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Mit seinem Eingreifen in gesellschaftliche und politische Diskurse hat Jürgen Habermas immer wieder die «Stichworte zur geistigen Situation der Zeit» (Detlef Horster) gegeben. Er gilt als der meistbeachtete und mit seinen Thesen prägendste deutsche Philosoph der Gegenwart. Am Freitag feiert Jürgen Habermas seinen 75. Geburtstag.
Berlin (ddp). Die als «Frankfurter Schule» apostrophierte Tradition gesellschaftlichen Denkens wurde bis in die 60er Jahre entscheidend von Max Horkheimer und Theodor Adorno sowie von Herbert Marcuse verkörpert. Die gegenwärtige Gestalt der Kritischen Theorie ist entscheidend von Habermas geprägt. Er geht von der Annahme aus, dass in modernen, weltanschaulich pluralen Gesellschaften die verbindliche Grundlage einer von allen geteilten Moral nicht mehr in religiösen Überzeugungssystemen gefunden werden kann, sondern dass die Begründung von Recht und Moral allein in den Verfahrensregeln argumentativer Rede verankert werden kann.Der 1929 in Düsseldorf geborene Habermas, der an den Universitäten Göttingen, Zürich und Bonn Philosophie, Geschichte, Psychologie, Deutsche Literatur und Ökonomie studierte, kam 1956 an das Institut für Sozialforschung nach Frankfurt am Main. Nach Konflikten mit Horkheimer verließ Habermas 1959 das Institut und reichte seine Habilitationsschrift zum «Strukturwandel der Öffentlichkeit» in Marburg ein. Seine akademische Karriere begann er 1961 als ausserordentlicher Professor für Philosophie an der Universität Heidelberg. 1964 folgte Habermas dann dem Ruf als Nachfolger Horkheimers nach Frankfurt.
In seiner Antrittsvorlesung von 1965, im gleichnamigen Buch «Erkenntnis und Interesse» (1971) sowie in «Wissenschaft und Technik als Ideologie» (1968) hat Habermas das Programm der «Frankfurter Schule» neu formuliert.
Seine gesellschaftstheoretischen Thesen bestärkten das Selbstbewusstsein der Linken, soweit sie sich in der Verfassung verankert sahen. Daher deutete sich schon bald eine Distanz zur Mehrzahl der radikalen Studenten an. Bei einer Gedenkfeier zum Tod des Studenten Benno Ohnesorg in Hannover 1967 bezeichnete Habermas in einer Auseinandersetzung mit Studentenführer Rudi Dutschke dessen Ansichten als «linken Faschismus».
Ende des Sommersemesters 1971 wechselte Habermas als Direktor nach Starnberg an das Max-Planck-Institut zur Erforschung der Lebensbedingungen der wissenschaftlich-technischen Welt. 1980 wurde der Düsseldorfer dann in Starnberg Direktor am Max-Planck-Institut für Sozialwissenschaften. Im April 1981 trat er von diesem Amt zurück und ging zwei Jahre später erneut an die Universität Frankfurt. Zum 1. Oktober 1994 wurde der Philosoph emeritiert.
Habermas ist seit 1955 verheiratet, lebt in Starnberg und hat drei Kinder. Der bereits mit zahlreichen Preisen und Auszeichnungen bedachte Wissenschaftler bekam kurz vor seinem 75. Geburtstag den renommierten und mit 400 000 Euro dotierten Kyoto-Preis für seine Verdienste um die Wissenschaft verliehen. Der Preis ist neben dem Nobelpreis die weltweit höchst dotierte Auszeichnung für Verdienste um die Wissenschaft.
Kerstin Friedrich