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Johnny Cash aus Vollersode - Das kleine Label Bear Family Records ist Marktführer für Wiederveröffentlichungen
Vollersode (ddp-nrd). Tief im Wald in Vollersode bei Bremen hält Richard Weize die Erinnerung an Johnny Cash und Don Gibson wach. In einem ehemaligen Bauernhof betreibt der 58-Jährige das Plattenlabel Bear Family, den Marktführer für Wiederveröffentlichungen. Spezialisiert ist Weize auf Country und Rockabilly. Von seinen Lieblingsmusikern wie etwa Johnny Cash produziert er Boxen, in denen er auf CDs und DVDs, in seitenlangen Booklets und Büchern deren Lebenswerk dokumentiert. Nun hat Weize für sein eigenes Lebenswerk den Preis der deutschen Schallplattenkritik bekommen.«Country ist kein sentimentaler Kitsch, sondern aus dem Leben gegriffen», sagt Weize. So wie der Song über einen Mann, der auf dem Weg zum Fremdgehen die eigene Frau mit dem Ehemann der Auserwählten im Bett sieht. Oder der über Mutter und Kind im Einkaufszentrum, die den Vater als Penner auf einer Bank entdecken. «Die Texte, der Rhythmus, das Gefühl der Musiker - das fasziniert mich», sagt Weize. Mit der deutschen Country-Szene hat er indes nichts am Hut: «Bei Truckerfestivals stehen mir die Haare zu Berge», sagt der Mann mit dem langen braun-grau melierten Zopf und dem Vollbart. Und einen Cowboy-Hut hat er übrigens auch nicht.
Dafür gibt es in seinem Haus neben Musikboxen, Elvis-Figuren und US-Werbeschildern einige hundert Bären: als Teddys, Tischbeine oder Kerzenhalter. 1975 hat der Ex-Weinhändler Bear Family gegründet. Rund 15 Jahre nachdem er erstmals Country gehört hatte und ihn die Musik aus dem US-Staat Tennessee nicht mehr losließ. Ab 1960 importierte Weize LPs aus den USA: Jim Reeves, Janis Martin, Sid King, Hedy West, Hank Snow. «Ich bin Sammler und verrückt», sagt der Label-Chef, der in hohen Regalen 30 000 Scheiben stehen hat. Das Hobby wurde zum Geschäft, das sich auf Blues, Folk, Chansons, Jazz und Schlager ausdehnte. Mittlerweile hat er vier Mitarbeiter in der Produktion und 20 im Versand.
Aktuelles Projekt von Weize ist eine Calypso-Box mit rund 60 Jahre alten Stücken von Musikern aus Trinidad. Auf den CDs ist kein typischer Harry-Belafonte-Sound, sondern politisch-kritische Stücke à la «Hitler invades Poland». Diese Edition ist dem Sammler aller «Spiegel»-Ausgaben «historisch extrem wichtig» - auch wenn sie sich wohl nur schwer verkaufen lassen wird. Im Katalog hat Weize zudem «Lieder der amerikanischen politischen Linken» und «Songs aus der Zeit der Wirtschaftskrise». Die Verkaufshits sind jedoch Johnny Cash und Jerry Lee Lewis. Fünf Millionen Euro Umsatz im Jahr macht die Firma, die neben der Mailorder-Abteilung an ausgewählte CD-Läden liefert.
20 bis 30 Boxen produziert Bear Family jährlich. Etwa drei Monate pro Jahr verbringt Weize in Nashville, New York und Los Angeles, um aufgestöberte alte Tonbänder überspielen zu lassen und in Archiven zu recherchieren. Die dicken Dokumentationen der Musiker lässt er von Autoren schreiben. Die Neuaufnahme der CDs übernehmen Tonstudios. Mit denen zofft sich Weize regelmäßig, wenn ihm die alten Sachen «zu glatt und sauber» werden. Für die Rechte zur Wiederveröffentlichung muss Weize 20 Prozent vom Verkaufspreis abdrücken. Seine CDs kosten rund 15 Euro, die großen Boxen etwa 75 Euro. Gekauft werden diese von Sammlern zwischen 50 und 70 Jahren. Aber: «Der Markt wird kleiner», sagt Weize.
Nadine Emmerich
http://www.bear-family.de