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Original oder Fälschung?
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Kinder, warum klingt ihr alle gleich?

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Das Deutschpop-Wunder als Schrecken ohne Ende
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Was wurde gefeiert und geschunkelt, als die Band „Wir sind Helden“ mit ihrem Album „Die Reklamation“ 2003 in die Vormachtstellung des angloamerikanischen Popsongs krachte. Eine Sängerin, Gitarre breitbeinig „im Anschlag“, eine männliche Band dahinter und Texte, ja Texte, die selbst Harald Schmidt veranlassten, die „Helden“- Frontfrau Judith Holofernes in seine damalige SAT1-Show einzuladen, um ihre Konsum- und Gesellschaftskritik näher zu erläutern. Ein Märchen schien das zu werden, denn viel zu lange schon suchten den Phono-Konsumenten die Casting-Stars heim.

Ein Märchen, das insbesondere die darbende nationale Phonoindustrie wieder wach küsste. Wenn eine Band wie „Wir sind Helden“ einmal funktioniert, dann lässt sich das mit Sicherheit öfter reproduzieren. Fortan war es kaum wichtig, was auf dem Demoband der jungen einheimischen Band zu hören war, die Peripherie musste passen: Junges Mädchen singt frech-frivole Texte, junge Burschen mit Fußballerfrisur spielen im Hintergrund Instrumente. Schon gesehen oder gehört? Klar, bei Nena und dem Rest der NDW. Wo also nun „Wir sind Helden“ einen Ansatz lieferten, deutschsprachige Musik in unserem Dichterland salonfähig zu machen oder gar mit Würde zu gestalten, aasten bereits die Plattenmanager in sämtlichen Proberäumen der Nation und modellierten sich ihre Bands zurecht. Und da lag der erste Fehler, der zur Überstrapaze führte, denn es musste nur „in etwa“ so klingen wie „Wir sind Helden“ oder „Sportfreunde Stiller“, dem Trio aus München mit dem größten Vorreitereffekt.

Reingefallen sind alle auf die Masche der Manager: Konsumenten, Journalisten, Nachwuchsbands. Im Deutschpop-Rausch gefangen verloren alle den Boden unter den Füßen und den Bezug zur Realität. Hauptsache deutscher Text, zwei Silben gegen den Staat, drei Statements, die man zur Not als Konsumkritik im allerweitesten Sinn zurechtbiegen konnte und aus dem Schwips wurde Ekstase. Völlig von Sinnen wurden Labels gegründet, die vornehmlich und in Massen deutschsprachige Musik veröffentlichten. Enthusiasmiert wurden Internet-Plattformen geschaffen, die ausschließlich Deutschpop in allen Aus-wirkungen (Musik, Film, Literatur) kannten. Ganze Open-Air-Festivals wurden 2004 mit deutschsprachigen Künstlern besetzt. Und natürlich mussten auch Beamte des Staates ihre Profilneurose pflegen und entfachten runde Tische, die eine Quote für deutschsprachige beziehungsweise in Deutschland erstellte Musik forderte. In Wahrheit entpuppen sich jedoch seit Jahren dahinsiechende Deutschpopper, die selbst im Hype nicht zum Zuge kamen, als ständige Quotendrängler. Und um dem Phänomen wirtschaftlich gerecht zu werden, gründeten mehr oder wenige wichtige Leute aus Branche und Politik noch das Musikexportbüro, das die nun einschlagenden Phonogüter ins Ausland tragen sollte.

Alle ließen sich blenden und folgten dem Tunnelblick. Scheinbar alle mittelmäßigen Bands wurden mit Plattenverträgen ausgestattet und zu Sprachikonen wie Komponisten hochgejubelt. Schlüpfrige Aussagen („Mach’s dir selbst“, Silbermond) als Botschaft verkauft und das Merkmal Qualität wurde hemmungslos ausgerottet. Qualität, die nicht nur im Trend Bestand hat, sondern als Haltung über Jahre fungiert und sowohl Musik, Text als auch Einstellung betrifft. Einst meinte man damit Künstler wie „Fehlfarben“, „Ton, Steine, Scherben“, ja vielleicht auch Lindenberg, Kunze und Reinhard Mey. Doch wenn wir heute die vom Schampus verklebten Augen öffnen, wird uns doch sukzessive bewusst, mit welch sich simpel wiederholenden Stilmitteln sich die jungen Wilden darstellen, egal ob sie nun Silbermond, Juli, Tele, Die Springer, Virginia Jetzt!, Klee, Mia oder Mohnblau heißen. Wenn sie nicht gerade alle nach „Nena“ oder „Extrabreit“ klingen, geht es zunächst darum, eine eindeutige Linie zwischen Strophe und Refrain zu ziehen. Gerne nimmt man die Mutter aller Girliebands, „Garbage“ mit Sängerin Shirley Manson, als Maßstab und initiiert das alte Dynamik-Spielchen: leise Strophe-lauter Refrain mit geschrammelten Gitarren, denn das werden die Jungs in Trainingsjacken hinter dem Girlie live noch auf die Reihe kriegen. Dann gibt es die Verniedlicher im „Nena“-Stil. Da ist die Aussprache der Laute wichtig. Es heisst nämlich „ü“, nicht „i(e)“. Nicht „Liebe“ sondern „Lübe“. Ein „t“ am Wortende wird lautmalerisch verschluckt, im schlimmsten Fall heisst es nun also „nüch“ anstatt „nicht“.

Nun, diese Lautproben blieben noch verkraftbar, wären da nicht die in zunehmendem Maß peinlicher werdenden Texte. Sicher, vor einem Jahr wurden sie alle gefeiert, weil sie so „frei Schnauze“ dichteten. Doch die Jung-Goethes wurden übermütig und Schmerz unempfindlich, doch Texter der Plattenfirmen konnten nicht helfen. Die sind nämlich „wech“. Entlassen. Und weil man die Texte aller Künstler hochjubelte, servieren uns beispielsweise „Virginia Jetzt!“ 2005 einen besonderen Leckerbissen zum Thema Lübe: „…wahre Liebe ist ein Produkt der Fantasie. Was du auch tust, sie erreicht dich einfach nie“. Da heisst es schlucken, denn wie unpathetisch klingt dagegen ein „Manchmal möchte ich schon mit Dir“ von Roland Kaiser aus dem Jahr 1982. Gereimt wird, was „Google“ unter dem entsprechenden Suchbegriff ausspuckt: „Ja ich weiß, es war ’ne geile Zeit, uns war kein Weg zu weit“, stelzen sich Juli durch den Text ihrer Siegerhymne des Bundesvision Song Contest. Und wenn Silbermond verschmitzt zweideutig werden, reicht es immerhin noch im Refrain zur schalen Anzüglichkeit: „Mach’s dir selbst, Überleg nich, Mach’s dir selbst, Besser geht’s nich, Du willst viel und noch mehr, Es kommt nichts von ungefähr, Jetzt liegt es in deiner Hand…“.

Damit aber nicht genug der „Dr. Sommer“-Lyrik. Lebensweisheiten und Psychokram werden frei Haus dazu verkauft. Regelrecht belästigt wird man mit verödeten Romanzen der jungen Menschen, die da offensichtlich einen ungesunden Verschleiß haben. Es ist schlicht von allem zu viel geworden. Zu viel der Popliteratur in deutschen Liedtexten, zu viele durchgestylte Bands, zu viele Reißbrett-Songs. Und nun, da der Kater langsam einsetzt, wird man unsicher. Wer will und kann noch nach Qualität und Nachhaltigkeit entscheiden? Es gibt hunderte von Bands in Proberäumen, die entweder schon immer wie Juli, Silbermond oder Sportfreunde Stiller klingen oder plötzlich nach ihnen klingen müssen, um gehört zu werden. Butterweiche Fundamente werden von der Phonoindustrie wieder vernichtet. Aus Profitgier, Ekstaselust und Angst, bald selbst vor die Hunde zu gehen. Dann doch lieber den Trend vernichten. Doch wenn Bands, die mit Coverversionen der „Ramones“ begannen und plötzlich deutsch singen sowie aus Punk Pop machen, bereits in diesem Stadium beginnen, alles zu verleugnen, was sie vielleicht zur Musik brachte, dann ist das ein klassischer musikalischer Schwangerschaftsabbruch.

Ja, es war ’ne geile Zeit
Doch wir sind nie gefeit
Das Ende zu verstehen
Wenn Träume so subtil vergehen…

Siehe auch:

Neue Texter hat das Land
Deutsche Künstler und die alte Liebe Muttersprache · Von Sven Ferchow

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