Seine Lieder prägen die 60er Jahre, mit trotzigem Pioniermut erneuert er Folk, Rock und Blues. Dass er dabei große Song-Literatur schreibt, bringt ihm 2016 den Nobelpreis ein. Jetzt wird Bob Dylan 80 - und immer noch ist der «Picasso unter den Songwritern» hochkreativ.
Berlin - Es passt zu diesem Mann, dass er auch im Moment seines größten Triumphs so rätselhaft und unberechenbar ist wie eh und je. Bob Dylan bleibt sich eben treu - und das seit 60 Jahren als mutiger Erneuerer und wohl größter Songpoet der Musikgeschichte.
Es geht hier schließlich um einen Künstler, der sich in einem sehr berühmten Lied mit einem zufällig durch die Welt rollenden Stein identifiziert («Like A Rolling Stone»). Und der in einem anderen Song, Jahrzehnte später, raunt: «In mir steckt so vieles» («I Contain Multitudes») - aber bestimmt niemand, der stets gefallen will.
Im Dezember 2016 also soll der am 24. Mai 1941 geborene Robert Allen Zimmerman alias Bob Dylan als erster Rockmusiker überhaupt «für seine poetischen Neuschöpfungen in der großen amerikanischen Songtradition» mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet werden. Aber er schwänzt die Zeremonie in Stockholm, stattdessen singt seine Verehrerin und Freundin Patti Smith für ihn eines seiner Lieder.
Monate später, im April 2017, nimmt der US-Amerikaner - quasi ohne Öffentlichkeit - die Ehrung entgegen. Die geforderte Nobelpreis-Rede liefert er erst kurz vor Fristablauf im Juni nach. Auch viele treue Fans fassen sich an den Kopf: Was sollte das nun wieder?
Seither hat Dylan, der am Montag (24. Mai) 80 wird, als alter, unbeugsamer Herr noch etliche Konzerte im Rahmen seiner 1988 begonnenen «Never Ending Tour» gegeben, die erst 2020 durch ein kleines, tückisches Virus (vorläufig?) gestoppt wurde. Er hat Sinatra-Stücke geknödelt, mit «Murder Most Foul» ein 17-Minuten-Epos auf Platz 1 der Charts gebracht und das weltweit gefeierte Album «Rough And Rowdy Ways» veröffentlicht. Mit dem Verkauf seines Liedkatalogs an einen Musik-Multi irritiert Dylan manche Verehrer - 300 Millionen US-Dollar soll ihm der Deal eingetragen haben.
Ja, wäre dieser Begriff nicht inzwischen politisch so brisant - man könnte ihn wohl als lebenslangen Querdenker bezeichnen. Oder auch als Pop-Chamäleon. Wie das Maler-Genie Pablo Picasso (mit dem ihn sein Songwriter-Kollege Leonard Cohen mal verglich) lässt sich Dylan nie festlegen. Vom Folk- und Protestsänger der US-Bürgerrechtsbewegung in den 1960ern über den hitzigen Gitarrenrocker und den sinnsuchenden Christenmenschen bis zum altersweisen Blues-Raben ist alles drin.
Dylan-Experte Maik Brüggemeyer («Catfish: Ein Bob Dylan Roman») betont, die Identität dieses Songwriters sei «permanent im Fluss, variiert und verändert sich». Der frühere «Spiegel»-Chefredakteur Stefan Aust und Co-Autor Martin Scholz schreiben im Vorwort ihres neuen Interviewbandes: «Diese und die vielen anderen Metamorphosen, sie sind inzwischen in mehr als tausend Büchern beschrieben worden. Kein anderer Pop-Musiker hat darüber hinaus derart umfangreiche intellektuelle Anstrengungen provoziert, seine Texte und ihn zu verstehen.» Gemeint sind natürlich Millionen «Dylanologen», die jedes Wort des Meisters aufsaugen und bewerten.
«Elvis hat den Körper befreit, Dylan den Geist», so der US-Songwriter-Kollege und Bewunderer Bruce Springsteen (71). Auch Aust und Scholz analysieren, «His Bobness» habe «das Literarische, das Intellektuelle in die populäre Musik gebracht. Er wurde ein Dichtermusiker, der im Laufe seiner Karriere Identitäten angesammelt und wieder abgelegt hat wie andere ihre T-Shirts.» Damit habe er aber auch immer wieder die «eigene Legendenhaftigkeit» zerstört und sei «ein ewig Rastloser» geblieben.
Rückblende. Wie bei so vielen prägenden Popmusikern der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts beginnt Bob Dylans Laufbahn recht unspektakulär. Der junge Mann aus Duluth im US-Bundesstaat Minnesota spielt in regionalen Bands Rock'n'Roll. Dann entdeckt er 1959 die neue Folk-Bewegung, kombiniert Gitarre und Mundharmonika mit seinem nasalen Gesang.
Die Initialzündung führt ihn ins New Yorker Szeneviertel Greenwich Village - bald darauf mit neuem Künstlernamen, den er sich beim walisischen Dichter Dylan Thomas geliehen hat. Seine Vorbilder: der linke Folk-Sänger Woody Guthrie und schwarze Blues-Musiker wie Robert Johnson oder Leadbelly.
«Amerika wandelte sich», wird Dylan später in seiner Autobiografie «Chronicles» (2004) schreiben. «Ich ahnte eine schicksalhafte Wendung voraus und schwamm einfach mit dem Strom der Veränderung.» Der Durchbruch kommt 1963 mit dem melancholischen Lied «Blowin' In The Wind». Kräftig gefördert wird der Newcomer von der damals bereits renommierten Protestsängerin Joan Baez, die jüngst über das Zerbrechen der mehrjährigen Liebesbeziehung generös sagte: «Emotional war das zeitweise schon schwierig. Aber wissen Sie was: Seine Lieder waren einfach zu gut, ich konnte sie nicht ignorieren.»
Wütende Songs wie «Masters Of War» oder «A Hard Rain's A-Gonna Fall» machen Dylan zu einer Galionsfigur des gesellschaftlichen Umbruchs in den USA (und darüber hinaus). 1963 tritt er bei der Kundgebung des Bürgerrechtler-Marsches nach Washington auf, wo Martin Luther King seine berühmteste Rede hält: «I have a dream...»
Die Rolle des Akustik-Folk-Idols mag Dylan indes ebenso wenig annehmen wie die des politischen Vorkämpfers. Also verändert er sich, beeindruckt von Beatles und Rolling Stones, zum ersten (und nicht zum letzten Mal) in seiner Karriere - zum Rockmusiker mit elektrischer Gitarre und Band. Für diesen «Verrat» wird er von Ex-Fans als «Judas» beschimpft. Doch mit «Bringing It All Back Home», «Highway 61 Revisited» und «Blonde On Blonde» veröffentlicht Dylan 1965/66 trotzig Folkrock-Schlüsselwerke, die bis heute in kaum einer Kritikerliste der besten Pop-Alben aller Zeiten fehlen.
Der Innovator hat jetzt einen Lauf, komponiert in Serie große Songs, die auch Country, Blues und Gospel enthalten, mit Texten höchster Qualität. Der Literaturwissenschaftler und Dylan-Kenner Heinrich Detering findet später darin Bezüge zu William Shakespeare, Tennessee Williams, Lewis Carroll oder F. Scott Fitzgerald. Und selbst Dylans herbe Stimme kommt an: Die Zeit eines Dean Martin oder Frank Sinatra ist vorbei - relevante Musik erfordert nun rauere, wildere Sänger.
Die 70er und 80er Jahre sind schwierig für Dylan: die Trennung von seiner Frau Sara, künstlerische Stagnation (abgesehen vom grandiosen Abschieds-Album «Blood On The Tracks»), eine mühsame Suche nach Religion und Spiritualität. Auf der Plus-Seite stehen der originelle Musikzirkus «Rolling Thunder Revue» 1975/76, kommerzielle Erfolge mit der All-Star-Band Traveling Wilburys und der Beginn seiner «Never Ending Tour» mit zeitweise rund 100 Konzerten pro Jahr.
Mit dem ersten Alterswerk «Time Out Of Mind» rehabilitiert sich Dylan 1997 im großen Stil, gewinnt für «das beste Album des Jahres» einen seiner insgesamt zehn Grammys als Solokünstler. Danach wird er seinem Ikonenstatus noch alle paar Jahre mit starken Platten gerecht, etwa «Modern Times» (2006), «Tempest» (2012) oder «Rough And Rowdy Ways» (2020).
Weit über 100 Millionen Tonträger soll Dylan mit seiner nicht immer leicht zugänglichen Musik verkauft haben. Die Auszeichnungen sind kaum noch zu zählen: ein Song-Oscar, der Pulitzer-Preis, die «Medal of Freedom» der USA, und endlich doch noch der Literaturnobelpreis, für den Dylan jahrelang auf der Favoritenliste gestanden hatte. In seiner Rede definiert Dylan die Songpoeten-Doppelrolle so: «Unsere Lieder sind lebendig im Land der Lebenden. Aber sie sind etwas anderes als Literatur. Sie sollen gesungen werden, nicht gelesen.»
Dieses Jahr wird Dylan zum 80. Geburtstag von Kollegen, Experten und Fans gehuldigt - in Büchern, Interviews, mit einem Tribute-Album der Sängerin Chrissie Hynde. Der Meister selbst hielt sich vor dem 24. Mai bedeckt - auch Anfragen der Deutschen Presse-Agentur zu seinen Plänen beim Dylan-Management blieben unbeantwortet. Der «New York Times» sagte der zurückgezogen lebende sechsfache Vater voriges Jahr nur soviel: «Ich versuche einfach, geradeaus zu gehen, von der Linie nicht abzukommen und dabei die Höhe zu halten.»
Das Schlusswort geht daher an Elton John. Der britische Pop-Weltstar sagte dem Magazin «Uncut» tief beeindruckt: «Er hat die Leidenschaft nie verloren. (...) Er ist jetzt 80 Jahre alt und immer noch so gut wie in den 1960ern, aber auf völlig andere Weise. Ich bewundere das. Wie könnte man nicht?»
Vier Kunstausstellungen mit Werken Bob Dylans in Deutschland
Fulda/Ahorn/Heilbronn/Köln (dpa) - Zum 80. Geburtstag von US-Songwriter Bob Dylan zeigt eine Ausstellungsreihe in vier deutschen Städten zahlreiche Kunstwerke des Multitalents. Die Malereien und grafischen Arbeiten werden ab Juli in Köln, Heilbronn, Fulda und Ahorn bei Coburg gezeigt, wie die teilnehmenden Ausstellungshäuser am Freitag mitteilten.
Es gebe einen Basisbestand an druckgrafischen Werken, der in allen vier Häusern gezeigt werde, darüber hinaus habe jedes teilnehmende Haus Unikate aus Dylans Malerei, informierte Thomas Stock von der teilnehmenden Kunsthandlung Bilder Fuchs in Fulda.
Das Kunstforum Schloss Hohenstein in Ahorn bei Coburg teilte auf der Homepage mit: «Besucher dürfen sich auf Malereien wie «Endless Highway» freuen, das ob seiner absorbierenden Kraft ein Eye- und Mindcatcher ist.» Auf Reisen (durch die USA, Mexiko, Europa und Asien) habe Dylan begonnen, seine Eindrücke mit Bleistift und Kohle festzuhalten. «Veröffentlicht wurden die Papierarbeiten 1994 unter dem Titel «Drawn Blank».» In den Kunstsammlungen Chemnitz wurden sie 2007 gezeigt, seitdem tourten die Werke in zahlreichen Ausstellungen durch die Welt.
Dylan wurde am 24. Mai 1941 in Duluth, Minnesota geboren. Er gilt als einer der einflussreichsten Musiker des 20. Jahrhunderts. 2016 erhielt er als erster Musiker den Nobelpreis für Literatur.