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Identität, Nation und Globalisierung

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Notwendige Verwicklungen zwischen Geschichte und Gesellschaft
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„Ohne Zweifel, der Weg der Deutschen zu jener Nationenbildung, die sie jetzt erreicht haben, war ein Weg scheinbarer Erfolge, bitterer Katastrophen, säkularer Verbrechen, die sie begangen haben, und schließlich einer Bescheidung, die es begreiflich macht, warum der Begriff einer deutschen Staatsnation heute nicht ohne emotionale Belastung verwendet wird,“ schreibt der Historiker Reinhart Koselleck. Er umreißt damit in wenigen Worten die Schwierigkeit speziell der deutschen Geschichte, die bis in die Gegenwart unter den weltpolitischen Veränderungen sich abzeichnen.

In den 70er-Jahren stellte Jürgen Habermas einmal die Frage, ob „komplexe Gesellschaften eine vernünftige Identität ausbilden“ könnten. Ohne auf den auch normativen Gehalt dieser Frage eingehen zu wollen, bleibt die Frage nach der Möglichkeit, ob und wie Gesellschaften überhaupt eine Identität ausbilden können, bestehen. Schon bei einzelnen Individuen den Bildungsprozess von Identität zu beobachten oder nachzuvollziehen, bereitet nicht geringe Probleme. Doch immerhin gibt es da so etwas wie einen Anfang und eine chronologisch nachvollziehbare Beobachtungsmöglichkeit. Bei Gruppenidentitäten wird es schon unübersichtlich und bei Völkern und Nationen lässt sich fast überhaupt nicht mehr ohne weiteres mit einem undifferenzierten Begriff der Identität operieren. „Gruppenidentität“ sei nach Habermas nicht die Summe von Ich-Identitäten im Großformat, sondern verhalte sich vielmehr komplementär dazu. Wozu dienen überhaupt Identität oder Konstruktionen wie „Nation“? Welche Chancen aber auch Probleme sind mit diesen Begriffen historisch und gesellschaftspolitisch verbunden? Kann man überhaupt in den Zeiten der Informationsgesellschaft von „musikalischen Nationen“ sprechen?

„Ohne Zweifel, der Weg der Deutschen zu jener Nationenbildung, die sie jetzt erreicht haben, war ein Weg scheinbarer Erfolge, bitterer Katastrophen, säkularer Verbrechen, die sie begangen haben, und schließlich einer Bescheidung, die es begreiflich macht, warum der Begriff einer deutschen Staatsnation heute nicht ohne emotionale Belastung verwendet wird,“ schreibt der Historiker Reinhart Koselleck. Er umreißt damit in wenigen Worten die Schwierigkeit speziell der deutschen Geschichte, die bis in die Gegenwart unter den weltpolitischen Veränderungen sich abzeichnen. In den 70er-Jahren stellte Jürgen Habermas einmal die Frage, ob „komplexe Gesellschaften eine vernünftige Identität ausbilden“ könnten. Ohne auf den auch normativen Gehalt dieser Frage eingehen zu wollen, bleibt die Frage nach der Möglichkeit, ob und wie Gesellschaften überhaupt eine Identität ausbilden können, bestehen. Schon bei einzelnen Individuen den Bildungsprozess von Identität zu beobachten oder nachzuvollziehen, bereitet nicht geringe Probleme. Doch immerhin gibt es da so etwas wie einen Anfang und eine chronologisch nachvollziehbare Beobachtungsmöglichkeit. Bei Gruppenidentitäten wird es schon unübersichtlich und bei Völkern und Nationen lässt sich fast überhaupt nicht mehr ohne weiteres mit einem undifferenzierten Begriff der Identität operieren. „Gruppenidentität“ sei nach Habermas nicht die Summe von Ich-Identitäten im Großformat, sondern verhalte sich vielmehr komplementär dazu. Wozu dienen überhaupt Identität oder Konstruktionen wie „Nation“? Welche Chancen aber auch Probleme sind mit diesen Begriffen historisch und gesellschaftspolitisch verbunden? Kann man überhaupt in den Zeiten der Informationsgesellschaft von „musikalischen Nationen“ sprechen? Bekannt ist die Erfahrung, die gerade in der traditionellen Musikkultur nicht zu überhören ist, dass man zum Beispiel der Musik relativ gut anhören kann, woher sie geografisch und damit auch mental stammt. Das französische Klangbild im 19. und 20. Jahrhundert unterscheidet sich signifikant von einem russischen oder amerikanischen „Ton“. Man kann also durchaus davon ausgehen, dass es regionale Unterschiede gibt. Die Identität einer Musikkultur oder Musiksprache steht dabei in einem ähnlichen Zusammenhang wie auch die expressiven Äußerungen in den Umgangsformen der Menschen untereinander: Zum Beispiel Begrüßungsformen, Ess- oder Festkultur. Nationale Identitätsbildung ist dabei nicht mit Nationalismus gleichzusetzen: Radikaler Nationalismus ist eine Form nicht gelungener Identitätsbildung, nämlich ein Gefängnis mit zugleich bedrohlichen Auswirkungen und Zeichen fehlenden Selbstvertrauens.

Stich- und Reizwort Globalisierung: Mit der seit etwa 20 Jahren sich deutlich abzeichnenden Form globaler Interaktion und Kommunikation ändern sich nationale und private Identitäten entscheidend. Gemeint wird mit dem Begriff der Globalisierung jedoch meistens eine hegemoniale Ausbreitung US-amerikanischer Kultur und Politik. Damit ist ein Wort gefunden, welches in den 60er-Jahren noch Kosmopolitismus hieß. Unter dem Stichwort „Nation“ wird im „Philosophischen Wörterbuch“ aus der DDR (1964) einem „proletarischen Internationalismus“ der ausbeuterische „imperialistische Kosmopolitismus“ gegenübergestellt. „Im reaktionären Nationalismus und Kosmopolitismus äußern sich die Bedürfnisse des Finanzkapitals. Sie dienen dem Streben nach Vorherrschaft über die eigene und über die anderen Nationen.“

Dieses einfache Schema ist heute noch immer aktuell, nur hat sich sein Gehalt durch seine reale Dynamik stark erweitert und ist, entkleidet von seinen ideologischen Hilfskonstruktionen, vieldeutiger und umfassender: „Globale Märkte sowie Massenkonsum, Massenkommunikation und Massentourismus sorgen für die weltweite Diffusion von oder Bekanntschaft mit standardisierten Erzeugnissen einer (überwiegend von den USA geprägten) Massenkultur“, schreibt Habermas in seinem bemerkenswerten Aufsatz „Die postnationale Konstellation und die Zukunft der Demokratie“, und weiter: „Dieselben Kulturgüter und Konsumstile, dieselben Filme, Fernsehprogramme und Schlager breiten sich über den Erdball aus; dieselben Pop-, Techno- oder Jeansmoden erfassen und prägen die Mentalität der Jugend noch in den entferntesten Regionen; dieselbe Sprache, ein jeweils assimiliertes Englisch, dient als Medium der Verständigung zwischen den entlegensten Dialekten. Die Uhren der westlichen Zivilisationen geben für die erzwungene Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen den Takt an. Der Firnis einer kommodifizierten Einheitskultur legt sich nicht nur auf fremde Erdteile. Er scheint auch im Westen selbst die nationalen Unterschiede zu nivellieren, so dass die Profile der starken einheimischen Kulturen immer mehr verschwimmen.“ Doch bemerkt Habermas zugleich eine damit verbundene dialektische Bewegung. Es entstünde nämlich im gleichen Zuge auch eine Unzahl regional sich differenzierender und abgrenzender Subkulturen. Habermas schreibt: „In Reaktion auf den uniformierenden Druck einer materiellen Weltkultur bilden sich oft neue Konstellationen, die nicht etwa bestehende kulturelle Differenzen einebnen, sondern mit hybriden Formen eine neue Vielfalt schaffen.“

In Deutschland macht man es sich in manchen Kreisen sehr einfach, indem man für den Untergang des Abendlandes (und sie meinen damit pars pro toto Deutschland oder gar die deutsche Nation) der Überstülpung amerikanischer Lebensweisen die Schuld zuweist. Das ist einfach und bringt schnell Beifall. Aber so stimmt es einfach nicht. Dahinter steckt ein anderes Problemfeld. In dem unterstellten Maße ist in Europa offenbar nur Deutschland von dieser Amerikanisierung betroffen und warum Island, Tschechien, Spanien oder die Türkei nicht?

Für die deutsche Entwicklung bis heute gibt es viele und komplexe Gründe. Nicht nur die mit der Teilung Deutschlands nach 1945 einsetzende Form des Kampfes zweier unterschiedlicher auf den eigenen Wohlstand bedachter Unterstützungen durch die ideologischen Kampfhähne aus den USA und der UdSSR hat eine vernünftige Herausbildung oder Entwicklung einer vernünftigen nationalen Identität behindert, auch der bis heute anhaltende Verdrängungsmechanismus in der Auseinandersetzung mit der deutschen Kulturgeschichte (mit all ihren schönen und mit all ihren grässlichen Bestandteilen) ist eine fortwährende und anhaltende Blockade. Der fließende Übergang in Deutschland vom nationalen Prinzip, welches sich im 19. Jahrhundert herausbildete, zum Nationalismus erschütterte die integrative Funktion des Nationalen. Der Historiker Jürgen Kocka kommt zu dem Schluss: „Diese nationale Tradition bietet wenig Anknüpfungspunkte – leider.“ Eine weitere Beobachtung macht Kockas Kollege Koselleck, wenn er Deutschland eine besondere Position im Chor der Nationen zuweist. Anders als in Großbritannien, Frankreich, Polen oder Italien hat sich für Koselleck in Deutschland das föderale Prinzip gegen das nationale behauptet: „Und es sind die föderalen Strukturen, die über Jahrhunderte hinweg verhindert haben, dass sich so etwas wie eine deutsche Staatsnation im modernen demokratischen Sinne gebildet hat[te].“ Ähnlich bei Kocka: „Der Nationalstaat war niemals die Regel in der deutschen Geschichte.“

Man muss sich aber auch nicht unbedingt als Nation konstituieren und kann dennoch eine Identität haben. Die deutsche Kultur ist keinesfalls bloß ein außengesteuertes Patchwork. Es gibt in Deutschland langfristige, gute und zu erhaltende Traditionen. Für die gegenwärtige Situation sollte man daher die Bereiche unterscheiden, in denen die amerikanische Kultur zum Beispiel in Deutschland präsent ist. Dazu gehören fast durchweg nicht die Neue-Musik-Szene oder die Orchester- und Theaterlandschaften – wie insgesamt nicht die Kulturbereiche, die sich aus dem Verständnis der selbstverfassten bürgerlichen Öffentlichkeit entwickelten; wohl aber die Elemente der Massenkultur wie Film, Fernsehen und immer mehr auch selbst der öffentlich-rechtliche Rundfunk. Die Neuerfindung einer eigenen nationalen Massenkultur dagegen ist zum Scheitern verurteilt. Zu denken ist beispielsweise an Hanns Eisler und Johannes R. Bechers „Neue Deutsche Volkslieder“ Anfang der 50er-Jahre des letzten Jahrhunderts. Aber es ist auch prinzipiell ein Problem der modernen industriellen Gesellschaften, dass sie aus eigener Kraft keine Traditionen mehr bilden können. Neue Volkslieder gibt es seit Beginn des 20. Jahrhunderts in diesen Gesellschaften überhaupt nicht mehr.

Wie schnell allein die Kultur der DDR im angeblich geeinten Deutschland begraben worden ist, lässt für die Zukunft nichts Gutes ahnen. Unter den Vorzeichen einer neuen gemeinsam erstellten gesamtdeutschen Verfassung wäre die Chance ungleich größer gewesen, den Staat zu einen und mit sich selbst auszusöhnen. So jedenfalls gärt es unter der administrativ vorgeblich beruhigten Oberfläche. Ost-und-West-Dialoge können dabei im Nachhinein zwar die Probleme aufdecken, Verständnis wecken, sie bleiben aber ohne politische Arbeit Randphänomene. Da erscheint das Wortnehmen von der Globalisierung schon wie ein kultureller und politischer Rettungsanker, der zugleich die wirklichen Ursachen für Probleme der Identität des „geeinten“ Deutschlands verschleiert. Nun ist die Entwicklung der gegenwärtigen Geschichte nicht rückgängig zu machen. Bewegungen in ein vermeintliches traditionelles „Zurück“ sind zwar individuell möglich, ändern jedoch an der globalen Situation nichts. Auch eine Rück-Besinnung auf „Nation“ ist unter dem Druck multilateraler Beziehungen in der Welt nicht begehbar (weil „Nation“ wie in Deutschland ein mehr fiktionaler Begriff denn ein geschichtlich ausformulierter ist) oder führt, wie man an den Entkolonialisierungsprozessen in der so genannten Dritten Welt oder in den nationalen Bewegungen der ehemaligen GUS-Staaten und des Balkan-Gebietes sehen konnte und kann, zu bisweilen fürchterlichen Resultaten. Man kommt nicht daran vorbei, in dieser Welt zu leben.

Nie waren die Grenzen innerhalb Europas, im Wesentlichen aber auch über den Globus verteilt, so durchlässig wie seit den letzten Jahren. Es ist ohne Probleme möglich, dass brasilianische Musiker mit norwegischen, englische mit japanischen, südafrikanische mit französischen, westdeutsche mit ostdeutschen zusammen musizieren. Die Musikwelt des Jazz macht es vor: „Step across the border.“ Das hat allerdings nichts mit dem vielfach beschworenen Multikulturalismus zu tun, der seinerseits selten mehr als eine Phase darstellt. Es geht dabei auch nicht um eine Rekonstruktion der Musik als einer Weltsprache, als eines sprachlichen Esperanto-Kitts, sondern vielmehr um die gegenseitige Anerkenntnis des Anderen. Um andere anerkennen zu können, muss man jedoch selbst genug in sich selbst gefestigt sein.

Nur wenn die Ich-Bildung an einem selbst sich glücklich vollzieht, ist auch die Möglichkeit gegeben, sich zu öffnen für den Anderen. Theodor W. Adorno hatte für die Problematik der Ich-Bildung und die Entwicklung von Ich-Identität ein sehr feines Gespür und verwies auf seine normativ-dialektischen Implikationen. In seiner „Negativen Dialektik“ schreibt er: „Frei sind die Subjekte, nach Kantischem Modell, soweit, wie sie ihrer selbst bewußt sind, mit sich identisch sind; und in solcher Identität auch wieder unfrei, soweit sie deren Zwang unterstehen und ihn perpetuieren. Unfrei sind sie als nichtidentische, als diffuse Natur, und doch als solche frei, weil sie in den Regungen, die sie überwältigen – nichts anderes ist die Nichtidentität des Subjektes mit sich –, auch des Zwangscharakters der Identität ledig werden.“

In dieser Denkweise liegt auch eine Chance für die problematische nationale Identitätsfindung Deutschlands. Sie könnte daran ein hohes Maß an Flexibilität zeigen und die vermeintliche nationale Schwäche gerade auch kulturell zu ihrer Stärke machen: Selbstbewusstsein hinsichtlich ihrer aufklärerischen und emanzipativen Traditionen zeigen und diese Tradition immer auch selbstkritisch hinterfragen und damit ein wertvoller und offener kultureller und politischer Gesprächspartner im Kreis der Weltgemeinschaft sein. Gegenwärtig scheint die Bewegung leider in eine andere Richtung zu gehen. Die misslingende Identitätsbildung im Innern (Ost/West – Nord/Süd) hält an und verringert dadurch den so bitter notwendigen Solidaritätsbeitrag für das Funktionieren des inneren Föderalismus.

Theodor W. Adorno: Negative Dialektik, Frankfurt/Main 1975.
Günther Anders: Die Antiquiertheit des Menschen. Über die Zerstörung des Menschen im Zeitalter der dritten industriellen Revolution, München 1980.
Ulrich Beck: Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne, Frankfurt/Main 1986.
Jürgen Habermas: Können komplexe Gesellschaften eine vernünftige Identität ausbilden, in: ders.: Zur Rekonstruktion des historischen Materialismus, Frankfurt/Main 1982.
Jürgen Habermas: Geschichtsbewußtsein und posttraditionale Identität. Die Westorientierung der Bundesrepublik, in: ders.: Eine Art Schadensabwicklung, Frankfurt/Main 1987.
Jürgen Habermas: Die postnationale Konstellation und die Zukunft der Demokratie, in: ders.: Die postnationale Konstellation. Politische Essays, Frankfurt/Main 1998.
Jürgen Kocka: Das Problem der Nation in der deutschen Geschichte 1870–1945, in: ders.: Geschichte und Aufklärung, Göttingen 1989.
Jürgen Kocka: Zerstörung und Befreiung: Das Jahr 1945 als Wendepunkt deutscher Geschichte, in: ders.: Geschichte und Aufklärung, Göttingen 1989.
Reinhart Koselleck: Deutschland – eine verspätete Nation? in: ders: Zeitschichten. Studien zur Historik, Frankfurt/Main 2000.
Alexander und Margarethe Mitscherlich: Die Unfähigkeit zu trauern. Grundlagen kollektiven Verhaltens, Frankfurt/Wien/Zürich o.J.
Hellmuth Plessner: Die verspätete Nation. Über die politische Verführbarkeit bürgerlichen Geistes, Frankfurt/Main 1988.
Karl Polanyi: The Great Transformation. Politische und ökonomische Ursprünge von Gesellschaften und Wirtschaftssystemen, Frankfurt/M. 1978.
George Ritzer: Die McDonaldisierung der Gesellschaft, Frankfurt/Main 1995.
Philosophisches Wörterbuch in zwei Bänden, herausgegeben von Georg Klaus und Manfred Buhr, Leipzig 1964, Berlin/West 1972 (achte Auflage).

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