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Ehemaliger Protagonist der Szene: Andreas Martin Hofmeir, bis 2014 Tubist bei LaBrassBanda. Foto: Juan Martin Koch
Ehemaliger Protagonist der Szene: Andreas Martin Hofmeir, bis 2014 Tubist bei LaBrassBanda. Foto: Juan Martin Koch
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Im Heimatsound zu Hause?

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Neue Volksmusik und die identitätsstiftende Funktion regional gebundener Klänge
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Der Begriff Heimat ist heutzutage in aller Munde. Vor allem im Zusammenhang mit Globalisierung, aber auch als politisches Schlagwort oder im alltäglichen Gebrauch nimmt Heimat häufig wieder einen zentralen Platz im Leben vieler Menschen ein. Aber welche Rolle kann Musik in der Auseinandersetzung mit Heimat spielen?

Heimat – für viele Menschen ein Wohlgefühl, der Ausdruck von Geborgenheit. Familie, Freundschaften, Landschaften, Orte, an denen Menschen aufgewachsen sind und Aktivitäten wie Sport oder Musik können heimatliche Zugehörigkeitsgefühle hervorrufen, gelten sie doch als prägende Einflussfaktoren für die Entwicklung der eigenen Identität. Seit einiger Zeit ist wieder eine stärkere Hinwendung zu lokaler und regionaler Verbundenheit zu beobachten. Die westliche Welt ist mittlerweile so schnelllebig und effizienzorientiert, dass viele Menschen den Blick für das Wesentliche verloren haben. Stress bestimmt das alltägliche Leben, und mit Meditationskursen und Waldbaden lässt sich heutzutage viel Geld verdienen. Ein Jetset-Leben entwurzelt die Menschen. Und in all dem liegt schließlich der Wunsch und die Sehnsucht nach Ruhe, Geborgenheit, vielleicht auch ein gewisses Back-to-the-Roots-Gefühl, nach Beständigkeit und sozialer Zugehörigkeit. Eben die Sehnsucht nach Heimat.

Räumliche Verortung

Aus solchen Entwicklungen heraus entstehen kulturelle Umwälzungen, die sich nicht nur in gesellschaftlichen Veränderungen, sondern auch in Kunst und Musik widerspiegeln können. Musikgattungen wie die Neue Volksmusik aus dem deutschsprachigen alpinen Raum – auch bekannt als Volxmusik oder Tradimix – zeigen, dass die Verwendung von Dialekten oder lokalen Spielweisen und Instrumenten (etwa Akkordeon oder Blechblasinstrumenten) wieder stärker an Bedeutung gewinnt. In diesem Genre, das sich nur schwer definieren lässt, treffen volksmusikalische Traditionen auf moderne Formen populärer Musik und Kultur und prägen auf diese Art und Weise innovative neue Stile mit Bezug zu traditioneller Musik. Wichtig ist dabei auch die räumliche Verortung: Denn bis heute werden bestimmte Musikstile, Instrumente, Spielweisen oder andere musikalische Merkmale gewissen Orten, Regionen oder Ländern zugeordnet – wodurch tatsächlich ortsgebundene heimatliche Zugehörigkeitsgefühle durch Musik hervorgerufen werden können.

In den 1970er Jahren, den Anfängen der Neuen Volksmusik, verfolgten einige Kunstschaffende dieses Genres vielerorts einen politischen oder sozialkritischen Ansatz. Da wären beispielsweise die bayerische Gruppe „Biermösl Blosn“, die sich aus drei Brüdern der Musikerfamilie Well zusammensetzt, ebenso wie der Österreicher Hubert von Goisern oder die Band „Haindling“ um Hans-Jürgen Buchner zu nennen, die alle das Bestreben hatten, die Volksmusik und die Dialekte ihrer Heimat nicht einem konservativen Umfeld zu überlassen, sondern sie neu einzubinden. Etwa ab den 1990er Jahren kam eine immer größere Experimentierfreude unter den Kunstschaffenden der (Neuen) Volksmusik auf, was etwa an der Gründung der Formation „Mnozil Brass“ zu beobachten war: Satire, neue Spielweisen, Instrumentationen oder Stile fanden Eingang in die Szene, während der politische Anstrich unter anderem im Zuge der Wirtschaftlichkeit stärker zurückging. Immer weitere innovative, aber auch weniger provokative Mischformen rückten im Zeitraum um die Jahrtausendwende in den Fokus, darunter etwa der Balkan-Brass, vertreten durch Bands wie „LaBrassBanda“, sowie der Dialektgesang in Rock, Pop und Hip-Hop. Der Zugang zu den heimischen Traditionen erfolgte häufig zunächst über die Beschäftigung mit fremden Kulturen, die die Musiker schließlich zu den eigenen Wurzeln führte und so einen Transfer in beide Richtungen ermöglichte.

Mittlerweile hat sich eine ausdifferenzierte Nachwuchsszene der Neuen Volksmusik etabliert, deren Künstler häufig eine professionelle Ausbildung genossen haben. Dazu gehören etwa Bands wie die „CubaBoarischen“ (bzw. seit 2019 „Cubaboarische Tradicional“), „Kellerkommando“, „Fei Scho“, „LaBrassBanda“, „Oansno“ und „Kofelgschroa“. Als Konzertmusik spricht die Neue Volksmusik auch neue Publika an und erreicht über Online-Musikplattformen wie Youtube und Spotify ein hohes Ausmaß an Popularität. Außerdem passen die Neue Volksmusik-Künstler ihre Musik den gesellschaftlichen Gegebenheiten der heutigen Zeit an, indem sie immer stärker sinnliche und körperliche Aspekte in die (musikalische) Diskussion um die eigene Herkunft miteinbeziehen. So vermitteln sie ihrem Publikum vor allem auch einen emotionalen Zugang zu dieser Musik. Neue Volksmusik verfolgt quasi einen ganzheitlichen Ansatz, was sich vor allem auch in der etablierten Festivalkultur zeigt. Musikfestivals dieser Szene wie etwa das „Alpenklang Festival“, „Woodstock der Blasmusik“, das „Kufstein Music Festival“, der „Antistadl“ oder das „Brass Wiesn Festival“ gehören mittlerweile fest zu dieser Art der Traditionspflege dazu. Auch andere Erlebnisangebote der Neuen Volksmusik wie Klangwanderungen, Jodelkurse oder musikalische Wochenenden in den Bergen sind gerade in und zeigen so nicht nur eine große Rundumschau dieser facettenreichen Musikszene, sondern können auch einen Anstoß für die Beschäftigung mit der eigenen Heimat geben.

Inwieweit bei einer solchen Eventisierung und doch auch kommerzorientierten Handhabung der Volksmusik eine sinnvolle und bewusste Auseinandersetzung mit Tradition, Herkunft und Heimat gegeben sein kann, lässt sich allerdings auch infrage stellen. Denn traditionelle Volksmusik war und ist bis heute das Gegenteil jeglicher Kommerzialisierung. Sie ist die Musik des Volkes, der Bürger und sollte jedem – im Vergleich etwa zu Konzertmusik – frei zugänglich sein und abseits jeglicher Vermarktung bestehen können. Doch heißt die Neue Volksmusik ja nicht umsonst Neue Volksmusik. Denn sie macht eben manche Dinge anders als die traditionelle Volksmusik. Und das ist auch gut so.

Neue Volksmusik als neuer Heimatfaktor?

Der Neuen Volksmusik haftet in vielen Aspekten ein ambivalenter Charakter an, sie polarisiert: Kritische Stimmen sehen in der Musik dieses Genres etwa durch die Vermischung von Stilen den Verlust der traditionellen Volksmusik. In diesem Verlustdenken wird eine solche Musik auch immer wieder in nationalistischen Kontexten verwendet. So mancher Künstler entpuppt sich im Deckmantel der Neuen Volksmusik als Wolf im Schafspelz. Und von der Volksmusik und der Auseinandersetzung mit der eigenen Heimat ist der Weg zu rechtem Gedankengut nicht mehr weit. Der sogenannte Neofolk etwa und diesem Genre zugehörige Bands wie „Von Thronstahl“ oder „Death in June“ vermischen Volksmusik, Rock, Metal und teils nationalistische bis faschistische Texte zum Thema Heimat und Herkunft miteinander und werden gerne von Mitgliedern der Identitären gehört. Die Gefahr, mit deutschen Texten und traditionellen Instrumenten in der rechten Ecke zu landen, besteht durchaus auch in der Szene der Neuen Volksmusik.

Doch die Neue Volksmusik birgt nicht nur solche Risiken, sondern hält auch große Chancen bereit: Viele vor allem jüngere Menschen begeistern sich gerade für den innovativen musikalischen Umgang mit Traditionen und Heimat. Die Künstler der Neuen Volksmusik befassen sich in ihrer Musik und ihren Texten gesellschaftskritisch mit den verschiedensten Aspekten wie etwa Zugehörigkeitsgefühlen und dem sozialen Umfeld, Orten und Regionen, Erfahrungen und Erinnerungen, Symbolen und Bedeutungen oder auch mit der Abgrenzung zu Anderem – einem Großteil dessen, was auch bei der Konstruktion von Identität und Heimat eine entscheidende Rolle spielt. Neue Volksmusik kann den Menschen in den deutschsprachigen alpinen Regionen also vor allem wegen ihrer räumlichen Verortung und der stark reflexiven Beschäftigung mit ihren (musikalischen) Traditionen einen neuen Zugang zum Thema Heimat ermöglichen – oder Heimat sogar mit formen.

Dabei drängt sich immer wieder die Frage auf, wie eine respektvolle Auseinandersetzung mit dem kulturellen Erbe einer Region gewährleistet werden kann, ohne es einerseits zu sehr zu verändern und aus dem Kontext zu reißen und andererseits zu wenig an aktuelle Entwicklungen anzupassen. Dieser Problematik sieht sich Musik als stets veränderliche Kunst immer gegenüber. Vor allem Volksmusik, also die Musik, die hauptsächlich in mündlich überlieferter und improvisierter Art und Weise weitergegeben wird, wird häufig mit schleichenden oder auch explizit herbeigeführten Veränderungen konfrontiert. Und muss schließlich darauf reagieren. Doch gerade wegen dieser Flexibilität kann Musik auch zu diversen gesellschaftlich relevanten Themenfeldern Stellung beziehen. Die Neue Volksmusik ist die Ergänzung und Weiterentwicklung der traditionellen Volksmusik, und das ist der springende Punkt: Vor allem durch diese Veränderungen, Erweiterungen und Weiterentwicklungen werden musikalische Traditionen auch an jüngere Generationen weitergeben. Und vor allem dadurch schafft Musik einen Rückbezug zu Heimat auch für Entwurzelte und jüngere Menschen dieser Regionen. Indem sie Interessen mit Sehnsüchten verbindet. Durch die oftmals ganzheitliche Beschäftigung mit den Themen Heimat und Herkunft, etwa den Einbezug des Körperlichen, einen starken Fokus auf die kollektive, soziale Komponente von Musik oder den häufig stattfindenden Rückgriff auf Natur und Natürliches, lässt die Neue Volksmusik die Heimat als etwas Greifbares erscheinen.

Und Neue Volksmusik ist cool: Sie findet im Freien und in Clubs statt, sie mixt Hip-Hop, Reggae und Ska-Rhythmen mit Blasmusik, sie stimmt nachdenkliche Singer-Songwriter-Texte auf traditionellen Instrumenten an. Die Gruppen „Kellerkommando“ und „LaBrassBanda“ haben mittlerweile Kultstatus erreicht und werden nicht nur regional, sondern auch national und international gefeiert. Und das alles wegen dieser speziellen Verbindung aus Alt und Neu, wegen der spannenden Identifikationsmöglichkeiten und wegen des Rückbezugs auf die eigene Heimat, mit der doch so vieles verbunden ist.
 

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