„Die Artisten in der Zirkuskuppel: ratlos“ – in diesem schönen frühen Film (1968) Alexander Kluges, dessen Kino-Kunst leider kaum mehr sonderlich präsent ist, will die Zirkus-Erbin Leni Peikert mit ihrem „Reform“-Unternehmen, inklusive Elefanten auf dem Hochseil, übers „Gebirge“ ziehen, um das Genre authentisch zu erhalten: „Menschen, Tiere, Sensationen“ zu höherem, lauterem Zweck präsentieren. Doch die ganz große Utopie misslingt, es bleiben die kleinen Schritte auf dem langen Marsch durch die Institutionen.
Dabei hat das Wort „Zirkus“ mehrere und durchaus widersprüchliche Bedeutungen – und dies selbst und gerade in der hochambitionierten Kultur-Sphäre: Ob Frankfurter Buchmesse, Kasseler „documenta“, die Festivals von Salzburg oder Donaueschingen, Wettbewerbe, Tagungen – die Betriebsamkeit, das Sehen und Gesehenwerden, Profite aller Art, der ganze „Hype“ ist nur schwer völlig von der immerhin seriösen ästhetisch-intellektuellen Produktion und Vermittlung abzukoppeln. Wie ja schon in der „Messe“ feierliches Hochamt und Markt-Getriebe rituell ineinandergreifen. Natürlich erweisen sich nicht einmal wenige prominente „events“ tatsächlich als öder Society-Zirkus. Gleichwohl hat das Schlagwort auch seine utopische Aura: die Manege als Ort artistischer Höchstleistungen, zugleich hoher Gefahren – und, als historische Gattung, antibürgerlicher Freiheit. Analog zu den „Zigeunern“ war im neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhundert das „fahrende Volk“ auch Inbegriff des Ungebundenen, die Normen von Sesshaftigkeit und Arbeits-Disziplin Verschmähenden. Insofern tut man gut daran, im großen internationalen Kunst-Zirkus dessen merkantil Hochgezwirbeltes nicht zu verdrängen, wohl aber auch die Möglichkeiten des Scheiterns zu honorieren; auch wenn es beim musikalischen salto mortale nicht gleich um Kopf und Kragen geht. Gerade rechtzeitig kommt da der schwedische Film „The Square“ von Ruben Östlund, der den leicht wohlfeil aufgemotzten superschicken Kunst-Kult des letzten Schreis der Ausstellungs-Macher-Matadore satirisch auf die Schippe nimmt. Zugleich wird aber auch manch reaktionäres Pauschal-Vorurteil gegen moderne Kunst bedient. Aber bei einigen leerlaufenden Komponisten-Selbst-Deutungen im diesjährigen Donaueschinger Programmbuch fühlte man sich schon an derlei allzu hochfliegende Katalog-Metaphorik erinnert.
Nun gehört zum Prinzip der Neue Musik-Festivals sowohl die Sensation des schlechthin Wegweisenden als auch das alles dominierende Großereignis. Doch die kompositorischen Überfiguren, deren Name allein Aufmerksamkeit sicherte, sind weniger geworden, das Zeitalter des auch ästhetischen Heroentums scheint sich dem Ende zu nähern. Allenfalls Lachenmann vermag noch exemplarisch hohe Erwartungen zu wecken. Ähnliches gilt im Traditions-Repertoire für die Superstars: Es gibt keine Maria Callas mehr, keinen Karajan. Das Fehlen der einstigen Superstars mag es für die Veranstalter schwerer machen, ihre Häuser zu füllen; während gleichzeitig mehr Raum für Anderes und Jüngere zumindest entstehen könnte. Zu kulturpessimistischen Tiraden: Wie war doch früher alles so sehr viel besser! besteht keinerlei Anlass.
Drei „Altmeister“: Nunes, Crumb, Biel
In diesem Sinne war dieser Donaueschingen-Jahrgang weniger durch spektakuläre Höchstleistungen geprägt als vielmehr breit gefächert. Die Frage: Was ist überhaupt „Musik“, gar die „wahrhaft neue“ oder „richtiger Jazz“? stellte sich allenfalls als grundsätzlicher Zweifel, nicht indes mit normativer Dringlichkeit. Und auch, wenn die umwälzenden Novitäten eher ausblieben, so wurden doch einige unerwartete Fenster geöffnet. Selbstverständlich ist von einem so exemplarischen Avantgarde-Forum Riskantes zu erwarten, nicht unbedingt das Etablierte. Aber der Blick in die Historie ist legitim, wird er nicht gleich zum Retro-Trend umgemünzt. Drei höchst unterschiedliche „Altmeister“ wurden denn auch in jeweils lockerem Zusammenhang wieder in den Fokus geholt. Erinnern muss nicht gleich auch wohliges Versinken in Nostalgie bedeuten.
Der Portugiese Emmanuel Nunes war kein Komponist der lauten Sensationen, eher des introvertierten Filigrans. So hat er vor seinem Tod 2012 noch eines Ensemble-Werks von 1968 gedacht: „Un calendrier révolu“ erwies sich nun bei der postumen Uraufführung als imaginative Klangraum-Erkundung – fast nach Art von Schönbergs „Pierrot“-Abgesang: „O alter Duft aus Märchenzeit“. „Minnesang“ für zwölf Stimmen (1976) nach Texten des Mystikers Jakob Böhme steht für phonetisch wie semantisch hochstrukturierte Anbetung, weniger für, wie auch immer sublimierte, Erotik. Bei aller Differenzierung dominierte fast tonal grundierte dunkle Geschlossenheit.
George Crumb (geboren 1929) steht für einen durchaus originellen Eklektizismus, den man im besten Sinne „amerikanisch“ nennen könnte. Sein Klavier-Zyklus „Metamorphoses“ folgt Mussorgskis „Bildern einer Ausstellung“ in der kompositorischen Evokation signifikanter Gemälde von Whistler bis Jasper Johns, scheut dabei auch nicht programmatisch illustrative Elemente und pianistische Verbeugungen vor Debussy, Skrjabin, Bartók und Messiaen. Doch in den nicht tastenbezogenen Aktionen spürt man das fruchtbare Weiterwirken von Cages „pepared piano“. Crumbs Bilderfolge verbindet assoziative Anschaulichkeit mit technischer Entgrenzung – bis in die manuellen Herausforderungen: eine entschieden dankbare Serie.
Zu den fast verschwundenen, nicht unbedingt verdrängten Komponisten zählt(e) Michael von Biel. Aus dem Kölner Stockhausen-Kreis kommend, wandte er sich der Bildenden Kunst, der „Fluxus“-Bewegung, zu. Doch sein zweites Streichquartett (1963) hat quasi Geschichte gemacht, den Saiten-Klang von seinen Traditionen befreit, ja denaturiert. Manche Geräusch-Emanationen Lachenmanns wurden hier exponiert, blieben zwar rudimentär, aber sich ihrer zu erinnern, war gut. Dem Komponisten war kein eigenes Programm gewidmet, sein knappes Werk fungierte als Rätsel-Intrada: Ein LKW fährt aufs Podium, aus dem geschlossenen Kasten ertönt Biels Stück, dann kommen die Musiker ins Freie. Die aktuelle Assoziation ist unvermeidlich: Flüchtlinge, hin und her gekarrt, dann getrieben. In einer nicht unartifiziellen Choreographie verteilen sie sich auf dem Podium wie unter den Hörern, werden mit diesen im Stile autoritär gelenkter Anarchie auf Wanderschaft geschickt. Sebastian Clarens „Kaleidoskopvillemusik II“ für Streicher operiert mit Kinetik wie Laut-Reflexen und versucht, die „Unbehaustheit des Menschen“ szenisch-musikalisch nachzustellen, kommt dabei kaum über Good-will-Abstraktion hinaus. Plakativer Agitprop allerdings wäre nicht minder heikel. Insofern ist das Hinauswollen aus der Materialbezogenheit auch Zeichen einer Öffnung zur realen Welt hin, obschon auch die genügend künstlich ist.
Geschlechterkluft und Realitäts-Einsprengsel
Denn wie „wirklich“ die Wirklichkeit ist, bleibt mehr denn je die Frage. Und politische Reflexe gab es diesmal immer wieder – und auf verschiedenen Ebenen. Zum Beispiel in der lange überfälligen Abkehr vom eisernen Prinzip der Hochkultur selbst in der sonst ja ach so fortschrittlichen „Neuen Musik“. Diesem zufolge ist hochwertige Kunst nach wie vor „Männersache“. Für die erhabene Tonkunst ist nun einmal das „starke Geschlecht“ zuständig. Man sieht es an den „Riesen“ Bach und Händel, dem „Titanen“ Beethoven, den „Helden“ bei Wagner und Strauss. Und abgrundtief törichte Statements etwa von Brahms wie Strauss über komponierende Frauen sind bei weitem noch nicht Historie. Es gibt leider keinen triftigen Grund, die Richtigkeit der Statistik anzuzweifeln, dass seit dem Beginn (1921) der Donaueschinger Musiktage 92,44 Prozent der Kompositionen von Männern stammten. Und ebenso evident ist, dass diese hauptsächlich Weiße aus dem europäischen Kulturkreis waren und sind. Der „gendergap“, die auch und gerade kulturelle Geschlechterkluft, ist überdies rassistisch geprägt. Dabei soll ja besonders die hehre Musik menschheitsverbindend wirken. Doch gottseidank ändern sich allmählich die Verhältnisse ein wenig: Immerhin acht Kompositionen von Frauen wurden uraufgeführt, und der Jazz-Abend wurde von Französinnen bestimmt. Das könnte tröstlich stimmen, machte aber die Protest-Aktion beim Abschluss-Konzert alles andere als überflüssig. Auch wenn immerhin zwei Komponistinnen und Solistinnen dabei waren. Weniger spektakulär, doch deshalb keineswegs weniger brisant war George Lewis‘ Vortrag „New Music, New Subjects: The Situation of a Creole“, in dem er so beeindruckend wie bedrückend auf die eminente Bedeutung afroamerikanischer Musik und Musiker gerade in den USA hinwies, deren Rolle im offiziellen Betrieb aber nach wie vor reduziert bliebe. In Anbetracht der weltweiten Zunahme chauvinistisch-rassistischer, auch autoritär-totalitärer Tendenzen können solche Mahnungen gar nicht genug gehört werden. Auch wenn sich ein Musikfest allein schwerlich dem Weltlauf entgegenstemmen kann.
Nun liegt Donaueschingen zwar auf der Baar-Hochebene, doch den irdischen Realitäten ist auch diese Institution nicht entrückt. Dementsprechend tauchten politische Reflexe und Aspekte mehr oder minder deutlich auf. Gab es im Vorjahr einige rabiate Gewalt-Exerzitien, so waren diesmal die Realitäts-Einsprengsel, -Anklänge mitunter geradezu durch Idyllik abgepuffert, bis hin zu regelrechter Janusköpfigkeit. Ein signifikantes Beispiel hierfür bot „The News in Music (Tabloid Lament)“ von Thomas Meadowcroft. Da werden amerikanische Radio-Nachrichten verschiedener „Kanäle“ ineinander geschnitten: Horror-Meldungen, Politik, Wirtschaft, Sport, Sensationen wie Trivialitäten aller Art – kunterbunt und voll aufgedreht als Panoptikum höchsttourigen Medien-Bombardements. Gleichzeitig wird solch „Infotainment“ musikalisch aufgemotzt mit HipHop, Schlagern, aufrauschenden Opern-Fanfaren und obligat outrierter Film-Untermalung und -Überhöhung: ein karikierendes Puzzle grell leerlaufender Bewusstseins-Industrie. Doch dann folgt die Wende, kehrt schier paradiesische Ruhe ein, Soft-Sound bis zum Kitsch. Die manichäische Polarität lässt sogar an Pfitzners „Palestrina“ denken: mit dem chaotischen, korrupt brutalen Konzils-Treiben und anschließender Verklärungs-Mystik. Ein seltsames Gebräu, das dem weltlichen Getümmel kaum einmal satirische Schärfe angedeihen lässt, so dass der Schluss selbst als Kontrast nur soßig wirkt.
Was ist wirklich, was virtuell? Bernhard Lang hat immer wieder mit Sampling und Loops gearbeitet, instrumentale und elektronische Partikel wechselseitig auseinander entwickelt und hightech und Jazz-Vehemenz dialektisch verschränkt. Seine „…loops for Davis“ werden so zu entfesselter Kinetik, lassen den Schluss von Strawinskis „Sacre“ assoziieren, sind aber vor allem eine tour de force für den fabelhaften Bassklarinettisten Gareth Davis – Energie pur in jeder Hinsicht.
Absicht versus tönende Realität
Der Pianist Alfred Brendel machte sich nichts aus historischen Flügeln: Die großen Klavierkomponisten hätten an ein imaginäres, ein Meta-Instrument gedacht. Andreas Dohmen hat ein entsprechendes Hybrid-Vehikel in „a doppio movimento“ verwendet: Ein Saiten-Trio aus Harfe, E-Gitarre und Flügel steht für den Tripel-Aspekt des Klang-Klons. Dem wäre mehr abzugewinnen als Scherzando-Alertheit, zumal der Flügel letztlich dominierte, Pedal-Finessen der Harfe blass bleiben mussten. Auch sonst divergierten nicht selten die Selbst-Aussagen der Komponisten zu ihren komplexen Absichten und die ernüchternd eindimensionale tönende Realität. Zwei Beispiele: Martin Schüttlers „My mother was a piano teacher“ exponiert allerlei Autobiographisches zu seiner Instrumenten-Wahl, ohne auf die fälligen psychophysischen Verwicklungen einzugehen, und seine Musik bleibt so flach wie die Video-Zuspielungen. Marina Rosenfelds „Deathstar Orchestration“ macht als Konzept virtueller Klangraum-Schichtung neugierig, doch der hohe technische Aufwand kommt nicht zum Tragen. Hingegen gelang die vexierbildhafte unio mystica von Live-Spiel und Apparatur in Francesca Verunellis „Man sitting at the piano“: Der spielt nämlich Flöte, derweil das akustische Player Piano den Klavierpart übernimmt. Wie man mit sparsamen Mitteln suggestive Wirkung erzielt, belegten Misato Mochizukis „Tètes“ für den Bariton-Sprecher-Akteur Paul-Alexandre Dubois und ein Ensemble, dessen „japanische“ Spektren genau der japanischen Fantasy-Legende von den abgetrennt ihr grotesk multiples Eigenleben entfaltenden Köpfen entsprach: ein gar nicht nur surrealer Reflex der IS-Enthauptungs-Rituale.
Auch die Amerikanerin Bunita Marcus, der immerhin Morton Feldman ein wichtiges Klavierwerk gewidmet hat, hat bei ihren „White Butterflies“ der unzähligen Flüchtlinge gedacht, denen sie quasi eine musikalische Heimstätte geben möchte. Doch viel ist dabei von Yoga und metamusikalisch wirksamen Chakren die Rede; was das Soft-Tableau, zumindest über etwaige Glaubensbereitschaft hinaus, nicht plausibler macht. Chaya Czernowins „Guardian“ für Cello und Orchester fängt verheißungsvoll an, umhüllt die Solostimme kollektiv, lässt diese das Tutti individuell durchdringen, doch kann sie den interaktiven Prozess nicht bis zum Ende durchhalten. Zu recht wurde demnach „Ez-tér“ des Ungarn Marton Illés mit dem Preis des SWR-Orchesters ausgezeichnet, dessen Orchestervorstand nicht verschwieg, dass die Fusion der beiden Funk-Klangkörper zwar weiter vorangehe, die Wunden aber blieben. Der Titel heißt in etwa „Es-Raum“ in Anspielung auf Freuds Trias von Ich, Es und Über-Ich. Wobei musikalisch der Es-Dur-Uranfang von Wagners „Rheingold“ mitschwingt. Illés‘ Partitur ist dicht und intensiv, lässt ein neuartiges großes Orchester nicht nur hören, sondern noch weiter imaginieren.
Politisches drang auch auch ins Hörspiel ein: Den Karl Sczuka-Preis erhielt Olaf Nicolai für „In the woods there is a bird…“, eine funkspezifische Collage aus „O-Tönen“ von großen Demonstrationen weltweit: Reden, Schreie, Schüsse. Das klingt nicht unsuggestiv, lässt indes von dem, worum es bei den Protesten ging, außer Lärm, Chaos und Inferno nichts mehr als eine fortissimo-Orgie übrig. Dabei wäre eine Art Polyphonie von Meinungen, Stimmen, Manifestationen, Aktionen, staatlicher Gewalt weit sinnvoller gewesen statt solcher, und sei es unfreiwilliger, Reduktion politischer Initiativen auf phonstarke Turbulenz. So kann man Politisches einbringen und gleichzeitig entschärfen.
Die Ur-Frage: Was ist das überhaupt: Musik? blieb mit gutem Grund unbeantwortet. Ähnliches galt abermals für die nicht minder obligate Überlegung, ob der hier präsentierte Jazz denn noch „richtiger“ Jazz sei – mit gehöriger Improvisations-Energie, samt den traditionellen Ingredienzien „Swing“ und „Blues“, auch genügend freiem power play. Natürlich hat das phänomenale französische Klavier-Duo Christine Wodraschka / Betty Hovette hinreißend vital improvisiert, und die frenetischen perkussiven Dauer-Raster der fulminanten Technikerinnen strahlten unwiderstehliche Energie aus. Aber der mechanisch-minimalistische Grundansatz ließ nicht allzu viele abweichende Varianten zu. Dennoch: eine pianistische Demonstration. Das Tentet um die Kontrabassistin, übrigens auch Sängerin, Joelle Léandre agierte so souverän wie spontan im Zwischenreich von Komposition und Improvisation, mit stets neuen Energie-Schüben, aber auch immer wieder sublimen „Abgesang“- und „Ausklang“-Strategien. Sodass sich die unvermeidliche Frage nach dem genuin „Jazzigen“ aufs angenehmste erübrigte.
Eng getaktete Überfülle
Das diesjährige Donaueschingen-Programm war so weit gespannt wie kaum einmal. Und manche scheinbar eher nebensächlichen Veranstaltungen gewannen bei näherem Hinsehen und -hören deutlich an Relief, etwa das Minor Music-Programm mit seinen hochindividualisierten Konfrontationen mit Bach, Wagner und dem hohen Paar Stockhausen und Kellog’s Corn Flakes. Gleichwohl war das Angebot fast überreichlich, und selbst ausdauernde Festival-Profis wurden von dem eng getakteten Veranstaltungs-Plan gefordert. Und bei den mehrfachen Parallel-Ereignissen konnte man in Zweifel geraten, ob man nicht gerade das vielleicht noch Wichtigere andernorts oder sogar nebenan verpasst. Alles, nicht zuletzt die Klangkunst, wahrzunehmen, war kaum möglich. Natürlich ist derlei Fülle allemal besser als ein Spar-Programm. Aber ein Ausgleich wäre immerhin vorstellbar.
Was waren nun die „highlights“? Es scheint kein Zufall, dass eine eindeutige Antwort im Sinne eines normativen „ranking“ von Jahr zu Jahr immer schwerer fällt. Sie hätte in Anbetracht einer diffuser werdenden Situation auch ihr Vermessenes. Die mit hoher Spannung erwarteten, alles überstrahlenden Meisterwerke der „Altmeister“ – Stockhausen, Boulez, Xenakis, Ligeti, Nono, Kagel, Berio, selbst Lachenmann – scheinen zumindest nicht mehr abrufbar. Damit wird man leben müssen. Zumal die Jüngeren durchaus belebend operieren, die Grenzen durchlässiger geworden sind, nicht zuletzt für Frauen und Nicht-Europäer.
Nein: Käme Alexander Kluges Leni Peikert mit ihrem Reform-Zirkus nach Donaueschingen, so würde sie vermutlich kaum mehr versucht sein, Elefanten ins Manege-Firmament zu hieven. Aber ein Zirkus hat viele Möglichkeiten, Formen, Mittel und Personen, die es auszuprobieren gilt: Gäbe es das Unternehmen Donaueschingen nicht, mitsamt seiner Unzulänglichkeiten, man müsste es erfinden – oder zumindest neu konzipieren. Aber fern staatlicher Repräsentation, politischer Lenkungs- wie wirtschaftlicher Profitgier sollte es allemal bleiben. Dies immerhin wäre ein utopisches Beharrungs-Motiv, das man sich keinesfalls abmarkten lassen sollte.