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Die einzige universitäre Schreibschule im deutsprachigen Raum ist das Deutsche Literaturinstitut Leipzig. Sechs Semester lang stellen sich die Studenten der Kritik von Kommilitonen und Dozenten. Für die Abschlussarbeit - ein literarisches Werk - erhalten sie ein Diplom.
Leipzig (ddp). Ein junger Schreiber sucht einen "engagierten Lektor für ein Romanprojekt" und stellt 1000 Mark Belohnung in Aussicht. Ein Musiker braucht einen "Texter für Popsongs", die Veranstalter der "Kneipenlyrik" hoffen auf vortragswillige Autoren. Schon die Zettel an der alten Holztreppe neben der Eingangstür des Deutschen Literaturinstituts Leipzig (DLL) machen deutlich: Hier dreht sich alles um die Kunst des Schreibens.Die kleine Jugendstilvilla im Leipziger Musikerviertel beherbergt die einzige universitäre Schreibschule im deutsprachigen Raum. In Vorlesungen und Werkstattseminaren werden literarische Techniken analysiert und geübt: Spannungsaufbau, Dialogführung, Wahl von Erzählperspektive oder erzählerischen Mitteln.
Rund 340 Bewerber haben im vergangenen Jahr Arbeitsproben eingeschickt, 17 Autoren wurden genommen. Neben Talent müssen die Studenten laut DLL-Direktor Josef Haslinger vor allem die Bereitschaft mitbringen, an ihren Texten zu arbeiten. Für selbsternannte Genies ist am Literaturinstitut kein Platz. Sechs Semester lang stellen sich die Studenten der Kritik von Kommilitonen und Dozenten. Für die Abschlussarbeit - ein literarisches Werk - erhalten sie ein Diplom.
Am DLL werde versucht, "eine literarische Erfahrung zu intensivieren", erläutert der Direktor das Konzept. Die Entwicklung des Autors soll beschleunigt werden. "Durch die Analyse der Macharten hört das natürliche Schreiben auf", sagt Haslinger. Ein Einschnitt, der die Autoren meist in eine Krise stürze, eine unvermeidbare und "sehr nützliche" Krise. Um sie zu überwinden "gibt\'s nur eins: trotzdem weiter machen", sagt der Autor des Politthrillers "Der Opernball". Erst nach dieser leidvollen Erfahrung könnten die Studenten eine analytische Distanz zu eigenen Texten aufbauen und einen eigenen Stil entwickeln.
Ein Philosophie, die auch aus so manchem der Verse an den Wänden des Instituts spricht. Über dem Kopierer im zweiten Obergeschoss rät Johann Heinrich Voss einem "Versmacher": "Schreib! Nicht ärgere Wut kann ich dir wünschen! O schreib!" Wenige Schritte weiter besingt Giuseppe Ungaretti die "Freude der Schiffbrüche": "Und plötzlich nimmst du/ die Fahrt wieder auf/ wie/ nach dem Schiffbruch/ ein überlebender/ Seebär."
Begleitet werden die jungen Autoren bei ihrem literarischen Schiffbruch und künstlerischen Aufbruch von zwei Professoren und wechselnden Gastdozenten. Im vergangenen Semester hielten Schriftsteller wie Sten Nadolny und Thomas Hürlimann Seminare am DLL, im Sommersemester werden Herta Müller und Christoph Hein erwartet.
Während Haslinger vom Nutzen weiterer Literaturinstitute überzeugt ist, will Nadolny die Bedeutung von Talentschmieden "nicht zu groß schreiben". Sicherlich könne man den Studenten ein "Spektrum der Möglichkeiten auffächern", sie auf neue Ideen bringen. "Willen, Leidenschaft, Spaß und Begabung" könnten nicht vermittelt werden. Wichtig sei, einen eigenen Weg zu finden und ihn mit Leidenschaft zu gehen. Sonst "nutzt ein Diplom auch nicht", sagt der Autor der "Entdeckung der Langsamkeit". Für Nadolny selbst wäre in jungen Jahren eine solche Ausbildung nicht in Frage gekommen. "Ich wollte nie Schriftsteller werden", sagt der promovierte Historiker.
Von den Wänden im engen Treppenhaus blicken auf die DLL-Studenten Dichter, die es auf den Literatur-Olymp geschafft haben: Thomas Mann, Hermann Hesse, Joachim Ringelnatz, Lion Feuchtwanger. So manchen großen Autor hat auch das Leipziger Literaturinstitut schon hervorgebracht. Zwar wurde das DLL erst 1995 gegründet, seine Wurzeln reichen aber bis in die DDR zurück. 1955 entstand das erste Literaturinstitut Leipzigs, seit 1959 trug es den Namen von DDR-Kulturminister Johannes R. Becher. Schriftsteller wie Ralph Giordano, Sarah Kirsch, Erich Loest oder Kurt Drawert haben dort das Schreiben geübt.
Erste Früchte scheint auch der neue Studiengang zu tragen. DLL-Absolvent Tobias Hülswitt erhielt für Teile seines Erstlings "Saga" den Martha-Saalfeld-Förderpreis des Landes Rheinland-Pfalz und Juli Zeh heimste für ihren Roman "Adler und Engel" viel Lob ein.
Wird das DLL-Diplom zum Gütesiegel für gute junge deutsche Literatur? Nadolny ist skeptisch. "Unter 30 Studenten hab\' ich vielleicht fünf gefunden, bei denen ich einiges erwarte", sagt er und fügt augenzwinkernd hinzu: "Glücklicherweise ist es so, dass man sich täuschen kann und die Hälfte der Menschen falsch einschätzt. So sind wir dann doch wieder bei drei Vierteln."
Petr Jerabek
(www.uni-leipzig.de/dll)