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Kaffee, Geld und Golfplatz

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Ein E-Mail zum Thema Schulmusik aus Guatemala
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Mit dem mentalen und räumlichen Abstand fand ich die ersterwähnte Sendung in ihren Vorwürfen beinahe pervers überzogen. Anstatt sich über die noch existierende Vielfalt und Qualität an Orchestern in Deutschland zu freuen, wühlt man („typisch deutsch“) in der „ideologischen Seelenmüllkiste“ herum, nimmt noch ein paar Klischees hinein („verbeamtete Musiker können ja gar nichts können“) und jammert vor sich hin. Hier in Mittelamerika werden Orchestermusiker als bessere Schuhputzer betrachtet, die zu dumm waren, einen einträglichen kaufmännischen Beruf zu erlernen und die etwa im Falle des Orquesta Nacional de Guatemala wie ein mittleres Laienensemble spielen. Die Bezahlung ist miserabel und alle Nationalmusiker müssen nebenher in der Bank oder sogar in einem Handwerksberuf arbeiten, um überleben zu können. Um musikalische Qualität kümmert sich in Mittelamerika niemand mehr. Hier zählt nur Kaffee, Geld und der Golfplatz. In Deutschland, meine ich, wird vieles einfach kaputt geredet, was eigentlich noch ganz gut funktioniert.

Ich arbeite als Schulmusiker (aus Bayern vermittelt) seit 1998 am Colegio Alemán de Guatemala und freue mich immer riesig über das Internetangebot (Taktlos-Magazin) als meine letzte Verbindung zur „vermeintlich“ noch heilen Kulturwelt daheim. Persönlich besonders betroffen machten mich in mehrerer Hinsicht die Sendungen „Orchestermusiker“ und „Notfall Schulmusik“. Mit dem mentalen und räumlichen Abstand fand ich die ersterwähnte Sendung in ihren Vorwürfen beinahe pervers überzogen. Anstatt sich über die noch existierende Vielfalt und Qualität an Orchestern in Deutschland zu freuen, wühlt man („typisch deutsch“) in der „ideologischen Seelenmüllkiste“ herum, nimmt noch ein paar Klischees hinein („verbeamtete Musiker können ja gar nichts können“) und jammert vor sich hin. Hier in Mittelamerika werden Orchestermusiker als bessere Schuhputzer betrachtet, die zu dumm waren, einen einträglichen kaufmännischen Beruf zu erlernen und die etwa im Falle des Orquesta Nacional de Guatemala wie ein mittleres Laienensemble spielen. Die Bezahlung ist miserabel und alle Nationalmusiker müssen nebenher in der Bank oder sogar in einem Handwerksberuf arbeiten, um überleben zu können. Um musikalische Qualität kümmert sich in Mittelamerika niemand mehr. Hier zählt nur Kaffee, Geld und der Golfplatz. In Deutschland, meine ich, wird vieles einfach kaputt geredet, was eigentlich noch ganz gut funktioniert. Die Sendung „Notfall Schulmusik“ hat mich als in diesem Beruf langsam und zusehends mehr Frustriertem natürlich sehr stark getroffen, weil jetzt erstmalig etwas ans Tageslicht kommt, was seit langer Zeit marode ist. Seit 1986 arbeite ich im Schuldienst und versuche seitdem gegen die schleichende Banalisierung des Musikunterrichts zu kämpfen. Um weiterhin professionell auf dem Laufenden zu bleiben, studierte ich zehn Jahre lang neben meiner Arbeit in der Schule Musikwissenschaft in Erlangen und Eichstätt, spiele regelmäßig unter einem Pseudonym Klavierkonzerte (mit der Berufsangabe Schulmusiker wird man automatisch als Künstler nicht ernst genommen), schrieb hunderte von Konzertkritiken in Zeitungen und werde trotzdem weder als Musiker noch als Pädagoge ernstgenommen. Das Gerede vom Freiraum in der Schule ist ein Blödsinn, letztlich wird man von seinen „wissenschaftlichen“ Kollegen zum „Singdeppen“ degradiert, Schüler und Eltern wollen nur das hören, was sie schon kennen. Wenn man sich nicht anpasst (außer man hat das Glück an einer alten Traditionsschule zu unterrichten) wird man als Unpädagoge beschimpft.

Wenn ich nächstes Jahr nach Bayern zurückkehren muss, habe ich jetzt schon die schlimmsten Alpträume. Klasse 5–8 kann man wegen Musik nicht durchfallen, also tut niemand was, in Klasse 9 kann man niemand zum Arbeiten zwingen (das heißt zum Beispiel schon überhaupt noch ein Musikheft kaufen oder eine Hörkassette häuslich vorzubereiten), weil die Jahre vorher ja niemand etwas tun konnte. In Klasse 10 wählt man Musik ab, in Klasse 11 muss man sie wieder nehmen, in 12 und 13 kann man sie wieder abwählen. Mir wurde oft von deutschen Schülern gesagt, wenn schon das System Musik als unwichtig einstuft, kann man auch von Schülern kein größeres Interesse erwarten. Innerhalb der Schule wird gnadenlos in die Schüler hineingepresst. Oft musste ich aus „pädagogischen“ Gründen von nachdenkenswerten Inhalten absehen, da viele Schüler ihre gesamte Energie für Naturwissenschaften aufbringen müssen. Andererseits ist Musik doch kein rein emotionales Firlefanzfach. Eher umgekehrt. Alles was mit professioneller Musik zu tun hat, braucht mentalen Hintergrund. Da wo Musik interessant wird, wird sie doch auch mental, oder? Dieser Zwiespalt zwischen Wahrheit und aufgezwungener (nicht cognitiver) Funktion hat auch mich psychisch an den Rand gebracht (ich bin jetzt 42 Jahre alt). Auf Partys oder Empfängen stelle ich mich als Journalist vor, um nicht sofort „in Ungnade zu fallen“. Ich schäme mich regelrecht, diesen Beruf gewählt zu haben. Meine Schülern hier in Guatemala muss ich immer wieder den übertriebenen Respekt vor dem „kulturellen“ Deutschland relativieren. Er stimmt einfach nicht mehr.

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