Unter dem Titel „Wieviel Ökonomie braucht die Musik?“ findet am Freitag, 20. Oktober 2017 der öffentliche Teil der Mitgliederversammlung des Deutschen Musikrats statt. Im Rahmen der Veranstaltung soll vor allem das Zusammenwirken von kultur-, markt- und gesellschaftspolitischen Aspekten beleuchtet werden. Im Zentrum steht unter anderem folgende Frage: „Inwiefern kann die zunehmende Ökonomisierung unserer Gesellschaft mit künstlerischer Kreativität vereinbart werden?“ Die nmz-Redaktion ließ sich vom Thema zu einer Umfrage unter Kreativen inspirieren. Etwas verschärft fragten wir „Kastriert Kapitalismus Kreativität?“
Über Musik und Kapitalismus
Erst die kapitalistische Wirtschaftsform „hat bewiesen, was die Tätigkeit der Menschen zustande bringen kann. Sie hat ganz andere Wunderwerke vollbracht als ägyptische Pyramiden, römische Wasserleitungen und gotische Kathedralen, sie hat ganz andere Züge ausgeführt als Völkerwanderungen und Kreuzzüge.“ „Die Bourgeoisie hat in ihrer kaum hundertjährigen Klassenherrschaft massenhaftere und kolossalere Produktionskräfte geschaffen als alle vergangenen Generationen zusammen. Unterjochung der Naturkräfte, Maschinerie, Anwendung der Chemie auf Industrie und Ackerbau, Dampfschiffahrt, Eisenbahnen, elektrische Telegraphen, Urbarmachung ganzer Weltteile, Schiffbarmachung der Flüsse, ganze aus dem Boden hervorgestampfte Bevölkerungen – welches frühere Jahrhundert ahnte, daß solche Produktionskräfte im Schoß der gesellschaftlichen Arbeit schlummerten“, schrieben Karl Marx und Friedrich Engels im Manifest der Kommunistischen Partei. Der Kapitalismus, zu dessen Grundlagen neben Technologien auch der Protestantismus zu nennen wäre, presst aus den Menschen bis dato nie gekannte Leistungen heraus, das ist offensichtlich.
Béla Bartók sagte, Wettbewerb sei etwas für Pferde, nicht für Musiker. Es sollten intrinsischere Motive walten als der Konkurrenzdruck: der Ausdruck. In der Neuen Musik gilt es, unüberholbar seinen eigenen Weg zu gehen, nicht in Wettstreit mit anderen zu treten. In Arnold Schönbergs Tradition stehen heißt, mit ihm zu brechen. Doch ist das freilich genau die Devise von Silicon Valley. Dort geht man dem Wettbewerb aus dem Weg, wo es nur geht. Wettbewerb ist Vergleich und Abgleich, hingegen wäre das Ziel, etwas Einzigartiges zu schaffen, wofür man dann das Monopol besitzt. Der nächste Bill Gates entwickelt kein Betriebssystem. Die nächsten Larry Page und Sergey Brin programmieren keine Suchmaschine. Der nächste Mark Zuckerberg gründet kein soziales Netzwerk.
Ich habe einmal das Gedankenexperiment aufgestellt, was für eine Musik wohl herauskäme, wenn es analog zum „Bedingungslosen Grundeinkommen“ eine „Bedingungslose Aufführungsgarantie“ gäbe, Komponist*innen sich alle Zeit der Welt nehmen könnten und komponieren dürften, was und wie sie wollten. Es gibt zwar Projekte wie Open-Source-Software und Wikipedia, doch allergrößtenteils ist der Kapitalismus so omnipräsent und stark verinnerlicht, dass kaum abzusehen ist, was bei dem Experiment herauskäme. Immerhin: Ich glaube, den Produkten aus Silicon Valley verdanken wir, dass wir überhaupt ein bedingungsloses Grundeinkommen diskutieren.
Johannes Kreidler, Komponist