Augsburg - Nach Ansicht von Startenor Jonas Kaufmann verändert die Debatte um sexuelle Übergriffe die Opern- und Klassikwelt. «Für Regisseure ist es komplizierter geworden, Liebesszenen zu inszenieren», sagte der 50-Jährige der «Augsburger Allgemeinen» (Donnerstagausgabe).
«Wenn früher einer zu weit gegangen ist, wurde das vielleicht dadurch geregelt, dass er in der Probe eine Ohrfeige bekommen hat», sagte er. «Jetzt muss ein Regisseur extrem viel darüber nachdenken, was er vermitteln darf, ohne seine Darsteller zu Anzüglichkeiten zu verleiten.» Glaubhafte Liebesszenen auf der Bühne seien heute «ein sehr schmaler Grat».
Sexuelle Belästigung im Opern- und Klassik-Metier sei lange Realität gewesen. «Sicher hat es die berühmt-berüchtigte Besetzungscouch in manchem Büro gegeben - über Jahrzehnte hinweg. Das ist ein dunkles Kapitel», sagte Kaufmann. «Früher mussten die Betroffenen abwägen, ob sie lieber stillhalten oder sozusagen einen «Skandal» provozieren und ihre Laufbahn vorzeitig beenden», sagte er. «Das ist hoffentlich heute nicht mehr der Fall.»
Derzeit ist Opernstar Plácido Domingo mit Vorwürfen konfrontiert. Mehrere Sängerinnen hatten ihn - im Zuge der «MeToo»-Bewegung gegen sexistisches und sexuell übergriffiges Verhalten einflussreicher Männer - teils Jahrzehnte zurückliegender Übergriffe bezichtigt. Der 78-jährige Spanier wies die Anschuldigungen zurück. Dennoch trat er als Leiter der Oper in Los Angeles zurück und kündigte an, nicht mehr an der New Yorker Metropolitan Opera aufzutreten.
Der «Augsburger Allgemeinen» sagte Kaufmann zu den Vorwürfen gegen Domingo: «Ich kann mich dazu nicht äußern, denn ich war ja nicht dabei.»