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Vorwürfe gegen niederländischen Bach-Dirigenten Pieter Jan Leusink. Foto: Hufner
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In gewalttätiger Gesellschaft - Gangster-Rap im Kinderzimmer

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Berlin - Sie brechen Tabus - und Rekorde: Gangster-Rapper kommen mit ihren gewaltverherrlichenden und diskriminierenden Texten vor allem bei jungen Hörern gut an. Wächst da eine völlig verrohte Jugend heran?

Derbe Beleidigungen und wüste Beschimpfungen - Gangster-Rap steht in dem Ruf, martialisch und frauenfeindlich zu sein. So will Sänger Fler statt Frauen lieber «Hoes» (Huren), die «blasen wie Pros» (Professionelle). Die Textzeile stammt von Flers neuem Album «Atlantis», das der Mann mit dem bürgerlichen Namen Patrick Losensky am Freitag (14. Februar) veröffentlicht.

Kollege Bushido (bürgerlich Anis Ferchichi) ist im Herbst 2019 vor Gericht «abgeschmiert auf ganzer Linie», wie er selbst sagte: Richter urteilten, dass sein Album «Sonny Black» zu Recht auf dem Index steht. Die Bundesprüfstelle setzte es auf die Liste jugendgefährdender Medien wegen der «hemmungslosen» Darstellung von Gewalt. Kritiker argumentieren allerdings, dass indizierte Medien für Jugendliche erst Recht interessant seien.

Bushido, Fler und Co brechen aber nicht nur Tabus - sondern auch Rekorde. Gangster-Rapper Capital Bra etwa hält rund 20 Nummer-eins-Hits in den deutschen Charts - mehr als jeder andere Musiker.

Forscher gehen davon aus, dass das Subgenre des HipHop, das in den 80er Jahren in den USA entstanden ist, vor allem unter jungen Männern beliebt ist. Verlässliche Daten zur Rezeption gebe es aber bislang keine. Einige Hörer können sich der Forscherin Heidi Süß zufolge mit den Inhalten identifizieren: Männer mit Migrations- oder Fluchthintergrund teilten etwa Diskriminierungserfahrungen, um die es in den Songs auch häufig geht. Süß hat über deutschsprachige Rap-Männlichkeiten an der Universität Hildesheim promoviert.

Spekulationen über ethnische und Milieu-Zugehörigkeiten der Rap-Hörer findet Marc Dietrich problematisch. Der Soziologe von der Hochschule Magdeburg-Stendal betont, dass auch Studenten aus bildungsbürgerlichem Hause die Musik spannend fänden - weil die darin beschriebene Welt so weit von ihrer eigenen Lebenswirklichkeit entfernt sei.

Aber wie steht es um junge Frauen? Die gehen mit den sexistischen Texten sehr unterschiedlich um, wie Wissenschaftlerin Süß betont: «Die einen überhören die entsprechenden Stellen ganz bewusst, wieder andere suchen sich vor allem die Liebeslieder von Künstler xy heraus, anstatt sich mit dessen frauenverachtenden Songs zu konfrontieren.» Viele Mädchen fühlten sich zudem von Begriffen wie "Schlampe' nicht selber angesprochen. Der Gender-Forscherin zufolge denken sie stattdessen «dabei an ein anderes Mädchen oder auch einen anderen Jungen, dessen sexuelles Verhalten sie ablehnen.»

Der Gangster-Rap thematisiert auch Erfahrungen aus dem kriminellen Milieu. «Typisch sind Narrative über Drogendeals, Durchsetzungsfähigkeit und erwirtschafteten Reichtum», erläutert Dietrich. Die Umstände, die die Rapper beschreiben, seien zwar prekär, sagt Martin Seeliger von der Universität Hamburg. «Aber in ihrem Mikrokosmos sind sie die großen Player.» Die beiden Soziologen sehen im Gangster-Rap deshalb auch ein Phänomen der neoliberalen Gesellschaft. Denn die Rapper trotzen in ihren Songs widrigen Umständen und sind erfolgreich.

So sieht sich auch Kollegah, der ein «Alpha-Mentoring»-Programm für «alle Männer, die im Leben WIRKLICH etwas ERREICHEN wollen», ins Leben gerufen hat. Der Rapper löste 2018 einen Skandal aus, als er zusammen mit Farid Bang in dem Song «0815» seinen Körper als «definierter als von Auschwitz-Insassen» beschrieb und dafür einen «Echo» bekam. Der Musikpreis wurde daraufhin abgeschafft. «Ich hab' mit Antisemitismus nichts zu tun, davon distanziere ich mich», wehrte er sich nach Angaben seines Managements gegen die Vorwürfe.

Antisemitische, homophobe und misogyne Tendenzen kommen Seeliger zufolge nicht aus dem Nichts: «Die Rapper stehen nicht irgendwo draußen, sondern in der Gesellschaft.» Auch Musikrichtungen wie Rock und Reggae kennen Forscherin Süß zufolge Sexismus und Homophobie.

«Niemand muss fürchten, dass hier eine verrohte Generation heranwächst», betont Süß. «Wer Gangsta-Rap hört, wird nicht automatisch zum Sexisten oder Gewaltkriminellen.» Einen Eindruck hinterließen die Sprachbilder in den Songs aber durchaus - vor allem bei sehr jungen Hörern. Denn ihnen fehlen der Gender-Forscherin zufolge noch die Werkzeuge, um das Gesagte oder Gezeigte einzuordnen.

«Selbst wenn Gangsta-Rap nicht unmittelbar negativ wirksam ist, müssen sich die Künstler für ihre Texte verantworten», betont Dietrich. Er bemängelt, dass sich die Szene mit ihren problematischen, teils auch antisemitischen Inhalten «noch viel zu sehr hinter einem undifferenziert vorgetragenen Kunstargument verschanzt.» Nach Ansicht von Süß schieben selbst die einflussreichsten Rapper stattdessen den Eltern und Schulen jegliche gesellschaftliche Verantwortung zu.

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