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Kettenklirren, Ölfassdonnern und Maschinenkreischen

Untertitel
Zwanzig Jahre Einstürzende Neubauten · Eine Einschätzung von Stefan Raulf
Publikationsdatum
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Immerhin, an unterschiedlichsten Facetten, über die man sich ihnen nähern kann, mangelt es den Einstürzenden Neubauten nicht. Dass sie unnahbar oder gar schwer zugänglich seien, ist nur einer von vielen Irrtümern rund um diese Band aus Berlin. So verbockt er sich auch geben mag, Sänger und Texter Blixa Bargeld stellt sich ganz gern den Interviews, und er hat immer ein paar knackige Bonmots auf Lager. Bassist Alexander Hacke ist mit Meret Becker nicht nur liiert, sondern sie bieten auch gemeinsame Arbeiten an – so dass journalistisches Interesse nicht nur aufs Private abheben muss. Mark Chung und FM Einheit wiederum sind Mitte der 90er ausgestiegen, was vor allem letzteren als jahrelangen zentralen Ölfassschläger der Band aber erst recht interessant macht, und seine aufwändigen anderweitigen Projekte gleich mit. Jochen Arbeit (Gitarre) und Rudi Moser (Perkussion) schließlich sind seitdem dabei, gelten aber immer noch als die Neuen. Natürlich gibt es da noch zwei entscheidende Punkte: Das künstlerische Tun der Einstürzenden Neubauten und die deutsche Geschichte. Und die hat es mit der Band wirklich gut gemeint.

Auf den 1. April 1980 ist das Konzert im „Moon“ in Berlin datiert, bei dem sie als Einstürzende Neubauten erstmals öffentlich lärmten: Bargeld, bürgerlich übrigens Christian Emmerich, jetzt 41 Jahre alt, und N.U. Unruh – Andrew Chudy, 43, der Zurückhaltende, den man beim Line Up immer erst mal vergisst – rumpelten und kreischten damals zusammen mit den Musikerinnen Gudrun Gut und Beate Bartel. Das Konzert machte Furore, und das Projekt ritt bald darauf auf unterschiedlichen gesellschaftlichen Wellen mit. Eine junge Kulturszene war im Aufbruch, aber sie war nicht einheitlich. Natürlich kämpfte man gegen den NATO-Doppelbeschluss von Schmidt und Genscher, aber hier, in den Punk- und Industrie-Hinterhöfen Berlins, kämpfte man im gleichen Moment gegen die benickelbrillte und BAP- und Bots-beschallte, die sichtbare Friedensbewegung. Hier hatte man auch die bundesweit erfolgreiche Verdrängung der RAF-Ideologien nicht vergessen (Bargeld in einem US-Interview von 1993: „The RAF were my heroes“), und thematisierte gern, wie es ist, „mit der Mauer zu leben“. Und hier tummelten sich die Aktivisten der Zeit. Ein junger Mann namens Klaus Maeck drehte über die sich an das Konzert anschließende Tour der Neubauten ein Video, „Die Berliner Krankheit“. Das erhielt im darauf folgenden Jahr viel Aufmerksamkeit, ließ die erste Welttournee möglich werden, das erste Album „Kollaps“ erschien, und schon 1982 trat die Band auf der Biennale in Paris und der Kasseler documenta auf. Klaus Maeck ist nach wie vor ihr Manager.

Entern der Kulturlandschaft

Einstürzende Neubauten in sich überschlagenden Ereignissen. Eine Karriere wie eine Boygroup in den 90ern. Nur haben die Neubauten nicht die Charts, sondern die deutsche Kulturlandschaft geentert. Nicht flächendeckend, aber an strategisch wichtigen Punkten. Im März 1983 erscheinen die Grünen per Wählervotum im Deutschen Bundestag, die Oppositionsbänke neben der gerade abgewählten SPD. Helmut Kohl ist da.

Nicht Töne produzieren, sondern Ereignisse verursachen. Foto: Zomba Records

Die Einstürzenden Neubauten richten sich in ihrer ganz persönlichen Opposition ein. Und mit Sätzen wie „Ich will keine Töne produzieren, es gibt doch schon genug. Ich will Ereignisse verursachen“ (Bargeld 1983) oder Allgemeinplätzen wie „Wer sich am kommerziellen Musikgeschmack orientiert, dient der Reaktion“ (Der Satz eröffnet immer noch die Homepage der Band) wird die Verortung in der Kunstwelt vorangetrieben. Dort ist der Import von Zeichen der Popkultur gerade sehr beliebt.

Ihre Musik, Improvisationsorgien mit Kettenklirren, Ölfassdonnern und Maschinenkreischen, verkauft die Band erfolgreich als den Lärm ihres Lebens, organisiert und mit der Zeit mehr und mehr auskomponiert als rituell geformte Exzesse. Obwohl die intellektuelle Geheimnistuerei drumherum gar nicht so recht funktioniert. Auch das ist ein Irrtum der Mythenbildung um die Band. Niemand hat Probleme, sie zu verstehen. Der Glaube „Kunst muss wehtun“ ist weit verbreitet. Probleme haben viele einfach damit, ohne Ohrenschaden zuzuhören.

Aber Blixa Bargeld weiß schon damals die distanzierte Neugier zu kanalisieren. Nach und nach wandelt er sein Image als irre gewordenes Underground-Gespenst zum sardonischen Priester, zum Künstler einer in die Moderne gebeamten schwarzen Romantik. Das trifft den Nerv dieses neuen, jungen deutschen Bildungsbürgertums, das nach Avantgarde schmachtet und sich um Joseph Beuys, Peter Zadek, Heiner Müller und andere Kulturschocker bemüht.

Und siehe da: An all diese deutschen Kultur- und Feuilletonhelden schaffen es die Neubauten anzudocken. Während der Höhepunkt der Parteispendenaffäre 1987 ein paar Politköpfe rollen lässt, verzahnt sich diese Szene aufs Lukrativste. Mit Zadek wird das Musical „Andi“ in Hamburg initiiert, ein paar Monate später beginnt die langjährige Zusammenarbeit mit Heiner Müller. Die Einstürzenden Neubauten sind an ihrem eigentlichen Bestimmungsort angekommen, dem Theater. Und nur sehr wohlmeinende Zeitgenossen wie der Münchner Journalist Harry Lachner attestieren ihnen gar noch im Nachhinein, im Januar 2000, die Absicht der Subversion: „Von der bewussten Kunstlosigkeit ab in die heiligen Hallen der Theater? Die Strategie (…) bedeutete vielmehr: Feindesland betreten – und erfolgreich besetzt.“ So wie Helmut Kohl und die ehemalige DDR seit 1989?

Nein, die Berliner Mauer ist einfach weg, und 1994 spricht Blixa Bargeld in Potsdam den Mephisto für ein Stück von Werner Schwab. Er taucht auch in Filmproduktionen auf, und für Nachfragen hat er sich eine prima Antwort zurecht gelegt: „Eigentlich will ich nur Hitler und Jesus spielen. Wenn ich das gemacht habe, spiele ich nie wieder.“ Jesus, Mephisto, Hitler – mehr kann man für die deutsche Nachkriegskultur nicht tun.

Vielmehr hat sich bei den Einstürzenden Neubauten in den Neunzigern auch nicht getan. Während sich mit den Grünen die letzten halbwegs relevanten Kräfte links von der allumfassenden „Mitte“ zwischen Fundi und Realo zerreiben, pflegen die Einstürzenden Neubauten ihre Rolle als die domestizierten Ratten der Republik. Damit sind sie jedem medialen Kulturmagazin immer mal wieder eine Meldung wert. So wie ein paar Jahre zuvor im TV auffällig häufig junge bunte Punker am Bahnhof Zoo mit eigentlich doch ganz süßen Ratten auf der Schulter gezeigt wurde, taucht Kettenraucher Blixa Bargeld nun in allen möglichen feuilletonistischen Kontexten auf, mittlerweile gern mit schwarzem Hut (dem so ziemlich verbrauchtesten Klischee, mit dem sich ein Künstler als solcher markieren kann). Symptomatisch zeugt das mittlerweile legendäre, jämmerliche Gestotter von Roger Willemsen, Blixa Bargeld und Nick Cave in „Willemsens Woche“ (ZDF, 22.4. 1997) davon, wie wenig man noch zu sagen hat. Und was Blixa Bargeld öffentlich sagt, muss man als Inszenierung rezipieren, denn längst hat er den Bargeld als Kunstfigur/künstlerische Figur geoutet.

Dass sich der musikalische Output der Einstürzenden Neubauten schon im Verlauf der Achtziger vom intuitiven Chaos-Lärm der Anfänge verabschiedet hatte, ist zwangsläufig. Die Band lag mit ihren Aussagen, dass der künstliche Erhalt dieses Chaos nur peinlich gewesen wäre, natürlich richtig. Und so hielten nach und nach kompositorische Strukturen, Melodien und gar Lieder Einzug, ganz folgerichtig für Musiker, die ihre Erdung im Pop immer wieder bewiesen haben, vor allem in zahlreichen Nebenprojekten. Was sie nicht daran hinderte, jede musikalische Wendung so spektakulär und künstlerisch mutig wie möglich darzustellen.

Was die sich so zügig wie disparat entwickelnde Welt der progressiven Popmusik ihnen und vor allem Blixa Bargeld nicht verzeiht, ist genau diese nach außen getragene Selbstüberschätzung des eigenen Tuns, gekoppelt mit dem künstlerisch-romantischen Bedeutungs-Schwulst, geradezu wagnerianischen Muff, den Bargeld und seine Neubauten seit Jahren in die Welt raunen. Selbst gelegentliche intelligente Anfälle von Ironie werden damit verschmiert. Wie sich das anhört, zeigt das aktuelle Album „Silence Is Sexy“. Raunend stapft es auf der Stelle, das Flüstern wird einmal mehr als neu entdeckte ästhetische Qualität verkauft. Und wenn der Titel schon wie ein überflüssiger Zeigefinger winkt, so wird im gleichnamigen Track das Geräusch des An-der-Zigarette-ziehen herausgestellt, als käme diese Aufnahme einer Revolution gleich.

Doch eine Revolution gibt es nicht, schon gar nicht mit den Einstürzenden Neubauten. Sie schäumen ein biss-chen, Bargeld zum Beispiel angesichts des Verkaufs seines geliebten Potsdamer Platzes an Sony und Benz. So wie in Berlin die Loveparade schäumt, oder manchmal der Kanzler oder ein paar grüne Hinterbänkler. Falls wirklich etwas gefährlich brodeln sollte, dann tut es das irgendwo in irgendwelchen Hinterhöfen, und zwar genau gegen die in Hochkultur geronnenen Rebellen von vor zwanzig Jahren. Die haben es dafür zum Eintrag in Meyers Großes Taschenlexikon geschafft (7. Auflage, 1999), nebst Grönemeyer, Udo Lindenberg und Nina Hagen. Immerhin, die Toten Hosen mussten draußenbleiben.

Jubiläumsalbum

  • Silence Is Sexy (Rough Trade/Zomba)

Die Einstürzenden Neubauten im Internet

Konzerte im September:

  • 8.9., Budapest
  • 9.9., Klagenfurt
  • 15.9., Brüssel
  • 18.9., Frankfurt, Main
  • 19.9., Braunschweig
  • 20.9., Berlin

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