macht. So kann Mac Phersons Neuauflage dieser Altertümer das Verdienst zugeschrieben werden, eine der wesentlichen Brücken zwischen Empfindsamkeit und Romantik zu sein.

„Ja, das Studium der Weiber ist schwer…“
Operette und Psychoanalyse

Von Stefan Frey
26. April 2009
Bayern 2, 20.05-21.00 Uhr
„Niemals kennt man an Seele und Leib, ganz das Weib, Weib, Weib, Weib, Weib!“ Diese Erkenntnis trieb nicht nur die Wiener Operette der Jahrhundertwende um, sondern bekanntlich auch die Psychoanalyse, ging es doch beiden „um die Enthüllung des Triebhaften“, wie die Autoren der Lustigen Witwe 1906 versicherten. Was heute eher irritiert, empfanden die Zeitgenossen als Offenbarung: die Durchkreuzung von Operette und Psychoanalyse. - Franz Lehár ein Schüler Sigmund Freuds? Obwohl beide zur selben Zeit am selben Ort wirkten, gab es kaum direkte Berührungspunkte. Die Gleichzeitigkeit des scheinbar Ungleichen äußerte sich vielmehr atmosphärisch. Lag der gemeinsame thematische Schwerpunkt unverkennbar auf sexuellem Gebiet, so war wohl keine Kunstgattung von dessen zeittypischer Topographie geprägt wie die Operette, deren Texte vor Freud’schen Floskeln nur so strotzen. Auch die Musik erlag diesem Beziehungszauber und ward zum Spiegel der Seele oder, wie Felix Salten enthusiastisch befand, „in heiße Sinnlichkeit getaucht. In jene Sinnlichkeit, wie wir sie heute darstellen: das volle Herausschlagen der Begierde...“

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