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EU-Lärmschutzrichtlinie soll auch Musikerohren schonen – Ein Viertel aller Musiker haben Gehörschäden - Bühnenverein fordert Ausnahmen für Orchester
Berlin (ddp). Das Wort hat auf den ersten Eindruck nichts mit Kunst zu tun: EU-Lärmschutzrichtlinie. Und doch hat diese Verordnung weitreichende Folgen auch für die deutschen Opernhäuser. Laut der EU-Richtlinie von 2003, die jüngst in nationales Recht umgesetzt wurde, dürfen ab 15. Februar 2008 angestellte Musiker im Wochendurchschnitt nicht mehr als einer Lautstärke von 87 Dezibel ausgesetzt werden. Bei Richard Wagners «Tannhäuser» oder Giacomo Puccinis «Turandot» werden im Orchestergraben jedoch bis zu 120 Dezibel erreicht, wie der Geschäftsführer der Deutschen Orchestervereinigung (DOV), Gerald Mertens, sagt. «Das sind die Werte eines startenden Düsenjets.»
Dieser Lärm geht an den Musikern nicht spurlos vorbei: Schätzungen zufolge haben ein Viertel von ihnen Gehörschäden. Und Schäden an den Hörzellen sind irreparabel, wie Mertens sagt. Bei Musikern kann dies bis zur Berufsunfähigkeit führen. Ein Grund für die gesundheitsgefährdenden Lautstärken ist Mertens zufolge, dass viele Orchestergräben immer stärker überbaut wurden, um mehr Platz auf der Bühne zu haben. Der Klang kann so kaum noch nach oben entweichen.
Die neue Verordnung werde nun weniger die Dresdner Semperoper oder die Stuttgarter Staatsoper, sondern vor allem kleinere und mittlere Opernhäuser betreffen, sagt Gewerkschaftschef Mertens - also rund die Hälfte der 82 deutschen Opernorchester.
Für die Arbeitgeber bedeutet das nach Angaben von DOV-Expertin Julia Fallenstein: Sie müssen Schallmessungen machen. Wird der Grenzwert von 87 Dezibel überschritten, stehen bauliche oder organisatorische Veränderungen an - zum Beispiel eine andere Orchesteraufstellung. Auch Gehörschutz ist möglich, doch damit könnten sich die Musiker zum Teil selbst nicht mehr hören, so dass ein Zusammenspiel kaum noch möglich ist. Hält sich ein Haus nicht an die Lärmschutzregeln, könnte im Extremfall wie bei mangelndem Brandschutz die Schließung drohen.
Bis Februar 2008 muss die EU-Lärmschutzrichtlinie europaweit in nationales Recht umgesetzt sein. Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) in Dortmund erarbeitet derzeit gemeinsam mit Experten einen praktischen Leitfaden für die Arbeitgeber.
Diese sind derweil noch gelassen. «Wir haben noch ein bisschen Zeit», sagt der Direktor des Deutschen Bühnenvereins, Rolf Bolwin. Der Verband kritisiert die EU-Richtlinie beziehungsweise ihre deutsche Umsetzung ohnehin. Die deutschen Regeln gingen noch über die EU-Vorgaben hinaus. «Die Verordnung ist nicht für den Orchesterbereich umsetzbar», sagt Bolwin. Er fordert daher eine Überprüfung und eine Ausnahmeregelung für Orchester.
Die Schutzmaßnahmen seien für Jobs gedacht, in denen Lärm ein Nebeneffekt sei - wie bei der Arbeit mit dem Presslufthammer. Daher seien Empfehlungen wie alternative Arbeitsverfahren nicht auf das Musikmachen übertragbar. «Wer Trompete spielt, kann nicht Blockflöte spielen», betont Bolwin. Diskutiert werden könne jedoch über eine veränderte Sitzordnung der Musiker oder Schallschutzwände vor Trompetern.
Die Bayreuther Festspiele haben laut Mertens übrigens Glück: Dort werden im Orchestergraben zwar Rekordlautstärkewerte erreicht. Da die Richtlinie aber nicht für selbstständige Musiker und unter Denkmalschutz stehende Gebäude gilt, muss in Bayreuth nicht auf Dezibel geachtet werden.
Auch Konzertveranstalter sind von der Richtlinie nicht betroffen, da die Musiker bei Rock- und Popkonzerten ebenfalls selbstständig sind. Die Ohren der Besucher werden zudem schon seit Jahren durch eine DIN-Norm geschützt, wie Hans-Peter Haag vom Verband der Deutschen Konzertdirektionen (VDKD) sagt. Demzufolge muss die Lautstärke bei Konzerten, in Diskotheken und bei Volksfesten auf 99 Dezibel, im halbstündlichen Durchschnitt gemessen, begrenzt werden.
Nadine Emmerich