Der internationale Ernst von Siemens Musikpreis geht 2020 an die deutsche Musikerin Tabea Zimmermann. Die Auszeichnung für ein Leben im Dienste der Musik ist mit 250.000 Euro dotiert. Die Preisverleihung findet am 11. Mai 2020 im Münchner Prinzregententheater statt. Die Laudatio wird Norbert Lammert, ehemaliger Präsident des Deutschen Bundestages, halten. Insgesamt vergibt die Ernst von Siemens Musikstiftung über 3,6 Millionen Euro an Preis- und Fördergeldern.
Das Kuratorium der Ernst von Siemens Musikstiftung zeichnet mit Tabea Zimmermann eine Künstlerin aus, die alle Energie darauf lenkt, zum Kern des musikalischen Wesens vorzudringen und diese Erfahrung mit dem Publikum zu teilen. Durch ihr tiefes musikalisches Verständnis und ihre bedingungslose Liebe zur Musik, die sie mit unermüdlichem Enthusiasmus vermittelt, gestaltet Tabea Zimmermann mit ihrer Bratsche seit vielen Jahren die musikalische Gegenwart auf eindrücklichste Art und Weise. Mit der Auszeichnung wird ihr unbestechliches Musizieren, ihre authentische, persönliche Haltung und künstlerische Integrität genauso gewürdigt, wie ihr kompromissloser Qualitätsanspruch, die ganz neue Strahlkraft, die sie ihrem Instrument Bratsche verliehen hat, ihr Einsatz für die zeitgenössische Musik und nicht zuletzt ihre großartigen Leistungen in der Lehre.
Tabea Zimmermann wurde 1966 in Lahr im Schwarzwald als viertes Kind einer achtköpfigen Familie geboren und fing bereits als Dreijährige mit dem Bratschenspiel an. Ihre außergewöhnliche Begabung wurde von ihrem ersten Lehrer Dietmar Mantel früh erkannt und exzellent gefördert. Die für die damalige Streicherausbildung beinahe revolutionäre Idee der Beweglichkeit – körperlich und geistig, Hörfähigkeit, die Fähigkeit sich auf andere einzustellen –, die Mantel auch von Anfang an durch Kammermusik und Orchesterspiel bei seiner Schülerin entwickelte, hat sie nachhaltig geprägt und den Grundstein dafür gelegt, dass sie heute als eine der beliebtesten Kammermusikpartnerinnen gilt und von Orchestern und Dirigenten ungemein geschätzt wird.
Einen Schwerpunkt ihrer kammermusikalischen Arbeit bildete für Tabea Zimmermann in den letzten Jahren das Arcanto Quartett mit Antje Weithaas, Daniel Sepec und Jean-Guihen Queyras aber auch Triobesetzungen mit Jörg Widmann und Dénes Várjon und Duorezitale mit den Pianisten Javier Perianes, Kirill Gerstein und Thomas Hoppe. Ihre Leidenschaft für die Kammermusik findet ihren Ausdruck auch in der künstlerischen Leitung der Beethoven-Woche Bonn, die Tabea Zimmermann gemeinsam mit Luis Gago von 2015–2020 gestaltet hat. Unter dem Motto ‚Beethoven Pur‘ ist zurzeit die gesamte Kammermusik des Jubilars im Beethovenhaus Bonn zu hören.
Als Solistin arbeitet sie regelmäßig mit den weltweit bedeutendsten Orchester wie dem Royal Concertgebouw Orchestra, den Berliner Philharmonikern, dem Orchestre de Paris, dem London Symphony Orchestra, Les Siècles, der New World Symphony oder dem Israel Philharmonic Orchestra um nur einige zu nennen. Mit dem Ensemble Resonanz, bei dem sie zwei Jahre als Artist-in-Residence wirkte und das sie oft von der Bratsche aus leitete, verbindet sie eine enge musikalische Freundschaft.
Sehr früh kam Tabea Zimmermann auch zur Neuen Musik. Nicht nur mit einem absoluten Gehör hilfreich ausgestattet, hatte sie wieder das Glück einer umsichtigen Anleitung, diesmal durch ihren komponierenden Musiklehrer am Gymnasium, Herbert Söllner. Er half ihr bei der Erarbeitung von Bernd Alois Zimmermanns Antiphonen und erweiterte ihren Blick von der Einzelstimme aus aufs Ganze. Diesen hat sie seit ihrer ersten Uraufführung eines Stücks, das Söllner der Dreizehnjährigen für Jugend musiziert komponiert hatte, beibehalten und ihre Freude und Offenheit für das Neue und Unbekannte nie verloren: „Etwas entstehen lassen zu können, diese Zusammenarbeit mit einem Komponisten erleben zu können, die Gedanken nachvollziehen zu lernen, Partituren anders lesen zu lernen und Dinge zu entdecken, macht mir bis heute großen Spaß. (…)“. Tabea Zimmermann hat seither das Interesse vieler zeitgenössischer Komponisten für die Bratsche geweckt, über 50 Uraufführungen von Ligeti über Kurtàg, Rihm und Holliger bis zu Jarrell, Lentz, Höller, Mantovani und Poppe gespielt und zahlreiche neue Werke in das Konzert- und Kammermusikrepertoire eingeführt.
Neben Ihrer regen Konzerttätigkeit setzt sich Tabea Zimmermann seit langem beispiellos für den musikalischen Nachwuchs ein. Zu Beginn als Professorin an der Musikhochschule Saarbrücken noch jünger als ihre eigenen Studenten, ist sie nach einer Lehrstation an der Frankfurter Hochschule für Musik seit Oktober 2002 Professorin an der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ in Berlin und erfüllt auch diese Aufgabe mit der sie stets auszeichnenden Begeisterung: „Die Lehre und der Austausch mit jungen Menschen beschäftigt mich sehr. Es ist mir sehr wichtig, diese auch mit Wertvorstellungen zu konfrontieren und anhand der Musik etwas mitgeben zu können, mit dem sie hoffentlich gut durchs Leben kommen.“
Tabea Zimmermann konzertierte ab 1987 bis zu dessen frühen Tod im Jahr 2000 regelmäßig mit ihrem Ehemann dem Dirigenten David Shallon und pflegt weiterhin eine enge Verbindung zu Israel, seiner Sprache und Kultur. Sie hat drei fast erwachsene Kinder und lebt in Berlin.
Tabea Zimmermann gehört zum Kreis der größten Interpretinnen ihrer Epoche und hat es geschafft, die Qualitäten der Bratsche ins Bewusstsein der musikalischen Gegenwart zu rücken. Unerreicht sind Reichtum, Tiefe und Schönheit ihres Tons: „Ich stelle mir vor, dass es in meiner Seele sehr viele kleine Spiegelflächen gibt und dass jedes Musikstück, jede Phrase, jeder Satz, jedes Thema etwas anderes in mir berührt und indem ich dann meine Anteile mitspiegeln lasse, kann ich etwas Persönliches weitergeben!“
Preisverleihung am 11. Mai 2020 im Prinzregententheater München
Der Ernst von Siemens Musikpreis wird Tabea Zimmermann am 11. Mai 2020 im Münchner Prinzregententheater bei einem musikalischen Festakt verliehen. Die Laudatio hält der ehemalige Präsident des Deutschen Bundestages und Vorsitzende der Konrad-Adenauer-Stiftung Norbert Lammert. Das Hamburger Ensemble Resonanz, wird gemeinsam mit ihr Lachrymae von Benjamin Britten – dem ersten Ernst von Siemens Musikpreisträger – aufführen. Außerdem stehen Solo-Werke von Kurtàg und Berios Naturale auf dem Programm, bei dem der Schlagzeuger Christoph Sietzen mit der Preisträgerin musizieren wird. Das Ensemble Resonanz wird auch die Stücke der diesjährigen Komponisten-Förderpreisträger interpretieren, deren Namen am 19. Februar 2020 bekanntgegeben werden.
Die Ernst von Siemens Musikstiftung vergibt 3,6 Millionen Euro
Insgesamt vergibt die Stiftung 2020 über 3,6 Millionen Euro an Preis- und Fördergeldern. Gefördert werden 2020 weltweit rund 120 Projekte im zeitgenössischen Musikbereich. Der größte Anteil der Förderung entfällt erneut auf Kompositionsaufträge, aber auch Festivals, Konzerte, Kinder- und Jugendprojekte, Akademien sowie Publikationen werden mit Fördergeldern bedacht. 250.000 Euro entfallen auf die Dotierung des Hauptpreises und je 35.000 Euro sowie die Produktion einer Porträt-CD erhalten die Komponisten- Förderpreisträger. Erstmals vergibt die Ernst von Siemens Musikstiftung 2020 auch den Ensemble- Förderpreis, der die künstlerische und strukturelle Entwicklung herausragender, junger Ensembles mit insgesamt bis zu 150.000 Euro fördert. Außerdem stellt die Ernst von Siemens Musikstiftung zusätzliche Mittel für die Reihe räsonanz – Stifterkonzerte zur Verfügung. Die Konzerte im Rahmen dieser Kooperation mit der musica viva des Bayerischen Rundfunks und LUCERNE FESTIVAL finden am 23. Mai im Münchner Prinzregententheater und am 25. August 2020 im KKL Luzern statt.
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